Wenn man sich trennen will (oder muss), dann gibt es zwei Wege dies zu verkünden: einen emotionslosen und stillen oder einen, wo man noch einmal die große Bühne sucht. EVGA hat, was für ein Zufall, den Zeitpunkt kurz vor NVIDIAs Hausmesse GTC gewählt (danach wäre das Ganze ja etwas untergegangen), um die Bombe platzen zu lassen, die eigentlich gar keine mehr war. Denn es hat auch vorher schon ordentlich geschmort, nur dass man sorgfältig den Deckel drauf gehalten hat. Dieser mediale Auf- und Nachtritt ist eigentlich nur der längst überfällige Flashback nach einem monatelangen Schwelbrand, bei dem die grüne Zündschnur noch kürzer war, als Jensens Mock-Up-Holzschrauben.
Ich habe lange überlegt, ob ich was dazu schreibe (und worüber), denn auch ich habe meine ganz private Meinung zu den Umständen im Allgemeinen und EVGAs Auftreten im Besonderen, die sich in den letzten Jahren auch aufgrund eigener Erfahrungen geprägt hat. Deshalb habe ich das Wochenende neben den ganzen Benchmarks auch genutzt, um mit dem einen oder anderen Mitbewerber und Kollegen zu chatten oder zu telefonieren. Denn die Art und Weise, wie und wo man jetzt den Grund verortet und gleich noch einen passenden Schuldigen präsentiert, ist bei vielen doch recht sauer aufgestoßen. Es geht auch nicht darum, NVIDIA in Schutz zu nehmen, aber Jensen auf diesem Weg als ideales Hassobjekt ins Spiel zu bringen, ist schon arg kurz gesprungen und lenkt nur vom eigenen Versagen ab. Aber irgend etwas muss man ja den Investoren und Marken-affinen Kunden in den Schlund werfen. Und da eignet sich nun einmal der grüne Lederjacken-Hulk am besten.
Mein Kollege Stephen Burke von Gamersnexus hat eigentlich schon das meiste gesagt, das muss ich auch nicht noch einmal sezieren und wiederkäuen. Ich stelle jetzt einfach noch einmal das kurze Zitat des EVGA-CEO Andrew Han in den Raum, bevor ich mir meine eigenen Gedanken dazu mache.
Das Geschäftsmodell: Andere machen lassen
Im Prinzip ist EVGA ja nichts anderes als ein Brand ohne eigene Fertigung. Ein eigenes R&D für das Engineering hat man sich natürlich geleistet, aber die Schöpfungshöhe ist auch hier eigentlich nicht sonderlich hoch, wenn man am Ende ja doch nur auf die Fähigkeiten Dritter zurückgreifen muss, seien es nun die Platinen, die Kühler und auch die komplette Fertigung als finale Umsetzung. Machen lassen, statt selber machen, kostet leider. Und genau dieses Konzept mindert zwar das Risiko und den Aufwand bei der Herstellung, schmälert aber auch die Spanne, die man mit so einem hochkomplexen Produkt noch erzielen kann. Ich habe deshalb einmal bei mehreren Mitbewerbern herumgefragt und erfahren, dass die aktuell erzielbaren Spannen im ungünstigsten Fall (also wie bei EVGA) bei noch 5 Prozent liegen, bei den Selbermachern, die auch wirtschaften können, bei bis zu 10%.
Das ist nicht weniger als in 2021 oder 2020, nur ist dieses Jahr der Warenumsatz durch wegbleibende Bestellungen und eine geänderte Nachfrage erheblich gesunken. Dass man aber, so wie es EVGA kolportiert, wegen NVIDIAs geldgieriger Krallen mit Verlust produziert, halten viele für eine urban legend. Das sind doch wohl eher hausgemachte Probleme mit fehlerhaften Designs und einer RMA-Rate, die jenseits von Gut und Böse lag. Ich will mich hier auch nicht schon wieder selbst zitieren, aber beispielsweise das Desaster mit Amazon’s New World und den verschmorten Platinen war teuer, richtig teuer. Dass jetzt jeder Karte als Verlust anzuhängen, ist definitiv zu kurz gedacht.
