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Infrarot-Messung: Fakten, Fake oder bunter Hokuspokus? Die bittere Wahrheit hinter vielen „Wärmebildern“ und die einfachen Gründe

Nichts ist besser als noch mehr Pixel

Wenn man sich vor Augen hält, wie hoch (oder besser niedrig) die Auflösung herkömmlicher Infrarot-Kameras eigentlich ist und wie groß die zu überwachende Fläche samt vieler, oft sehr winziger Details (z.B. Pins), dann wird man sehr schnell begreifen, das viele Messungen gar nicht genau sein können – auch wenn man guten Glaubens ist, es wäre so. Genau diesem Irrglauben ist der Kollege auf dem Introbild erlegen, der einen Infrarot-Aufsatz mit einem kleinen, winzigen Bolometer nutzt.

Das Scannen von thermischen Hotspots ist alles Mögliche, nur keine belastbare und seriöse Messung (YouTube)

FLIR bietet mittlerweile recht günstige Bolometer an, die aber mit 80 x 60 Pixeln jedoch keine wirklich brauchbare Auflösung bieten, aber immer dann verbaut werden, wenn es möglichst preiswert und klein sein muss (siehe Bild oben). Da muss dann, wie im ersten Slider nachgestellt, sehr extrem interpoliert werden, will man eine größere Fläche darstellen. Die Übergangsstellen und fehlenden Pixel werden ganz einfach hochgerechnet, wobei fast alle Details auf der Strecke bleiben. Das ist weder brauchbar, noch ehrlich, aber dazu komme ich gleich noch. Exemplarisch für den extremen Informationsverlust ist z.B. links der Hotspot beim Shunt der Spannungsversorgung. Aber wenn man hier mal genauer hinschaut, dann merkt man schon, dass so etwas nicht mehr als Messung durchgehen kann.

Doch die Hersteller der Geräte mit den winzigen Bolometern sind clever, denn mit so einem „Bild“ kann man keine Käufer anlocken und abzocken. Deshalb verwenden viele der Anbieter neben einer anderen, viel bunteren Farbskala vor allem den Trick mit der sogenannten Superposition. Hier wird sehr oft das Bild einer normalen und günstigen Schwarz-Weiß-Kamera mit VGA-Auflösung (640 x 480 Pixel) mit dem interpolierten Resultat des kleinen Bolometers (80 x 60 Pixel) überlagert. Mit einfachen Algorithmen rechnet der Bildprozessor die Konturen des VGA-Bildes heraus und mischt beide Bilder. Der nachfolgende Slider zeigt, wie plötzlich ein vermeintlich detailreiches Bild entsteht, das aber nur auf 80 x 60 echten Messpunkten basiert, die dann aber im Resultat allesamt ungenau sind:

Wir sehen, es ist immer noch der gleiche Unfug, aber es sieht gleich 1000 Euro teurer aus und soll die Kunden beeindrucken. Viel Lärm um nichts, aber gern verwendet, leider. Der nächste Slider zeigt uns abschließend, wie genau so ein 480p-Bolometer die Daten erfassen kann, denn selbst die kleinen Lötpunkte (Metall) sind deckungsgleich zur VGA-Grafik, die man hier überhaupt nicht benötigt!

 

Extreme Messfehler durch zu niedrige Auflösung

Leider kann man mit niedrigauflösenden Kameras nicht so weit an das zu messende Objekt herangehen, wie man es eigentlich gern hätte, um trotzdem bestimmte Details besser erfassen zu können. Hier sind durch die jeweilige Optik sehr harte physikalische Grenzen gesetzt. Wir nutzen bei unseren Messungen je nach Messobjekt, Detailgrad und Objektiv Abstände zwischen 10 und 150 cm. Selbst mit Kameras, die lediglich eine 320p-Auflösung bieten, kann man noch einigermaßen exakt messen, solange die Optik und der Abstand stimmen. Das Rechteck zeigt den erfassten Bereich, für den so eine Kamera noch einen brauchbaren Mittelwert errechnet und ausgibt.

