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TIM-Gate und VRM-Desaster? Skylake-X und mögliche Mängel bei X299-Mainboards | Retro von vor 6 Jahren (mit Videos)

Wärmeleitpaste statt Lot

Einer der Gründe für die ganze Kühlproblematik liegt an Intels Einsatz von unzweckmäßiger (aber wohl deutlich billigerer) Wärmeleitpaste anstelle eines sinnvollen Lotes auf Indium-Basis. Man kann nun über die Haltbarkeit solcher thermischen Übergänge einschließlich theoretisch vielleicht im Langzeitbetrieb auftretender Haarrisse trefflich diskutieren und sich damit auch profilieren, aber es wurden schon ganz andere Chipgrößen mit Lot über Jahre hinweg stabil und fehlerfrei betrieben.

Dazu kommt der Umstand, dass die verwendeten Pasten im Gegensatz zu einem guten Lot ebenfalls alles andere als langzeitstabil agieren. Jede Paste neigt zum sogenannten Ausölen, bei dem faktisch das Bindemittel aus der Paste austritt und wegkriecht. Diesen Aushärte- und Kriech-Effekt hat man bei allen Pasten in unterschiedlicher Ausprägung; ganz verhindern kann man so etwas aber nie. 

Doch warum beharren wir wir so hartnäckig auf diesen Umstand? Die nachfolgende Kurve aus userem Launchartikel zum Intel Core i9-7900X, die wir mit einem potenten Chiller (!) ermittelt haben, zeigt extrem deutlich, dass die Abwärme nur schlecht und unzureichend abgeführt werden kann! Was bei einem thermischen 100-Watt-Sparbrötchen wie dem Core i7-7700K gerade eben noch irgendwie so funktionierte, führt die Pasten-Strategie nun aber geradezu ins Absurde. Über die genaue Methode unserer Erhebung kann der Interessierte gern im oben verlinken Launchartikel mehr erfahren.

Am Ende repräsentiert die nachfolgende Kurve die eklatanten Temperaturunterschiede zwischen der Heatspreader-Oberseite und den Rechenkernen, wobei uns die Ergebnisse damals geradezu geschockt haben und es noch immer tun:

Obwohl wir mit unserem Chiller, dem Alphacool XPX Wasserblock und der Thermal Grizzly Kryonaut Wärmeleitpaste so ziemlich das Beste und Teuerste verwendet haben, was der Markt so hergibt, stehen am Ende satte 71 Kelvin als Temperaturdifferenz zwischen der Temperatur der Kerne und der Oberseite des Heatspreaders auf der Rechnung! Das ist vor allem insofern ärgerlich, dass es normale Kühllösungen bei Volllast und Werkstakt bereits recht albern aussehen lässt. Wie man solche Leistungsaufnahmewerte besser abführen kann, hat AMD mit Ryzen 7 eindrucksvoll bewiesen, auch wenn uns dort das Spielchen mit den künstlich per Offset umgebogenen Ausgabewerten der X-Modelle sauer aufgestoßen ist.

 

Böse Zungen behaupten mittlerweile auch, Intel habe die innere Struktur bewusst so unzweckmäßig gewählt, um einen Einsatz der CPU im Auslieferungszusand und mit Standardvorgaben im BIOS  gerade noch so zu ermöglichen, jedoch extreme Übertaktungen dadurch elegant ausschließen zu können. Das können wir zwar nicht beurteilen oder gar behaupten, aber die Schlussfolgerung als solche hat schon so ihren gewissen Charme.

Merkblatt #2
Das Abführen der auf der Verlustleistung der CPU basierenden Abwärme ist durch den speziellen Aufbau der CPU und den Einsatz kontraproduktiver Wärmeleitpaste (TIM) zwischen Heatspreader und Die stark eingeschränkt bzw. erschwert. Egal, wie groß der Anpressdruck und wie niedrig die Temperatur des kühlenden Heatsinks auch sein mögen, das volle Potential der CPU kann so definitiv nicht ausgeschöpft werden.

