Grundlagenartikel Kühlung Testberichte Wärmeleitpaste und Pads

Tiefenprüfung Wärmeleitpaste (ArcticMX-4): Mit Rasterelektronenmikroskop und Röntgenspektroskopie auf Schlangenöl-Suche. Was ist drin?

Um es ganz genau zu beschreiben, da sonst die Überschrift zu lang geworden wäre: Wir werden heute mit dem Feldemissions-Rasterelektronenmikroskop (FE-SEM) und mit Hilfe der energiedispersiven Röntgenspektroskopie (EDX) einmal genauer analysieren, was nun wirklich in einer der beliebtesten (und auch günstigeren) Wärmeleitpaste in Form der Arctic MX-4 überhaupt drin ist. Der Hintergrund ist klar, denn einerseits möchte ich einmal wissen, warum genau dieses Produkt so langzeitstabil und dabei doch noch günstig ist und andererseits war auch die technische Herausforderung nicht ganz ohne.

Mein aufrichtiger Dank geht hier an erster Stelle natürlich auch an einen meiner Industrie-Partner, wo man selbstlos und in der freien Zeit die passenden Untersuchungen und auch die nötigen technischen Vorarbeiten realisiert hat.  Dazu kommen auch die technische Beratung und die praktische Umsetzung der doch etwas branchenfremden Tests. Originalbilder aus dem Labor können und dürfen wir Euch leider aus nachvollziehbaren Gründen der Geheimhaltung in solchen Bereichen nicht bieten, aber die Produktbilder tun es sicher auch.

Symbolbild des verwendeten GeminiSEM 500 (Source Carl Zeiss)

Der Weg bis zu fertigen Analyse war also gar nicht so einfach und wir hatten ja auch bereits angeregte Diskussionen im Forum auf die vorab veröffentlichten Bilder des Rasterelektronenmikroskops (REM), weil ja manche unsere Leser aus sehr artverwandten Bereichen kommen. Nun ist es allerdings so, dass wir hier kein Wissenschaftsmagazin sind, sondern eine möglichst breite Masse abholen und auch etwas Hintergrundwissen vermitteln möchten, ohne dass der Leser schon am ersten Absatz verzweifelt. Deshalb habe ich das Folgende doch sehr weit herunterbrechen müssen, hoffe aber, dass es so verständlicher wird und mir die Fachleute trotzdem vergeben.

Scanning Electron Microscope (SEM)

Ich bleibe der Einfachheit halber mal bei SEM, wobei die deutsche Ersetzung REM (für Rasterelektronenmikroskop) ja gleichbedeutend ist. Da aber diese Abkürzungen auch in den Produktnamen auftauchen, belasse ich es besser beim Original. Die Spielarten der Bilderzeugung wie Ruhebild- oder Raster-Elektronenmikroskop, sowie die Realisierung via Transmission (TEM, STEM) oder Rückstreuung (SEM) lasse ich einmal außen vor, da wir hier primär auf ein Reflexionsmikroskop setzen und sich manche der Methoden sogar überlagern können. Im Grunde handelt es sich um eine komplexe Elektronen-Optik, bei der eine Kombination aus elektromagnetischen und elektrostatischen Linsen einen feinen Elektronenstrahl als Raster über den zu testenden, rechteckigen Objektbereich führt. Das finale Bild entsteht dabei durch die synchrone Registrierung eines vom Elektronenstrahl ausgelösten oder beeinflussten Signals.

Es gibt Verfahren, die vorranging auf die Sekundärelektronen (SE) setzen, jedoch interessieren uns vor allem die Rückstreuelektronen (BE bzw. BSE), wobei das Bild der MX-4 oben die BE sehr schön kontrastiert zeigt. Zur Erklärung: Diese BE sind diejenigen Elektronen aus dem Primärstrahl, die an den getroffenen Atomkernen im Nanometerbereich unterhalb der Objektoberfläche dann elastisch gestreut werden. Die Menge der Rückstreuelektronen steht im unmittelbaren Verhältnis zur mittleren Ordnungszahl des untersuchten Materials.

Hier im Bild sehen wir den Vergleich von ZnO zu Al. Das schwerere ZnO hat wesentlich mehr Elektronen in den Schalen als Al. Somit besteht eine größere Wahrscheinlichkeit der Rückstreuung von Primärelektronen. Als Folge kommen mehr Signale am Detektor an. Somit bekommt man durch das Rückstreusignal bereits eine chemische Information: die im Bild heller erscheinenden Anteile haben eine höhere mittlere Ordnungszahl als die dunkler erscheinenden Anteile. Ansonsten gilt natürlich auch: Tieferliegende Bereiche des speziellen Objekts erscheinen dunkler, die näherliegenden hell, was zu einer plastischen und recht kontrastreichen Abbildung führt.