Das Business der Brands ist eigentlich wie das gute alte Börsengeschäft, denn man sollte zum Peak verkaufen und am besten das mitnehmen, was noch zu holen ist. Wenn man sich fast alle Dienstleistungen teuer erkaufen muss, bleibt im Grafikkartengeschäft nicht mehr viel übrig. Ein großer Hersteller (nicht EVGA) stemmt locker um die 200.000 Grafikkarten pro Woche, was dann die 5 bis 10 Prozent schon in einem anderen Licht erscheinen lässt. Bei der Systemgastronomie funktioniert das Geschäft auch nur über die schiere Masse, was bei den Grafikkarten ja nicht anders ist. Genau diese Masse (die man auch als Puffer betrachten kann), durch die kleinere Ausreißer abgefedert werden können, fehlt EVGA allerdings.
Fragt man die Mitbewerber, warum sie nicht auch EVGAs Garantie, Upgrade und Austauschmodell kopiert haben, dann sieht man eigentlich nur grinsende Gesichter oder Kopfschütteln. Da sind dann Äußerungen wie „wirtschaftlicher Selbstmord mit Ansage“ noch das höflichste. Ich schrieb ja, dass die Karten immer komplexer geworden sind und damit auch das Ausfallrisiko extrem gestiegen ist. Deshalb werden auch die RMA-Vorgänge nicht günstiger, im Gegenteil. Kulanz und Großzügigkeit, wie EVGA sie sich zum Markenzeichen erhoben hat, muss man sich auch leisten können und was vor 10 Jahren noch überschaubar war, kann heute jeden Tag im Zusammenbruch enden. Kartenhaus und so. Hier fehlt EVGA einfach die kritische Masse, um so etwas auch finanziell locker durchzustehen. US-Markführer zu sein ist ja gut und schön, aber wie groß ist der DIY-Markt dort eigentlich?
Peripherie und Netzteile sind da schon deutlich einfacher zu überblicken und bieten mittlerweile deutlich höhere Gewinnspannen von bis zu 30 Prozent. Netzteile sind gerade die neue Wärmeleitpaste und der Run wird auch durch ATX 3.0 noch ordentlich befeuert. Apropos Netzteile: Ich erinnere mich, wie EVGA seinerzeit (das war noch zu Kepler-Zeiten) das Sampling von Grafikkarten von einer positiven Bewertung der neu eingeführten Netzteile abhängig machte. Damals schrieb ich noch für Tom’s Hardware und habe mich dem System „Belohnung gegen Gutfinden“ sehr eigensinnig widersetzt. Damals gab es allerdings dort auch die „Just buy it!“-Philosophie noch nicht und man durfte sowas als Reviewer noch.
Als Folge war ich dann erst einmal einige Jahre vom Sampling ausgeschlossen. Ich lebe übrigens immer noch, was einmal mehr zeigt, dass man sowas nicht mitmachen muss, wenn man nicht will. Ich will auch nicht wiederholen, wie EVGA-Produkte später durch meine Tests gefallen sind und das Engineering zwar meine Erkenntnisse genutzt (Pad-Mod, Flächenvergrößerung auf dem Kühlframe, RAM-Monitoring beim ICX-Design), dafür aber die PR in meine Richtung böse nachgetreten hat. Geld habe ich für meine Unterstützung nie verlangt, hätte mich wohl aber ab und an mal ein über Danke gefreut. Genau an dieser Stelle merkt man übrigens auch den Unterschied zwischen einem US-Unternehmen wie EVGA und einem deutschen Mittelständler. EVGA ist extrem profitorientiert und wenn es mal nicht so gut läuft, dann trennt man sich eben von einer Sparte. Das ist übrigens nicht verwerflich, nur sollten die Erklärungen dann auch ehrlicher ausfallen.