Bei noch viel kleineren Auflösungen wird es allerdings kritisch. Will man die gesamte Karte erfassen, dann erfasst man ungewollt auch deutlich kältere Bereiche (Pins und Lötaugen mit merklich niedrigerem Emissionsgrad), so dass die ausgegebene Durchschnittstemperatur stets deutlich zu niedrig ausfällt. Nur merkt es der Messende gar nicht! Die so gewonnenen Werte sind so ungenau, dass es keine Messung mehr ist, sondern maximal noch eine Art Schätzung.

Im direkten Vergleich zwischen einem Handheld mit briefmarkengroßem Bild und der hochauflösenden Kamera können trotz Emissionsgrad-Vorgabe bei den VRM locker schon mal bis zu 10 °C Messunterschied (und mehr) herauskommen, wenn man keine wirklich zielsichere Hand hat. Ich habe ja oft genug bereits beschrieben, wie so eine Infrarotkamera funktioniert und wie die verbaute Matrix auf Wärmestrahlung reagiert. Deshalb sparen wir uns diesen Teil an dieser Stelle.

Auf der nächsten Seite wollen wir uns aber generellen Fehlern widmen, die man immer wieder bei Messungen sieht und die zu sehr ungenauen oder nicht verwertbaren Ergebnissen führen können. Ich schrieb ja bereits über Brechung, Beugung und andere Dinge und bat Euch auch, sich das einmal zu merken.

 

Kommentar

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RedF

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4,601 Kommentare 2,521 Likes

Das IR-Kamera Messungen nicht ohne sind war mir bekannt. Jetzt weiß ich auch warum : ).

Danke für den Artikel.

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S
SpiritWolf448

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Toller und informativer Artikel, und das am frühen Morgen. Das ist doch mal eine schöne Art, in die Woche zu starten. :love:

Danke dafür, Igor. (y)

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D
Deridex

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2,204 Kommentare 843 Likes

Das ist eigentlich recht weit vom "bunten Hokuspokus" entfernt.

Nur gilt bei der Thermografie noch mehr die Grundregel beim Messen:

Man muss immer beachten was genau man eigentlich misst und welchen Einfluss die Messung selbst hat.

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ipat66

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1,343 Kommentare 1,335 Likes

Gutes Video !!
Schöne Zusammenfassung Deines letzten Exkurses über dieses Thema.
Die halbe Stunde ging rum wie im Flug.

Ich muss auch immer grinsen,wenn Smartphonebesitzer über ihre verbauten Objektive sprechen....

Witziges Shirt...:)

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Igor Wallossek

1

10,105 Kommentare 18,594 Likes

Und genau deshalb ist das, was die kleinen Wunderkisten beim falschen Adressaten suggerieren, wirklich nur Hokuspokus. Für Unterwegs, wenn man mal Hotspots an einer PV-Anlage suchen muss, ist so ein CAT mit FLIR-Wärmesucher faktisch unersetzlich. Aber messen kann man damit wirklich nichts. :D

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g
goch

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466 Kommentare 178 Likes

Ganz toller Artikel! Es ist immer schön, auch mal einen tieferen Einblick hinter die Test-Kulissen zu bekommen.

Vor allem aber, in einem aktuellen Artikel (kein Retro!) einmal wieder etwas von "VGA Auflösung (640 x 480 Pixel)" als hochauflösend zu lesen, ist doch mal eine schöne Erinnerung an unterschiedliche Perspektiven zum Wochenstart.

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Megaone

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1,703 Kommentare 1,600 Likes

Wie war der Filmtitel nochmal?

