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Infrarot-Messung: Fakten, Fake oder bunter Hokuspokus? Die bittere Wahrheit hinter vielen „Wärmebildern“ und die einfachen Gründe

Und warum kein Infrarot Thermometer?

Zunächst müssen wir uns noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass sogar viele der besseren Infrarot-Thermometer auf Grund der Auflösung (Durchmesser des Messbereichs) absolut unbrauchbar für unsere Messungen sind, da lediglich ein Durchschnittswert für die gesamte Fläche ermittelt wird und so viele Details (heiß oder kalt) im Mittelwert dann schlichtweg untergehen. Denn wir messen ja nicht grobmotorisch, sondern wollen auf unserer Technik auch detailliert Hotspots und potentielle Schwachstellen entdecken. Es ist also wie immer eine Frage, was man eigentlich zu messen beabsichtigt!

Das Kernproblem ist auch hier der Emissionsgrad. Bei billigeren Geräten ist dieser fest voreingestellt und kann nicht geändert werden. Leider sind meist feste Vorgaben von 0,95 Standard. Während viele (aluminiumfreien) Lacke und die meisten matten Farbanstriche noch zwischen 0,9 und 0,97 liegen und damit ins Schema passen, sind Metalle und sogar Holz, Leder oder Beton bereits außen vor. Wasser geht gerade so, Glas kann oder eben auch nicht, je nach Zusammensetzung.

Öffnungswinkel und Verhältnis von Entfernung und Durchmesser des Messpunktes

Was man außerdem unbedingt beachten muss, ist der tatsächliche Messpunkt. Selbst bei guten Thermometern  findet man selten weniger als ein Verhältnis von 20:1 zwischen Entfernung zum Objekt und Durchmesser des erfassten Areals vor! Man misst also fast immer die Umgebung mit, was ebenfalls zu Verfälschungen führt, denn angezeigt wird am Ende immer nur der Durchschnitt! Gute Handthermometer, die über eine Emissionswertvorgabe und eine ausgeklügelte Laser-Positionierungshilfe verfügen, kosten etwa 150 Euro (inkl. MwSt.) oder mehr und man muss schon echt Glück haben, wenn man unter 100 Euro überhaupt noch etwas Brauchbares findet. Die nachfolgenden beiden Grafiken zeigen den ca. 2 cm großen Messfleck eines Infrarot-Thermometers:

Front mit Spannungswandlern und jeder Menge unerwünschter Cold-Spots im Messfleck
Rückseite des gleichen Messbereichs mit vielen, nicht exakt messbaren metallischen Lötstellen

Zu den Problemen mit den unterschiedlichen Emissionsgraden der verschiedensten Oberflächen – und wie wir uns selbst im konkreten Fall vor Fehlern schützen – kommen wir gleich auf den nächsten Seiten.

Messen statt schätzen: die hochauflösende Wärmebild-Kamera samt Software

Kommen wir nun zum Equipment in Form einer Optris PI 640i, den am Ende wird nur eine gut auflösende Kamera das Mittel der Wahl sein. Doch stopp: Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Immerhin handelt es sich ja bei meinem Tool nicht um eine herkömmliche Videokamera, sondern um ein wesentlich komplexeres Gebilde, auch wenn viele Grundprinzipien gleich sind. Daher will ich noch einmal ganz kurz auf die Wirkungsweise und den Aufbau eingehen, weil man schnell merken wird, das die typischen End-User-Handlungsabläufe á la einschalten, draufhalten und glücklich sein so gar nicht funktionieren können.

Meine Kamera im Labor arbeitet auf der Basis eines Bolometers im Bereich zwischen 8 bis 14 µm. Bei diesen Bolometern wird die Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstands ausgenutzt, der sich sich bei der Absorption von Wärmestrahlung ändert und damit auch die an ihm abfallende Signalspannung. Damit man am Ende diese Werte aber auch als zweidimensionales Abbild umsetzen kann, benötigt man viele solcher neben- und untereinander liegender Widerstände ein Form einer Matrix. Diese sogenannte FPAs (Focal Plane Arrays) werden für die Infrarotkameras auf der Basis von Dünnschichtbolometern hergestellt. 

Mit einer Rate von 32 Hz liefert mir die PI 640i Echtzeit-Wärmebilder in echter VGA Auflösung (640 x 480 Pixel), die via USB auf ein separates System übertragen werden, so dass man jede Vorschau auch als (radiometrisches) Bild oder Video aufzeichnen kann. Mit einer thermischen Empfindlichkeit von 40 mK eignet sie sich speziell zur Erkennung minimaler Temperaturunterschiede, was uns natürlich sehr entgegenkommt.

Am Ende kann man nämlich ohne die Kenntnis der wichtigsten theoretischen Grundlagen alles Mögliche messen – nur eben nicht das, was man wirklich benötigt und eigentlich messen will. Deshalb will ich nach der Vorstellung meiner Technik auf den folgenden Seiten auch schildern, was so alles schief gehen kann und worauf man als Leser beim Einordnen von Infrarot-Messergebnissen aus unterschiedlichen Quellen stets achten sollte, wenn es um Vertrauen und Plausibilität geht.