Das Green Light Program als Spaßbremse
Und was hat NVIDIA nun damit zu tun? Ja, auch die Mitbewerber sind ordentlich angefressen, dass sie bis heute keine Preise von NVIDIA kennen und nicht wissen, zu welchem Schleuder- oder Scalper-Kurs Meister Jensen seine neue Ada als Gespielin in den Markt prügeln wird (je nachdem). Deshalb wird man auch nicht so sehr viele komplette Neudesigns sehen und es wird überwiegend das weitergenutzt, was ich bereits bei der GeForce RTX 3090 Ti als „Playground“ bezeichnet hatte. Das ist dann wirtschaftliche Vorsicht und nicht mal dumm. Da hätte EVGA auch drauf kommen können.
Allerdings muss man auch wissen, dass NVIDIA die totale Kontrolle anstrebt und diese Richtlinien auch gnadenlos durchzieht. Viel Freiraum für technische Spielereien á la EVGA’s Sondermodelle bleibt da nämlich nicht mehr und auch hier sind beide Seiten nicht nur einmal hart kollidiert. EVGA lotet stets aus, wie weit man gehen kann und NVIDIA haut dann korrigierend dazwischen. Im oben verlinkten Artikel habe ich das ja schon mal im Detail erklärt und ich will mich da gar nicht wiederholen. Fakt ist aber auch, dass man seitens NVIDIA nur dann Ersatz bekommt, wenn man „NVIDIA’s rules“ brav folgt. Das kann man gutheißen oder nicht, aber es führt (zumindest in der Theorie) zu haltbareren Produkten.
Dinge, wie EVGA’s Kingpin Modelle, brechen mit diesen Regeln, aber da hat man sich eine clevere Lücke gesucht, weil es quasi als Mod deklariert wird. Das macht Galax mit der HoF ja nicht anders. Diverse Overclocker geben hier (für gutes Geld) Ihr Gesicht dafür hin und es läuft eben nicht unter Consumer-Produkt. Deswegen bekommt man ja eine richtige HoF samt unlimitiertem OC-Tool nicht als Normalkunde, sondern nur die „straßentaugliche“ Version unter dem gleichen Namen. Der Rest ist dann teures Kanonenfutter für die LN2-Artillerie. Auch solche Marketing-Eskapaden kosten natürlich Geld, auch wenn man damit das Image steigern kann. Der gute Kingpin muss sich nun eine andere Stelle im Geldregenwald suchen, aber die Auswahl ist da eher überschaubar.
Ich wollte eigentlich gar nicht soweit ausholen, aber wenn man einmal so schön im Schreibfluss ist, dann entfernt sich das angepeilte Ufer immer mehr. Um am Schluss dann doch noch zu einer Art Fazit zu kommen, mache ich es mir mal einfach, weil ich manche Dinge vielleicht auch anders hinterfragen kann: Es ist für mich (und viele andere) sicher kein Verlust, denn es hat sich abgezeichnet, dass das jahrelang praktizierte Modell so nicht mehr finanzierbar gewesen wäre. Und ehe man das öffentlich kleinlaut eingesteht, sucht man halt den letzten großen Auftritt und verabschiedet sich mit einem fetten Knall vom geschockten Publikum. Ich hoffe nur, dass man alle bisherigen Kunden noch galant abfertigt und fair behandelt. Dann klappts sicher auch mit den Netzteilen, Gehäusen und Gedöns.
Ich habe nämlich von keinem anderen kleinen Jensen-Exklusivkunden gehört, dass sie jetzt das Handtuch aus den genannten Gründen werfen müssten. Nur können die wahrscheinlich besser rechnen und produzieren auch noch selbst. Es ist schade um eine bunte Facette auf dem Grafikkarten-Markt, die auch mir fehlen wird, aber der Kunde wird es verschmerzen.
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