Messaufbau und Grundlagen
Nun schlägt die Stunde der Wahrheit, mal wieder. Der Testaufbau ist ja endlich final und die Basis bleibt das bekannte Messmikrofon, dass sich ja bereits für die In-Ears bewährt hat. Die Anregungen für die Realisierung haben ich bei Oratory gefunden und es schadet nichts, auch dort einmal vorbeizuschauen. Aber ich finde, man sollte die Headsets und Kopfhörer wirklich richtig messen und die übliche Hi-Fi- bzw. Gaming-Textwall auch mit Fakten unterlegen und nicht nur Musikstücke oder Spiele aufzählen. Subjektives Empfinden und objektive Messung im Zweiklang sollten schon Standard für Reviews sein. Der komplette Messaufbau und die Methodik ist im unten verlinkten Artikel genau beschrieben. Diese redundanten Details können wir uns als sparen. Trotzdem empfiehlt es sich, diesen Artikel mindestens einmal gelesen zu haben.
Wichtiger Anhaltspunkt: Die Harman Kurve
Die sogenannte Harman-Kurve ist eine (optimale) Klangsignatur, die die meisten Menschen bei ihren Kopfhörern bevorzugen. Sie ist somit eine genaue Darstellung dessen, wie z.B. hochwertige Lautsprecher in einem idealen Raum klingen und sie zeigt den Zielfrequenzgang eines perfekt klingenden Kopfhörers. Damit erklärt sie auch, welche Pegel angehoben und welche gedämpft werden sollten, wenn man diese Kurve zugrunde legt. Damit erklären wir auch in einem Aufwasch noch den Begriff der oft zitierten „Badewannen-Abstimmung“, bei dem die Harman-Kurve jedoch völlig überzogen missbraucht und überhöht wird.
Aus diesem Grund ist die Harman-Kurve (auch „Harman-Ziel“ genannt) einer der besten Frequenzgangstandards für den Musikgenuss mit Kopfhörern, denn im Vergleich zum flachen Frequenzgang (neutrale Kurve) sind bei der Harman-Kurve die Bässe und Höhen leicht angehoben. Diese „Kurve“ wurde 2012 von einem Team von Wissenschaftlern unter der Leitung des Toningenieurs Sean Olive erstellt und veröffentlicht. Die Forschung umfasste seinerzeit auch umfangreiche Blindtests mit verschiedenen Personen, die unterschiedliche Kopfhörer testen mussten. Auf der Grundlage dessen, was sie dann mochten (oder auch nicht), fanden und definierten die Forscher die allgemein beliebteste Klangsignatur.
Die Abstimmung von Kopfhörern kann aufgrund der menschlichen Anatomie wirklich problematisch sein. Jeder Mensch hat eine etwas andere Ohrmuschel und einen etwas anderen Gehörgang, was sich darauf auswirkt, wie die einzelnen Personen bestimmte Frequenzen wahrnehmen. Im Extremfall gibt es von Person zu Person ein paar dB Unterschied, was dann auch die kleinen Unterschiede in manchen Messungen mit künstlichen Ohren erklärt. Außerdem wird der Schall, wenn er nicht absorbiert wird, von anderen Oberflächen zusätzlich reflektiert. Theoretisch wäre also auch ein Torso im Testaufbau mit einzubeziehen, aber das wäre viel zu aufwändig.
Messung des Frequenzverlaufes
Kommen wir nun zur Messung, bei der das Turtle Beach Stealth Pro am hauseigenen Funk-Dongle betrieben wurde (helltürkise Kurve). Man sieht sehr schön eine extreme Wölbung im Tieftonbereich bis hin in den Oberbass, die sich bei anderem Anpressdruck deutlich weiter nach rechts verschieben lässt. Dann hat man einen eklig brutalen Oberbass, den keiner so haben möchte. Man muss also aufpassen, wie man das Headset positioniert, damit die Messung nicht verfälscht wird. Ich habe Euch das schlechte Beispiel ausgegraut mit eingefügt, beziehe ich aber im Folgenden auf die Messungen mit dem richtigen Sitz. Insgesamt ist der Verlauf bis 1 KHz extrem Bass-lastig bis in die unteren Mitten hinein und mit einem tiefen Loch in den Mitten. Dann geht es wieder steilbergan. Der Bereich um ca. 2,8 KHz weist eine erste Spitze auf, die von einem leichten Einbruch bei ca. 4.5 bis 5 KHz gefolgt wird.
