Erste Messungen an der Karte
Auf dem nachfolgenden Bild sind im roten Kreis niederohmige Widerstände („shunts“) zu sehen, die in der Spannungszufuhr zum Spannungsregler (Richtek RT8802A) liegen. Während „starcraftgod“ aus dem UK-Forum von Toms Hardware nach dem Netzteilwechsel an dieser Stelle 8.9 Volt messen konnte, stieg dieser Wert in unseren Messungen (je nach Netzteil) auf bis zu 9.3 Volt!
Der RT8802A und der Spannungs-Cheat
Wenn man nun noch weiß, dass die eigentliche PWM-Spannung an dieser Mess-Stelle nur 5 Volt betragen muss, dann sollten spätestens jetzt die Alarmglocken schrillen. Wir haben auch herausfinden können, worin diese extreme Spannung ursächlich zu begründen ist, aber dazu an passender Stelle mehr. Am Pin 31 endet dann auch die Leiterbahn, die zu den Shunts führt, an denen die Messungen vorgenommen wurden:
Military Class hin oder her, es ist logischerweise in keinem Falle ratsam, Bauelemente derart außerhalb der Spezifikationen zu betreiben. Mit bis zu 88% Überspannung ist dieses Bauelement garantiert nicht mehr das, was man im grünen Bereich nennt. Wir haben MSI mit genau diesen Werten konfrontiert und möchten den betreffenden Teil der Antwort aus dem MSI-Headquarter an dieser Stelle bereits in einem Zitat vorab einfügen:
Da MSI seine angepassten Produkte von vornherein auf Overclocking auslegt, spendieren wir diesen Karten ab Werk eine zusätzliche Leistungsreserve, weil wir erwarten, dass Enthusiasten sie übertakten werden. Aufgrund dieser Design-Entscheidung und der höheren Qualität der Komponenten sind wir in der Lage, den Boards mehr Leistung zuzuführen. Das ermöglicht ein höheres GPU-Boost-Niveau, das wir zudem länger aufrechterhalten können, ohne dabei die Lebenserwartung der Grafikkarte oder ihre Garantiedauer zu verkürzen. Bei Problemen können sich Kunden innerhalb der 3-jährigen Garantiezeit jederzeit an MSI wenden.
Lassen wir an dieser Stelle auch den Hersteller dieses Chips zu Wort kommen, der bereits in den Specs zum Chip folgendes schreibt:
Schön, dass es 3 Jahre Garantie bei MSI für diese Karte gibt. Viel bemerkenswerter ist aber, dass Richtek bereits für Spannungen oberhalb 5,5 Volt nicht mehr für die Funktionstüchtigkeit des Chips garantieren will (wozu auch genaue Kurvenverläufe der Regelkreise gehören) und ab 7 Volt sogar vor der endgültigen Zerstörung warnt.
Der RT8802A und das Ergebnis der Übervoltung: Dauer-Boost
Was aber macht genau diesen Chip so interessant, und was kann einen Hersteller letztendlich dazu bringen, überhaupt ein solches Risiko einzugehen? Nvidia gibt für jeden der Grafik-Chips gewisse Rahmenbedingungen für den Betrieb vor, zu denen vor allem auch die eingesetzten Spannungen gehören. Außerdem kennen wir bereits das Drooping bei den CPUs, wo unter Last die Spannung abgesenkt wird, um die TDP-Grenzen einzuhalten. Warum aber ausgerechnet der RT8802A? Dieser recht einfache Spannungsregler wird lediglich über die jeweilige Pin-Verschaltung für eine bestimmte GPU-Kernspannung faktisch fest vorverdrahtet; er besitzt zudem keinerlei Monitorfunktion oder die Möglichkeit einer softwarebasierten Spannungsregelung. Das Ganze sieht dann so aus:
Durch die Vorgabe der Pins wird eine Spannung von 1.175 Volt fest eingestellt. Unter Last regelt der Chip dann diese Spannung herunter, im Normalfall wären dies dann noch ca. 1.165 Volt. Nach außen hin sieht also alles perfekt aus. Sogar für Nvidia, die letztendlich über die Spezifikation und Ausführung der Boardpartnerkarten wachen. Betreibt man den RT8802A mit den vorgebenen 5 Volt, dann erhält man genau diesen Spannungsverlauf. Was aber passiert bei solch extremen Betriebsspannungen?
Zum einen kann man eine um 20 mV(!) höhere Spannung von 1.195 V messen, wobei auch die Kurve (load line calibration) der lastbedingten Spannungsabsenkung (droop) nicht mehr den Spezifikationen entspricht! Die Folge sind stets erhöhte Spannungswerte an der GPU (die jedoch ohne direkten Zugriff auf das PCB gar nicht ausles- und nachweisbar sind) und ein fast durchgängiger Dauer-Boost, der erst bei extremer Last ins Stottern kommt (siehe Taktraten auf der vorigen Seite). Da dieser Schaltkreis noch eine Menge mehr kann (und tut), treffen sich genau an dieser Stelle auch die Boost-Thematik und die Boot-Problematik wieder:
So kann es bei Netzteilen, deren Spannung beim PC-Start auf der betreffenden 12-Volt-Schiene bereits ein wenig oberhalb 12 Volt liegt (jedoch noch innerhalb der ATX-Spezifikationen) zu den bereits geschilderten Startproblemen kommen, denn oberhalb von ca. 9.3 Volt am VDD-Eingang des Chips ist Schluss mit lustig. Das Netzteil erhält keine oder falsche Informationen und schaltet erst gar nicht ein (Power Good).
Zwischenfazit
MSI nutzt absichtlich eine viel zu hohe Betriebsspannung für einen der wichtigsten Schaltkreise auf der Grafikkarte, um einerseits eine höhere Spannung an die GPU liefern zu können und um diese auch unter Last geringer absenken zu müssen (Droop). Die Spezifikationen von Richtek und die Aussage zur Haltbarkeit des Regelschaltkreises sind in jedem Falle ernst zu nehmen. Als Nebeneffekt tritt ein gestörtes Power-Good-Signal auf, welches netzteilabhängig u.U. den Start des Computers verhindern kann.
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