Ich habe mich damals nach über 50 (mittlerweile sind es weit über 120) getesteten Headsets und mobilen PC-Audio-Geräten gefragt, was eigentlich dieser sagenumwobene Gaming-Sound überhaupt sein soll. Da wurde ja oft (vorgeblich) mit Pro-Gamern entwickelt, dass die Schwarte nur so kracht, und jedes neue Headset sollte dann vor allem bei First-Person-Shootern noch mehr unschlagbare Vorteile bieten. Meine damalige Kritik wurde auch von Händlern und Nutznießern des Gaming-Wahns aufgegriffen und selbst Saturn musste unlängst mal jemanden vorschicken, der in der eigenen Hauspostille dann findet: “Gaming-Headsets sind jetzt richtig gut – allen Vorurteilen zum Trotz”. Nur sollte man nicht vergessen, dass Saturn selbst vom Hype profitiert und die von mir kritisierten Produkte dort gar nicht vorkommen und wer den Artikel bezahlt hat. Teuer geht immer, auch in gut. Aber was ist mit den Produkten unter 100 Euro (uHu) ?
Angepasster Sound, Raumklang, “Trittschallerkennung” und was noch alles an sonstigen Dingen – dabei ist den meisten sicher gar nicht klar, was Gaming-Geräusche eigentlich sind und welche Frequenzspektren im Einzelnen wirklich dahinter stecken.
Ich möchte unserem kleinen Exkurs aber zunächst noch ein paar Marketing-Stilblüten voranstellen, die zum Teil so aufgeblasen sind, als erwerbe man das Nonplusultra der technischen Machbarkeit und müsse den Entwicklern noch kniefällig dafür danken, das man an der Revolution des Gamer-Seins überhaupt teilhaben darf.
Werden Sie ein Trendsetter! Das einzigartige Design sorgt dafür, dass Sie mit diesen Kopfhörern hervorstechen. Es wird nicht lange dauern, bis jemand Sie fragt, wo Sie sie gekauft haben. Während wir die modischen und trendigen Kopfhörer entworfen haben, haben wir stets darauf geachtet, dass die Ohren-Pads weich und komfortabel und somit den ganzen Tag lang tragbar sind. Die Lautsprecher sorgen für kristallklaren HiFi-Klang mit enormer Klangweite und klaren Tönen.
Nicht schlecht, HiFi für unter 20 Euro ist eine Kampfansage! Aber nur im Prospekt, leider. Oder begeben wir uns vertrauensvoll in blühende Klanglandschaften:
Mit seinen noch nie dagewesenen 60mm-Neodym-Lautsprechern bietet es eine gewaltige Klanglandschaft und markerschütternden Bass.
Ja klar, markerschütternd war aber nur der Preis von anfangs 150 Euro, der Klang gehörte eher in die 50-Euro-Klasse.
Das xxxxx USB Headset aus dem Hause xxxxx wurde in Zusammenarbeit mit professionellen Gamern entwickelt. Besondere Features wie speziell angepasste Equalizer Einstellungen sollen dem professionellen Zocker das harte Ego Shooter Leben erleichtern.
Lustig, denn für die meisten Geräusche – das werden wir noch sehen und untermauern – sind Equalizer-Experimente pures Gift. Abschließend vielleicht noch dies hier, denn schwülstiger und selbstverliebter geht es eigentlich (n)immer:
Bei xxxxxxxx begeistern wir uns für die Technik, die Gamer erst zu Gewinnern macht. Wir entwickeln präzise Gaming-Geräte. Wir entwickeln die Technologie, mit der sich Gamer in Sachen Speed, Präzision, Zuverlässigkeit und Komfort stets auf dem höchsten Level bewegen. Technik ist unsere Philosophie, unser Leitmotiv beim Erforschen, Testen und Weiterentwickeln des optimalen Gaming-Erlebnisses – im Labor wie im Spiel.
Was haben wir nun genau vor?
Um zu begreifen, dass das klanglich beste und neutralste Kopfhörerpaar mit möglichst großer Bühne und exzellenter Auflösung wirklich die beste Lösung ist, muss man sich die Gaming-relevanten Waffen-, Umgebungs-, Fahrzeug- und Flugzeuggeräusche genauso vor Augen führen, wie die unterschiedlichen Stimmen bei der Sprachwiedergabe. Außerdem muss man in Frequenzumfang und Verlaufskurve, Auflösung und Detailtreue sowie die räumliche Ortung bzw. Bühne trennen.
