In Anbetracht der in letzter Zeit immer wieder aufgetauchten “Messungen” mit Wärmebild-Kameras oder äquivalenten Smartphones, will ich heute noch einmal den Artikel vom letzten Jahr nach vorn holen, um Euch die Komplexität der Materie zu zeigen und zu erklären warum Messung nicht gleich bunte Abbildung ist. Man kann nämlich mehr “messen” als man wirklich an Tatsachen erfährt, wenn die wichtigsten Regeln und Grundlagen permanent missachtet werden.
Es ist ein wenig wie bei der Einführung der ersten Laserdrucker am PC: jeder hält sich plötzlich für einen ausgebildeten Grafiker und gestaltet seine Flyer und Prospekte einfach selbst. Die Erzeugnisse solcher Selbstüberschätzungen zieren noch heute so mache Imbissbude und die einfach zu bedienende Technik samt Software verleitet dazu, dass selbst Laien sich für kleine Michelangelos halten. Bei der Thermografie und kontaktlosen Messung ist das leider nicht anders und so nimmt leider fast jeder die auf YouTube präsentierten bunten Bildchen mit sogenannten Infrarot-Bildern viel zu ernst, obwohl es eigentlich nur thermische Momentaufnahme ohne jegliche Genauigkeit sind. Mit diesen Mythen möchte ich heute gern aufräumen, denn viele solcher Veröffentlichungen stellen eine an sich sehr gute Messmethode in ein völlig falsches Licht.
Wichtiges Vorwort
Nicht die Technik an sich ist ungenau oder unpassend, sondern es scheitert fast immer an der Ausrüstung und dem Basiswissen des Benutzers! Das soll jetzt keine Kollegenschelte oder Abwertung der genutzten Tools sein, aber wir müssen fairerweise schon zwischen einem simplen Wärmebild zu Informationszwecken (z.B. Suchen von Hotspots oder Wärme- und Kältebrücken), sowie einer echten Messung unterscheiden, die ihren Namen dann auch wirklich verdient hat. Alles andere ist Betrug am Leser bzw. Zuschauer und letztendlich auch an sich selbst. Infrarot-Kameras gegen Infrarot-Scanner? Ich erkläre Euch heute den Unterschied!
Ja, es ist turnusmäßig wirklich wieder einmal notwendig, den Unterschied zwischen methodischer und vorgeplanter Arbeit sowie dem einfachen “Draufhalten” mit günstigem Handheld oder der IR-Handyknipse zu erklären. Denn nur allzu oft werden Ergebnisse von ungenauen Infrarot-Aufnahmen als Messung und unumstößliche Fakten verkauft, die mit der Realität dann aber leider nichts mehr zu tun haben. Dabei ist es egal, ob man Grafikkarten, Prozessoren, Mainboards oder ganze Geräte wie beispielsweise Notebooks oder Spielekonsolen misst – die Grundlagen und gemachten Fehler sind stets die gleichen.
Diesmal basiert das alles natürlich auch auf einem bestimmten Anlass auf YouTube, denn ich ärgere mich immer wieder, wie gedankenlos man mit der IR-Messung z.B. an einer Playstation 5 (Bild oben) umgeht und sich dabei meist selbst grandios überschätzt. Reichweite ist kein Garant für Qualität, aber am Ende hat dann eben jeder genau das Publikum, das er verdient. Shitstorm inklusive.
Thermografie – Wichtige Basics einfach erklärt
Ich mache es Euch bewusst einfach und breche die Grundlagen auf das Notwendigste herunter, denn nicht jeder von Euch ist ein Techniker. Ich kann Euch zwar zum Verständnis des Ganzen auch ein wenig Theorie nicht ersparen, aber es geht (hoffentlich) auch einigermaßen unterhaltsam. Fangen wir deshalb einfach an und blicken zunächst zurück in die Vergangenheit. Wir schreiben das Jahr 1800 und der Musiker und Astronom Wilhelm Herschel (1738-1822) schiebt argen Kohldampf. Da beschließt er, sein aktuelles Experiment zu unterbrechen und erst einmal was essen zu gehen, denn Lieferdienste gab es noch keine.