Hier hat Intel bewusst oder unbeabsichtigt eine thermische Bremse eingebaut, die unnötiger nicht sein könnte.

Köpfen als Ausweg? Jain.

Jetzt könnte man natürlich einfach versucht sein, den Heatspreader samt Wärmeleitpaste einfach zu entfernen und damit das Problem der Kühlung  auch gleich endgültig mit zu entsorgen. Doch wirklich alltagstauglich für jeden gutgläubigen Anwender ist so eine Aktion nicht wirklich. Wer selbst köpft benötigt erst einmal ein passendes Tool, viel Geschick und auch jede Menge Erfahrung. Außerdem verliert man natürlich jegliche Herstellergarantie.

Hierauf (und auf der Bequemlichkeit bzw. Angst) der Käufer basieren nun mittlerweile diverse Geschäftsmodelle, die genau dort ansetzen und das passende Werkzeug oder teilweise sogar gleich fertig geköpfte CPUs mit und ohne Garantie anbieten. Leicht verträgliches Fast-Food für Kevin Normalübertakter? Mitnichten, denn so ein entblößter Die ist empfindlicher und auch schwieriger zu handhaben, als es einem die Werbe-Ikonen der einschlägigen Trittbrettfahrer-Industrie gern einreden möchten.

Symbolbild: eine der oft genutzen Köpfhilfen (Quelle: Aqua Computer)Symbolbild: eine der oft genutzen Köpfhilfen (Quelle: Aqua Computer)

Natürlich kann man durch das Zählen der eingedrehten Windungen der Schrauben beim Festschrauben des Kühlers, sowie durch die Verwendung eines guten Drehmomentschraubendrehers mögliche mechanische Schäden durch eine ungleichmäßige und/oder zu hohe Druckbelastung minimieren oder ausschließen, aber es ist und bleibt ein Risiko. Darüber hinaus sinkt der Wiederverkaufswert enorm und eventuelle Garantieanspruche darf man sofort vergessen.

Noch einmal, ganz ohne Polemik, aber dafür mit der nötigen Achtung vor dem teuren Produkt und seinem Käufer: wer weiß und einkalkulieren kann, worauf er sich einlässt, der kann auf einen Schlag jede Menge thermischer Probleme lösen. Kann, wohlgemerkt.

Aber für die große Masse der Prosumer und vielleicht auch Gamer, die so ein System für viele andere Aufgaben außer dem Gaming nutzen wollen, ist das Köpfen nichts. Denn Langzeiterfahrungen zum Skylake-X gibt es bisher noch keine und der Preis, den normale Käufer selbst erst einmal in Form eigenen Geldes für diese Produkte zahlen müssen, ist extrem hoch.

Merkblatt #3
Köpfen ist eine Lösung des Kühlungs-Flaschenhalses, aber nichts für die breite Masse. Das Köpfen selbst, bzw das (anschließende) Verwenden von CPUs mit freiliegendem Die sollte ausschließlich denen vorbehalten bleiben, die das Risiko exakt einschätzen können, oder von solchen Dingen leben. Massentauglich ist so ein Verfahren nie, zumal man auch die Herstellergarantie verliert.

Die integrierten Spannungswandler der Skylake-X

Nach Haswell wieder abgeschafft, feiern die integrierten Spannungswander FIVR (Fully Integrated Voltage Regulators) im Skylake-X ihre nicht ganz unproblematische Wiedergeburt nunmehr als IVR (Integrated Voltage Regulators). Doch was verbirgt sich eigentlich dahinter? Die externen Spannungswandler des Mainboards liefern nicht wie bei Kaby Lake-X am Messpunkt (Bild unten) nur die Vcore, sondern erst einmal eine Art Zwischenspannung Vccin als Input für die IVR. Diese Spannung kann zwischen 1,6 Volt und maximal 2,55 Volt betragen.