Denn sie wissen nicht, was sie tun! ;-)

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Mr. Self Destruct

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19 Kommentare 6 Likes

Vielleicht sollte man hier auch nochmal klarstellen, dass man keine Rückschlüsse von der Messung eines Bauteils auf die Temperatur eines anderen Bauteils machen darf. Beispiel Wärmebild eines heißeren CPU-Kühlers bedeutet nicht zwangsläufig eine heißere CPU
Siehe dazu auch das Video vom Gamers Nexus When Thermal Cameras Shouldn't Be Used (PS5, Xbox, CPU Coolers, & Cases)
Da spielen viele ebenso viele Faktoren und Missverständnisse mit rein.

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D
Deridex

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2,204 Kommentare 843 Likes

Btw: Mir wurde mal erklärt, dass man mindestens eine Fläche von 3x3px braucht um in der Mitte davon einen verwendbaren Wert zu bekommen.

@Mr. Self Destruct
Man muss halt wissen was man misst (Die Temperatur an der Oberfläche stellenweise auch lackiert usw.) und was nicht (Junction Temperatur usw.)

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v
vonXanten

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801 Kommentare 335 Likes

Sehr schöner Artikel!

Leider interessieren sich viele nicht einmal für einfache Grundlagen und Vertrauen allem was so angezeigt wird blind (egal ob das Sinn macht oder nicht) steht ja da und Fehler macht ja keiner.
Wenn es dann noch ein wenig komplizierter wird, ohje.
Habe in der letzten Woche die Frage bekommen: "Wozu benötigt man eine Fehlerbetrachtung, bei der Aufnahme von Messwerten?" 😭
Vllt wäre da Igors Artikel genau das Richtige + im Nachgang dann eine Zusammenfassung in eigenen Worten. Da es auch ein Video gibt, aber das ist über 10min, solange reicht dann die Aufmerksamkeit bei 90% nicht.

@Megaone ist der Kassenschlager an den Lehranstalten 😑 wobei Doppel e passender wäre... Mit dem was Sie nicht wissen, können noch 3 durchfallen.

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Igor Wallossek

1

10,105 Kommentare 18,594 Likes

Unser Prof meinte immer zu solchen Spezis:
Mit Ihrem Wissen können Sie gern auch als diplomierte Ostseeboje anfangen. Sie sind so hohl, dass Sie mit Sicherheit nie untergehen werden... 💪😜👍

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RedF

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4,601 Kommentare 2,521 Likes

Bin da etwas uninformiert in meiner Blase.
Welches Video war der Auslöser?

Der Käse König?

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Igor Wallossek

1

10,105 Kommentare 18,594 Likes
v
vonXanten

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801 Kommentare 335 Likes

@Igor Wallossek der ist auch gut, aber Ostsee wäre zu weit weg.
Aber in der Elbe gibt es ja auch welche! 🥴

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Alkbert

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926 Kommentare 703 Likes

Gut, dass ich nix messen, sondern nur gucken muss und für den Entschluss dass ich neue Fenster brauche hat schon meine Flir one gereicht.

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e
eastcoast_pete

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1,404 Kommentare 768 Likes

Sehr guter Artikel, und auch das Video kann ich empfehlen! Wieder was gelernt. Danke, solche Hintergrund Artikel sind immer noch ein Grund, hier oft vorbeizuschauen.

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N
Name

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75 Kommentare 14 Likes

Vielen Dank für die gute Erklärung der Grundsätze. Einmal für mich persönlich super und auch echt hilfreich um andere Leute in aussichtslosen Diskussion auf deinen Artikel zu verweisen.

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DrWandel

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79 Kommentare 61 Likes

Vielen Dank für den Artikel und das Video. Besonders gut gefallen hat mir der historische Exkurs in Richtung Herschel. Wenn Physiklehrer in der Oberstufe so toll und anschaulich erklären könnten, hätten wir vermutlich weniger Probleme mit dem MINT-Nachwuchs (kein Thema bei mir selbst - hatte Phsyik-Leistungskurs und bin Ingenieur).

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B
Besterino

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6,671 Kommentare 3,265 Likes

Bei uns an der Schule ist die MINT-AG sehr gut besucht (überbucht)...

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Danke für die Spende



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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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