Herschel ist ein guter Beobachter und man kennt auch heute noch seine Teleskope sowie seine wichtigen Entdeckungen auf dem Gebiet der Astronomie. Doch was hat das alles mit der Infrarotmesstechnik von heute zu tun? Herschel testet an diesem sonnigen Vormittag etwas ganz Besonderes. Er lässt Licht durch ein Prisma scheinen und zaubert sich so eine Art Regenbogen auf den Arbeitstisch. Das so in seine einzelnen Spektralbereiche zerlegte weiße Licht nutzt er, um in jeden der sichtbaren Farbabschnitte jeweils ein Thermometer zu legen, das die unterschiedliche Intensität der Wärmestrahlung erfassen soll. Doch Forschen macht bekanntlich hungrig und so stellt er vor dem Verlassen des Raums die Thermometer zurück in den Ständer, der sich zufällig gleich unterhalb des roten Bereiches befindet und geht erst einmal eilig zum Lunch.
Als er wiederkommt und rein zufällig einen Blick auf die Thermometer wirft, glaubt er seinen Augen nicht zu trauen: Er kann Werte ablesen, die deutlich höher liegen als das, was er eben noch im sichtbaren Spektrum gemessen hatte! Also musste außerhalb dieses Spektrums und unterhalb des roten Randbereiches noch irgend etwas sein, das man zwar nicht sehen, aber durchaus messen und fühlen kann: Der Infrarotbereich. Und so sind am Ende Ordnungsliebe, Hunger und gute Beobachtungsgabe dann auch der eher zufällige Auslöser für eine völlig neue Technik.
Doch was genau hat Herschel nun gesehen? Werfen wir einen kurzen Blick auf das nachfolgende Schema, dann sehen wir, dass sich sowohl unter- als auch oberhalb des sichtbaren Lichts noch weite Bereiche befinden, die sich lediglich durch Messungen erfassen lassen, weil unser Auge dafür schlichtweg ungeeignet ist. Heute interessiert uns allerdings nur der langwelligere Bereich unterhalb des roten Lichtes, der deshalb auch Infrarot-Bereich heißt. Die harte Strahlung bis hin in den Gamma-Bereich schieben wir gedanklich einfach mal beiseite.
Aha, die gute alte Wärmestrahlung also! Man kann sie fühlen (immer wieder gern genommen) – indirekt oder direkt mit gelegentlichen Aua-Effekten – und natürlich auch messen. Normale Thermometer benötigen ja eigentlich einen direkten Kontakt, nur können wir ja nicht mal eben so Muttis Quecksilberthermometer in die Grafikkarte schieben. Deshalb spielt die berührungsfreie Messung immer dann eine Rolle, wenn der direkte Kontakt über Sensoren u.ä. nicht möglich oder zweckmäßig ist. Das merken wir uns bitte.
Ich habe schon öfters den Begriff Spektrum verwendet, doch was verbirgt sich dahinter? Im Endeffekt ist es nichts anderes als die Intensität eines Gemisches elektromagnetischer Wellen als Funktion der Wellenlänge bzw. der Frequenz. Es umfasst insgesamt immerhin einen immensen Wellenlängenbereich von etwa 23 Zehnerpotenzen(!), unterscheidet sich dabei aber in einzelnen Abschnitten durch Entstehung, Erzeugung und Anwendung der Strahlung. Gleich ist jedoch, dass alle Arten dieser Strahlung ähnlichen Gesetzen unterliegen, was z.B. Beugung, Brechung, Reflexion und Polarisation betrifft. Doch dazu auf den nächsten Seiten bei den Messfehler gleich mehr, wir merken uns aber bitte einmal diese Gesetze, denn genau da macht fast jeder schnell eklatante Fehler ohne es zu wissen!
Der eigentliche infrarote Spektralbereich reicht vom unteren Ende des sichtbaren Spektralbereichs (ca. 0,78 μm) bis hinter zu Wellenlängen von 1000 μm. Für unsere Infrarot-Temperaturmessung ist jedoch nur der Wellenlängenbereich von 0,7 bis 14 μm relevant, da die Energiemengen außerhalb schlichtweg zu gering ausfallen, um noch von handelsüblichen Sensoren erfasst werden zu können. Womit wir wieder ganz elegant bei der von mir genutzten echten Infrarotkamera angekommen wären.
- 1 - Grundlagen und etwas vereinfachte Theorie
- 2 - Messen statt schätzen: die hochauflösende Wärmebild-Kamera
- 3 - Eine gute Auflösung ist die halbe Miete
- 4 - Mirroring, Winkel und Raumtemperatur
- 5 - Unterschätzt oder missachtet: Emissionsgrade in der Praxis
- 6 - Durchblick durch Transmission
- 7 - Testsystem und Zusammenfassung
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