Im Übrigen war es genau dieser Zwitterstatus, der im Vorfeld des Launches zu so manchem CPU-Tod geführt hat, wenn man das BIOS beim Wechsel von Syklake-X mit seinen mindestens 1.8 Volt auf Kaby Lake-X und der dann anliegenden, viel zu hohen Vcore, nicht fachgerecht zurückgesetzt hat, sondern einfach nur CPU raus, CPU rein gespielt hat. Das nur mal als Anekdote am Rande.

Basierend auf dieser bereits sehr stark abgesenkten Spannung, für deren Erzeugung ja die Hauptlast der Spannungswandlung in der Gesamtsumme auf den externen Wandlern liegt, werden intern in der CPU die Spannung für die Prozessorkerne Vcore, sowie die Teilspannungen für die Lowest Level Caches, Ring Interface, PLL, Vccio (IO), Vccsa (System Agents) und Vcc33 (PIROM). Wie bereits erwähnt, wird diese Ausgangsspannung Vccin des  MBVR (Spannungswandler des Mainboards)  durch die CPU mittels SVID-Bus (Serial Voltage ID) kontrolliert. Wir schrieben ja bereits, dass der genutzte PWM-Controller IR35201 VR13.0 unterstützt. Diese VID-basierte Spannung kann man am ehesten noch mit der Loadline der Vcc älterer CPUs vergleichen.

Maximalwerte des Skylake-X und Extrem-Übertaktungen

Obwohl Intel die TDP der CPU mit lediglich 140 Watt angibt, hat man den Maximalstrom für Vccin Icc_max auf immerhin satte 190 Ampere beziffert (2ms maximal) und legt zudem den maximal zulässigen Grenzwert für Pmax Package auf irrwitzige 297 Watt fest. Eigenversuche mit deutlich höheren Werten führten bei 365 Watt bereits zur Notabschaltung des Mainboards.

Merkblatt #4
Leistungsaufnahmen für Vccin von über 300 Watt haben mit einer sinnvollen Übertaktung nichts mehr zu tun, weil die CPU bereits über ihre Spezifikationen hinaus belastet wird. Für stabile Übertaktungen im Langzeitbetrieb würden wir eher dauerhafte Maximalwerte von bis zu 250 Watt als realistischer ansehen, was immer noch eine Menge ist.

Wenn man jedoch fair bleiben möchte, müsste man für den direkten Vergleich der Leistungsaufnahmewerte verschiedener CPUs bei Skylake-X auch den Verlust der IVR wieder mit abziehen. Die können bei voller Auslastung Pmax Package durchaus auch im zweistelligen Bereich liegen.

Zwischenfazit

Um nun in den nächsten Kapiteln CPU und Mainboard, sowie die entstehenden Temperaturen fair beurteilen zu können, sollten wir von einer dauerhaften Maximalleistung am Package bis ca. 250 Watt (die Spitzen können auch mal kurzzeitig etwas darüber liegen) ausgehen. Werte von über 300 Watt sind außerhalb der Spezifikationen und somit ab jetzt auch nicht mehr Gegenstand unserer Betrachtungen. Wer seine teure CPU himmeln möchte, bitte. Es steht jedem frei. Nur wird er zumindest ab jetzt auch die Gründe dafür kennen, denn es wird ihn garantiert einholen – früher oder später.

 

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Redaktion

Artikel-Butler

1,816 Kommentare 8,809 Likes

Was gab es nicht in den letzten Wochen an Rauschen im Blätter- und Videowald. Da war stellenweise sogar von einem VRM-Desaster oder einem TIM-Gate (Wärmeleitpaste statt Lot) die Rede, doch wenn man alles einmal genau und abgekärt betrachtet, ist das Ganze nichts anderes als eine ellenlange kausale Kette, bei der eine extrem hitzköpfige CPU den eigentlichen Ausgangspunkt markiert. Doch was schreiben wir eine, es sind ja im Prinzip sogar gleich derer drei. Aber immer schön der Reihe nach, denn wir versuchen es nämlich auch so leicht verständlich wie möglich zu halten. Eine kurze Bestandsaufnahme am Anfang kann nicht schaden, sodass […] (read full article...)

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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