Die messbare Energie dieser Elektronen liegt dabei im Bereich der eingestrahlten Primärelektronen und die resultierende Bildauflösung (je nach eingesetzter Primärenergie) im Mikrometerbereich. Mit Hilfe der Elektronenrückstreubeugung (was für ein Wort)  ließe sich zudem für die Bestimmung bestimmter Materialeigenschaften noch die kristallographische Orientierung der Kristalle an einer Oberfläche nutzen, was aber jetzt wirklich etwas zu weit führen würde.

Eingesetzte Ultim®Max für die Nanoanalyse (Source Oxford Instruments)

Doch wir brauchen für unsere abschließende Analyse auch noch ein weiteres Werkzeug. Wir müssen ja das eingesetzte Rasterelektronenmikroskop noch dazu befähigen, spezielle chemische Analysen an den Oberflächen im Mikrometer-Bereich durchzuführen. Hierfür nutzen wir die energiedispersive Röntgenanalyse (EDX). Durch die Kombination des bildgebenden Rasterverfahrens im SEM mit der EDX ist es auch möglich, schöne Elementverteilungsbilder aufzunehmen (Bild oben). Für die EDX werden die Atome durch einen Elektronenstrahl mit einer ganz bestimmten Energie angeregt, was wiederum zu Röntgenstrahlung mit einer für das jeweilige Element charakteristischen Energie führt. Man nutzt also die entstehende Emission, um einen Aufschluss über die Zusammensetzung der Wärmeleitpaste zu erhalten.

Natürlich ist das Ganze jetzt sehr stark vereinfacht beschrieben, aber so ganz ersparen kann ich es Euch leider nicht. Doch ich kann Euch beruhigen, denn ab der nächsten Seite wird es, auch weil ihr bis hierher so tapfer durchgehalten habt, einfacher und auch unterhaltsamer. Versprochen.

 

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Lucky Luke

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Boah...unglaublich interessante Analyse.
Vielen Dank an dieser Stelle für den (tiefen) Einblick.
Ich bin gespannt darauf, noch mehr von solchen Analysen lesen zu dürfen. Mich würde es nicht wundern, wenn hier der ein oder andere Platzhirsch in wahrsten Sinne des Wortes "abschmiert".
Auf jeden Fall hast du hiermit ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen.
So eine tiefgründige Analyse über Wärmeleitpaste habe ich noch nirgends gelesen.
👌 Chapeau 👍

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Igor Wallossek

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Naja, bedanke Dich bitte auch beim Labor und den großzügigen Gönner solcher Ressourcen. :)
Selbstverständlich sind solche Untersuchungen und das Teilen der Möglichkeiten mit der Allgemeinheit wie uns nämlich nicht ;)

Lass uns mal schauen, ob nicht auch mal ein Platzhirsch p(l)atzt...

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pintie

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Sehr spannend. Danke !
Again what lörned !

Der Vergleich mit anderen wäre wirklich interessant.

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Case39

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Irre...gibt es halt wie immer nur beim Igor💁‍♂️

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K
Kearvaig

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33 Kommentare 9 Likes

Klasse, sehr kurzweilig, und auch schön geschrieben. Vielen Dank für die Mühe.
Mich persönlich würde noch ein Bild einer Kühleroberfläche im gleichen Maßstab interessieren. Damit klarer wird, in welchen Dimensionen die Paste die Vertiefungen im Kühler füllt.

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Igor Wallossek

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Genau das ist ja der Sinn dahinter. Ich plane nämlich einen Grundlagenartikel zu den Oberflächen und was die zweckmäßigste Paste für welchen Zweck sein könnte ;)

Nur ist sowas für alle Beteiligten noch etwas Neuland und es muss schon ordentlich und fundiert vorbereitet werden. Ich habe sogar drei CPUs und eine GPU geopfert, dazu verschiedene Kühler... ;)

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v
vonXanten

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837 Kommentare 373 Likes

Super Analyse, falls es noch mehr gibt wäre ja auch der ein oder andere Rückschluss auf das "Schlangenöl" möglich.

Auch vielen dank an die Beteiligten! Super Einblick in sonst verschlossene Welten.