Es gibt viele Gründe, warum ich auf den Einsatz von bequemen „Handhelds“ verzichte und stattdessen eine Kamera nutze, die stationär befestigt werden kann und die sich mit echten und hochwertigen Wechselobjektiven den jeweiligen Messaufbauten (Entfernung, zu erfassende Fläche) optimal anpassen lässt. Allerdings erfordert diese Art des Einsatzes auch einen erhöhten Arbeits- und Zeitaufwand beim exakten Einrichten und Kalibrieren. Nur kommt dieser auch den Lesern zugute – und genau darum geht es ja letztendlich.

Doch bevor wir auf unsere konkreten Messmethoden und -aufbauten eingehen, wollen wir zunächst unsere IR-Kamera Optris PI 640i kurz vorstellen, die in dieser Form (völlig zu Unrecht) weniger bekannt sein dürfte, obwohl man bei richtiger Handhabung wirklich verlässliche Messungen durchführen kann. Rein preislich gesehen ist sie nämlich gegenüber bestimmten Handhelds sogar eine günstigere Alternative mit deutlich mehr Möglichkeiten und einer am Ende auch höheren Genauigkeit, auch wenn sie meist fest installiert im Industriesektor zu Hause ist.

Allerdings verbergen sich hinter solchen Geräten nicht nur umfangreiche Entwicklungs- und Produktionsprozesse, sondern auch eine aufwändige Kalibrierung und Wartung. Ohne die regelmäßige Kalibrierung nützt nämlich auch die tollste Technik nichts, denn Verstellen und Altern kann vieles über die Zeit der täglichen Anwendung. Außerdem sollte natürlich auch alles auf dem technischen Höchtststand sein, so dass immer neue Geräte entwickelt werden müssen.

Noch einmal kurz die technischen Daten im Überblick, bevor wir genauer auf unsere Messungen eingehen werden:

Technische Daten der IR-Kamera Optris PI 640i
Detektor: FPA, ungekühlt (17 μm x 17 μm)
Optische Auflösung: 640 x 480 Pixel
Spektralbereich: 7,5 bis 13 µm
Temperaturbereiche:
-20 °C bis 100 °C
0 °C bis 250 °C
150 °C bis 900 °C
Bildwiederholungsfrequenz: 32 Hz / 125 Hz (640 x 120)
Optiken (FOV): 33° x 25° FOV / f = 18,7 mm oder
15° x 11° FOV / f = 41,5 mm oder
60° x 45° FOV / f = 10,5 mm oder
90° x 66° FOV / f = 7,3 mm
Thermische Empfindlichkeit (NETD): 40 mK
Systemgenauigkeit: ± 2 °C oder ± 2 %
Schnittstellen:
PC-Schnittstelle USB 2.0
Prozess-Schnittstelle (PIF):
0 bis 10 Volt Eingang, digitaler Eingang, 0 bis 10 Volt Ausgang
Gehäuse
(Größe / Schutzklasse / Gewicht):
4,6 x 5,6 x 9,0 cm
IP 67 (NEMA 4)
320 g inkl. Standard-Objektiv
Schock / Vibration: 25G, IEC 68-2-29 / 2G, IEC 68-2-6
Lieferumfang:

USB-Kamera mit 1 Objektiv
USB-Kabel (1 m)
Tischstativ
PIF-Kabel mit Anschlussklemmleiste (1 m)
Softwarepaket Optris PI Connect
Robuster Outdoor-Transportkoffer (IP67)

Jetzt gilt es!

 

Kommentar

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RedF

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4,659 Kommentare 2,551 Likes

Das IR-Kamera Messungen nicht ohne sind war mir bekannt. Jetzt weiß ich auch warum : ).

Danke für den Artikel.

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S
SpiritWolf448

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120 Kommentare 33 Likes

Toller und informativer Artikel, und das am frühen Morgen. Das ist doch mal eine schöne Art, in die Woche zu starten. :love:

Danke dafür, Igor. (y)

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D
Deridex

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2,213 Kommentare 846 Likes

Das ist eigentlich recht weit vom "bunten Hokuspokus" entfernt.

Nur gilt bei der Thermografie noch mehr die Grundregel beim Messen:

Man muss immer beachten was genau man eigentlich misst und welchen Einfluss die Messung selbst hat.

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ipat66

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1,355 Kommentare 1,355 Likes

Gutes Video !!
Schöne Zusammenfassung Deines letzten Exkurses über dieses Thema.
Die halbe Stunde ging rum wie im Flug.

Ich muss auch immer grinsen,wenn Smartphonebesitzer über ihre verbauten Objektive sprechen....