Um zu veranschaulichen, was man mit Sounding – also dem absichtlichen Verfälschen der Wiedergabe durch Unter- und Überbetonung einzelner Frequenzbereiche – so alles falsch machen kann, hier zunächst zwei exemplarisch ausgesuchte Headsets. Die dicke weiße Linie kennzeichnet den Frequenzverlauf unseres mehr oder weniger neutralen Referenzkopfhörers (Beyerdynamic Custom One Pro), die roten Bereiche die über- und die blauen Bereiche die deutlich unterbetonten Frequenzbereiche.
Zunächst betrachten wir ein durchschnittliches Stereo-Gaming-Headset mit dem typischen Badewannensound, bei dem Bässe und Höhen deutlich überbetont werden und mehr Schein als Sein präsentieren. Die Spitze bei einem Kilohertz ist zudem der Honigtopf für die Standardmessungen, bei denen die 1-kHz-Marke immer als Bezugspunkt gewählt wird:
Die Krönung der Evolution sollen ja laut den Marketing-Spezialisten “echte” Mehrkanal-Headsets (5.1 oder 7.1) sein, die zudem mehrere Treiber pro Kopfhörer und oft auch noch eine Art speziellen Subwoofer enthalten. Wie so ein teures Headset dann aber auch als klangliches U-Boot stranden kann, haben wir in einem unserer Tests ja bereits schon erfahren können:
Warum zur Hölle verkauft man solche klanglichen Fehlleistungen dann aber als Gamer-Peripherie? Kann es vielleicht doch sein, dass vor allem Schleich-Shooter oder wildes Kampfgetümmel ganz eigene Herausforderungen bereithalten und die Frequenzereiche der relevanten Geräusche so schmalbandig ausfallen, dass sich ein Sounding wirklich lohnt? Wir werden uns auf die Spurensuche begeben und genau das testen. Versprochen.
Messaufbau und Grundlagen
Nun schlägt die Stunde der Wahrheit, mal wieder. Der Testaufbau ist final und die Basis bleibt das bekannte Messmikrofon, dass sich ja bereits für die In-Ears bewährt hat. Die Anregungen für die Realisierung habe ich bei Oratory gefunden. Generell gilt, dass man zur Messung des Übertragungsverhaltens von Kopfhörern sogenannte Kuppler mit klar definierten Volumina und fest eingebauten, sauber kalibrierten Messmikrofonen nutzt. Der Rest orientiert sich dann auch am zu messenden Objekt.
Für Einsteckhörer (In-Ears) und Kleinhörer (z.B. aus Hörgeräten) lässt sich der Aufbau genauso gut nutzen, wie für einfachere Kopfhörer und Headsets als sogenannte On-Ears (Kopfhörer mit supraauralen Kissen). Für solche Kopfhörer (On-Ear) ist das „künstliche Ohr“ nach IEC 318 brauchbar, an das ich mich mit der Umsetzung nunmehr gehalten habe. Dazu kommt die Creative AE-9 als Soundkarte, an der das Messmikrofon rauscharm genug angeschlossen ist. Als Ausgang für das Headset nutze ich einen HIFIMAN EF400 für die Ansteuerung der Kopfhörer, da das analog per Klinke möglich ist.
Die dicken Over-Ears, also circumaurale bzw. Ohr-umschließende Kopfhörer, sind nicht einfach zu handhaben, wenn es um die Messung und vor allem um die Reproduzierbarkeit geht. Denn genau dafür gibt es ja noch gar keine wirklich genormten Kuppler. Die Gründe dafür liegen in Schwierigkeiten der Messtechnik und den vielen beeinflussenden Faktoren begründet, die eine sichere Reproduzierbarkeit fast unmöglich machen. Daher werden solche circumaurale Kopfhörer überwiegend mit entsprechend umgebauten Kupplern für supraaurale Kopfhörer gemessen, indem man zusätzlich eine eine flache Platte als Auflage für das circumaurale Kissen nutzt (siehe Bild oben).
- 1 - Fragestellung: Marketing oder echter Vorteil?
- 2 - Räumliches Hören und jede Menge Voodoo
- 3 - Von Tönen, Klängen und Geräuschen
- 4 - Analysiert: Die menschliche Sprache
- 5 - Analysiert: Schritte und Bewegungen
- 6 - Analysiert: Schusswaffengeräusche und Explosionen
- 7 - Analysiert: Transportmittel und örtliche Situationen
- 8 - Zusammenfassung und Fazit
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