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Igor Wallossek

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Was glaubst Du, warum ich das mache? Um neue Freunde zu finden bestimmt nicht :P

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Don Omerta

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55 Kommentare 38 Likes

Klasse Artikel, da ist mir die Kinnlade runtergefallen, freue mich schon auf mehr....:)

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HerrRossi

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6,910 Kommentare 2,298 Likes

Sehr interessant (y)

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Lucky Luke

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423 Kommentare 195 Likes

@Igor Wallossek
Natürlich geht auch ein fettes Dankeschön an das Prüflabor samt der dahinterstehenden Belegschaft.
Ich bin gespannt, was ihr so für (böse) Überraschungen aufdeckt.
Denn im Endeffekt ist nicht alles Gold was glänzt 😎

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Igor Wallossek

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11,314 Kommentare 21,482 Likes

... und Fäden zieht ;)

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P
Pokerclock

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603 Kommentare 534 Likes

Immer wieder aufschlussreich, wenn derartige, abartig teure, Geräte zum Einsatz kommen.

Bei WLP bin ich da immer recht pragmatisch herangegangen, auch weil gewisse Mengen im Jahr verbraucht werden. Seit Jahren nutze ich eigentlich nur die MX-2 von Arctic. Leicht aufzutragen, erfüllt ihren Job und das auch für lange Zeit ohne hart zu werden. Da verzichte ich lieber auf ein oder zwei Grad wenn ich die WLP leicht verstreichen kann und mich nicht ewig herumärgern muss. Die MX-5 ist viel zu flüssig und manche von Gelid oder TG wie Knete und deswegen kaum gleichmäßig zu verteilen. Da kann ich definitiv drauf verzichten.

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Igor Wallossek

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11,314 Kommentare 21,482 Likes

Die "Knete" kann man warm machen und verstreichen, oder mit etwas Benzin auflösen, schön dünn applizieren und man muss nur noch warten, bis das Lösungsmittel wieder verdunstet ist. Dann hat man eine wunderschöne, dünne Schicht einer sehr guten Paste. :)

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Pokerclock

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Was sich leider im hektischen Werkstattalltag nicht umsetzen lässt. Aber für den Privatgebrauch guter Tipp.

Ansonsten gibt es ja noch die Gleitfreude als ultimativen WLP-Ersatz.

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Epistolarius

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33 Kommentare 5 Likes

Habe mir zuletzt auch MX-2 in der 30g Packung "gegönnt", und dafür weniger bezahlt als der Ersatz meiner vorherigen 3.5g Noctua NT-H1 gekostet hätte (und natürlich noch weniger als NT-H2 oder andere ganz teure Pasten wie Kryonaut Extreme). Der Unterschied der beiden auf einem 5900X im Alltag ist meiner Erfahrung nach zu vernachlässigen, was nicht dem entspricht, was PCGH vor 6-7 Jahren mal getestet hatte... Mich interessiert jetzt nur noch die Langlebigkeit, hoffentlich gleich oder besser als die Noctua.

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Pokerclock

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@Epistolarius

Es kamen die Tage ein paar Miet-PCs mit einem 3700X und dem Boxed Wraith Prism Kühler zurück. Die vorab aufgetragene Standard-Paste von AMD/CM wird immer vorher entfernt, weil damals viel zu viel und man zu 100% die CPU gleich mit aus dem Sockel rausgerissen hat.

Die sind so wie ich den Kunden einschätze (und sie von innen auch aussahen...) täglich gelaufen und waren knapp zwei Jahre unterwegs. Die Paste war nach wie vor fluffig. Also zwei Jahre normale Nutzung ohne Wechseln ist drin.

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Casi030

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11,923 Kommentare 2,340 Likes

Wie schaut die Paste mit 70-80.....C°aus?

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k
kleinstblauwal

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65 Kommentare 30 Likes

Sehr interessante Untersuchung.
Wir schon beim ersten Artikel kommentiert, könnte man die Partikel noch mit PXRD untersuchen, wenn man dazu Zugang hat.
Was für die Anwendbarkeit und Langzeitstabilität sicherlich auch bedeutsam ist, sind die Eigenschaften des Silikonöls, wie Rheologie, Polymerisationsgrad (Molmasse), Verzweigungen und was sonst noch als Beimischung enthalten ist.

Was ich mich Mal gefragt habe: wenn man die Paste auf auf nicht perfekt glatte Oberflächen aufträgt, was ja im Prinzip alle Oberflächen außer direkt auf dem Die sind, hat man ja mikroskopische Lufteinschlüsse. Kann man die Benetzung und den thermischen Kontakt nicht verbessern indem man nach dem verstreichen, aber vor aufsetzen des Kühlers das im Vakuum aussen lässt, oder gar im Vakuum appliziert?

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Danke für die Spende



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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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