Die Spitzen bei 7 bis KHz stehen für einen leicht metallischen Klang, weil es hier wiklich sehr spitz zugeht. Doch dazu gleich mehr beim Hörtest. Oberhalb von 10 KHz wird es einsam und die Angabe von 22 KHz als obere Grenzfrequenz ist, denn es sind mindsten 8 dB Unterschied zu der 1 KHz-Marke. Ja, es ist noch etwas messbar, aber normalerweise werden ja auch Toleranzbereiche angegeben. Die lassen die Hersteller von Gaming-Headsetz fast alle weg. Warum, muss ich hier sicher nicht erklären. Wobei auch das mit den 22 KHz reines Marketing ist, weil man ja eh keine Fledermausohren besitzt.
Glättet man das Ganze jetzt einmal bis zum Anschlag, dann ergibt sich eine etwas rundere Kurve, die allerdings vor allem den Kritikpunkt beim Bass und am Superhochton bestätigt. Der Bereich der unteren Mitten ist ebenfalls zu lasch, was dem Klang leider Einiges an Fülle und Wärme raubt, während der Hochtonbereich im Superhochton zum Einpeitscher wird. Deutlicher kann man es eigentlich nicht ausdrücken: das ist Gamer-Badewannen-Feeling pur.
Korrektur des Frequenzverlaufes
Und nun kommt die App bzw. Softwarte ins Spiel, wobei der digitale Equalizer (EQ) viel zu granulär ist. Betrachten wir nun zunächst das Ergebnis des Setting, was sich der Idealkurve noch am ehesten annähert. Das sieht schon mal recht brauchbar aus, allerdings scheitert auch hier der Tiefbass an den Ohrpolstern (Delle bei ca. 44 Hz), der Rest sieht ganz gut aus und klingt auch so.
Die Software stößt hier leider an Ihre Grenzen und wenn ich noch etwas kritisieren MUSS: Die Schieberegler haben keine Werte und das Treffen der Mittelstellung bei einem Reset ist nahezu unmöglich. Noch dümmer ist, dass es keinen echten Mittelwert-Reset gibt, denn das, was so aussieht, funktionierte bei mir nicht. Die einzige Chance ist die, dass man vor jeder Änderung in allen drei reitern der Tabs zuächst den Mittelwert (linear) als „Neutrales Profil“ manuell abspeichert und erst dann die Regler verschiebt. Sorry, aber mal abgesehen vom Sprachdurcheinander ist das selten umständlich und stupide gelöst. Ich habe mir selbst ein Harman-Profile erstellt, das dann so aussieht:
Auch das ANC will ich nicht vorenthalten und wir sehen den Unterschied in der Kurve sehr deutlich:
Kumulative Spektren (CSD, SFT, Burst)
Das kumulative Spektrum bezeichnet verschiedene Arten von Diagrammen, die Zeit-Frequenz-Eigenschaften des Signals zeigen. Sie werden durch die aufeinanderfolgende Anwendung der Fourier-Transformation und geeigneter Fenster auf überlappende Signalblöcke erzeugt. Diese Analysen basieren auf dem bereits oben dargestellten Frequenzgangdiagramm, enthalten aber zusätzlich noch das Element Zeit und zeigen nun als 3D-Grafik („Wasserfall“) sehr anschaulich, wie sich der Frequenzgang über die Zeit hin entwickelt, nachdem das Eingangssignal gestoppt wurde. Umgangssprachlich wird so etwas auch „ausklingen“ oder „ausschwingen“ genannt. Normalerweise sollte der Treiber nach dem Wegfall des Eingangssignals ebenfalls möglichst schnell anhalten. Einige Frequenzen (oder sogar ganze Frequenzbereiche) werden jedoch immer langsam(er) abklingen und dann in diesem Diagramm als länger anhaltende Frequenzen auf der Zeitachse auch weiterhin erscheinen. Daran kann man gut erkennen, wo der Treiber eklatante Schwächen aufweist, vielleicht sogar besonders „scheppert“ oder wo im ungünstigsten Fall Resonanzen auftreten und das Gesamtbild stören könnten.