Witziges Shirt...:)

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Igor Wallossek

1

10,185 Kommentare 18,779 Likes

Und genau deshalb ist das, was die kleinen Wunderkisten beim falschen Adressaten suggerieren, wirklich nur Hokuspokus. Für Unterwegs, wenn man mal Hotspots an einer PV-Anlage suchen muss, ist so ein CAT mit FLIR-Wärmesucher faktisch unersetzlich. Aber messen kann man damit wirklich nichts. :D

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g
goch

Veteran

471 Kommentare 181 Likes

Ganz toller Artikel! Es ist immer schön, auch mal einen tieferen Einblick hinter die Test-Kulissen zu bekommen.

Vor allem aber, in einem aktuellen Artikel (kein Retro!) einmal wieder etwas von "VGA Auflösung (640 x 480 Pixel)" als hochauflösend zu lesen, ist doch mal eine schöne Erinnerung an unterschiedliche Perspektiven zum Wochenstart.

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Megaone

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1,745 Kommentare 1,644 Likes

Wie war der Filmtitel nochmal?

Denn sie wissen nicht, was sie tun! ;-)

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Mr. Self Destruct

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20 Kommentare 6 Likes

Vielleicht sollte man hier auch nochmal klarstellen, dass man keine Rückschlüsse von der Messung eines Bauteils auf die Temperatur eines anderen Bauteils machen darf. Beispiel Wärmebild eines heißeren CPU-Kühlers bedeutet nicht zwangsläufig eine heißere CPU
Siehe dazu auch das Video vom Gamers Nexus When Thermal Cameras Shouldn't Be Used (PS5, Xbox, CPU Coolers, & Cases)
Da spielen viele ebenso viele Faktoren und Missverständnisse mit rein.

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D
Deridex

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2,213 Kommentare 846 Likes

Btw: Mir wurde mal erklärt, dass man mindestens eine Fläche von 3x3px braucht um in der Mitte davon einen verwendbaren Wert zu bekommen.

@Mr. Self Destruct
Man muss halt wissen was man misst (Die Temperatur an der Oberfläche stellenweise auch lackiert usw.) und was nicht (Junction Temperatur usw.)

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v
vonXanten

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Sehr schöner Artikel!

Leider interessieren sich viele nicht einmal für einfache Grundlagen und Vertrauen allem was so angezeigt wird blind (egal ob das Sinn macht oder nicht) steht ja da und Fehler macht ja keiner.
Wenn es dann noch ein wenig komplizierter wird, ohje.
Habe in der letzten Woche die Frage bekommen: "Wozu benötigt man eine Fehlerbetrachtung, bei der Aufnahme von Messwerten?" 😭
Vllt wäre da Igors Artikel genau das Richtige + im Nachgang dann eine Zusammenfassung in eigenen Worten. Da es auch ein Video gibt, aber das ist über 10min, solange reicht dann die Aufmerksamkeit bei 90% nicht.

@Megaone ist der Kassenschlager an den Lehranstalten 😑 wobei Doppel e passender wäre... Mit dem was Sie nicht wissen, können noch 3 durchfallen.

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Igor Wallossek

1

10,185 Kommentare 18,779 Likes

Unser Prof meinte immer zu solchen Spezis:
Mit Ihrem Wissen können Sie gern auch als diplomierte Ostseeboje anfangen. Sie sind so hohl, dass Sie mit Sicherheit nie untergehen werden... 💪😜👍

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RedF

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4,659 Kommentare 2,551 Likes

Bin da etwas uninformiert in meiner Blase.
Welches Video war der Auslöser?

Der Käse König?

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Igor Wallossek

1

10,185 Kommentare 18,779 Likes
v
vonXanten

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803 Kommentare 335 Likes

@Igor Wallossek der ist auch gut, aber Ostsee wäre zu weit weg.
Aber in der Elbe gibt es ja auch welche! 🥴

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Alkbert

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931 Kommentare 706 Likes

Gut, dass ich nix messen, sondern nur gucken muss und für den Entschluss dass ich neue Fenster brauche hat schon meine Flir one gereicht.

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e
eastcoast_pete

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1,466 Kommentare 826 Likes

Sehr guter Artikel, und auch das Video kann ich empfehlen! Wieder was gelernt. Danke, solche Hintergrund Artikel sind immer noch ein Grund, hier oft vorbeizuschauen.

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N
Name

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75 Kommentare 14 Likes

Vielen Dank für die gute Erklärung der Grundsätze. Einmal für mich persönlich super und auch echt hilfreich um andere Leute in aussichtslosen Diskussion auf deinen Artikel zu verweisen.

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DrWandel

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80 Kommentare 61 Likes

Vielen Dank für den Artikel und das Video. Besonders gut gefallen hat mir der historische Exkurs in Richtung Herschel. Wenn Physiklehrer in der Oberstufe so toll und anschaulich erklären könnten, hätten wir vermutlich weniger Probleme mit dem MINT-Nachwuchs (kein Thema bei mir selbst - hatte Phsyik-Leistungskurs und bin Ingenieur).

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B
Besterino

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6,716 Kommentare 3,318 Likes

Bei uns an der Schule ist die MINT-AG sehr gut besucht (überbucht)...

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Danke für die Spende



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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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