Cumulative Spectral Decay (CSD)
Der kumulative spektrale Zerfall (CSD) verwendet die FFT und ein modifiziertes Rechteckfenster, um den spektralen Abfall der Impulsantwort zu analysieren. Es wird hauptsächlich zur Analyse der Treiber-Antwort verwendet. Der CSD verwendet normalerweise nur eine kleine FFT-Blockverschiebung (2-10 Samples), um Resonanzen im gesamten Frequenzbereich besser sichtbar zu machen und ist somit ein nützliches Werkzeug zur Erkennung von Resonanzen des Wandlers.
Das Bild zeigt sehr schön das unschöne Einschwingverhalten und vor allem, den resonanzbehafteten Verlauf bis reichlich 400 KHz. Das ist kein sauber konturierter Bass, sondern eine viel zu lang anhaltende Pad-Orgie ohne Struktur. Signal weg, Ton weg? Mitnichten, den hier schwingt es untenherum nach, wie ein Sack gedopter Hummeln. Auch die 2,8-KHz- sowie die 6-KHz-Metallpeitschen sieht man sehr schön, den es gibt auch dann noch Schrammen am Trommelfell, wenn das Signal längst verschwunden ist.
Short-time Fourier Transform (STF)
Die Kurzzeit-Fourier-Transformation (STF) verwendet das FFT- und Hanning-Fenster, um das zeitlich variierende Spektrum der aufgezeichneten Signale zu analysieren. Hier nutzt man im Allgemeinen eine größere Blockverschiebung (1/4 bis 1/2 der FFT-Länge), um einen größeren Teil des zeitvariablen Signalspektrums zu analysieren, wobei man besonders den Einsatzgebieten wie Sprache und Musik näherkommt. Im STF-Spektrum sehen wir nun auch sehr schön die Arbeit der Treiber, die sich in einigen Frequenzbereichen diverse Schwächen leisten.
Dieses „Nachziehen“ bei den niedrigeren Frequenzen unterhalb von 500 Hz ist auch hier gut sichtbar, genauso wie unsere akustische Dominaeinlage mit den Bullenpeitschen im Hochton. Unten zu klobig und oben heraus partiell zu spitz. Dafür ist der Bereich dazwischen fast komplett blutleer. Mitten? Nein.
Burst Decay
Beim CSD wird der Plot im Zeitbereich (ms) erzeugt, während der hier verwendete Burst Decay Plot in Perioden (Cycles) dargestellt wird. Und während beide Methoden ihre Vor- und Nachteile (oder Einschränkungen) haben, kann man durchaus sagen, dass die Darstellung in Perioden durchaus sinnvoller sein kann, um das Abklingen eines Treibers mit einer großen Bandbreite zu bestimmen. Und auch da schneidet das Turtle Beach Stealth Pro nur recht mittelprächtig ab. Wir sehen vor allem wieder starke Resonanzschwingungen im Hochton und die kimosche Delle im Tiefbass.
Das mit den Höhen soll wahrscheinlich besonders „crispy“ klingen, aber es zerrt einfach nur an der Nerven, wenn man Musik hören möchte. Fürs Gaming ist es hingegen gerade noch ok, aber bei Musik hört der Spaß dann (je nach Genre) komplett auf. Das Turtle Beach Stealth Pro ist zwar relativ laut, aber in der Summe ist die Pegelfestigkeit auch nur biederer Durchschnitt.
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