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Der Kampf von Grafikkarte gegen Netzteil – Leistungsaufnahme und Lastspitzen entmystifiziert | igorsLAB

Man kennt und hasst ihn, den geliebten Moment, wo ein Netzteil mitten im Spiel plötzlich abschaltet, obwohl es neu ist und auch sonst keine Auffälligkeiten zeigt. Der Ärger der Anwender wird dann noch umso größer, wenn man glaubt, die Netzteilgröße auch richtig berechnet zu haben. Doch reicht das, was die Hersteller von Grafikkarten oder Netzteilen als Leistungswert angeben? Bei Netzteilen kann man sich da schon relativ sicher sein, aber was ist eigentlich mit den Grafikkarten?

Zusammenfassung der Messergebnisse

Moderne Schaltnetzteile sollten bei den fließenden Strömen, wie sie Grafikkarten erzeugen, eigentlich keine Schwierigkeiten haben. Ich konnte bei keiner einzigen Karte und in keiner der unterschiedlichsten Lastsituationen wirklich sensationell hohe Ströme messen. Spikes bis ca. 10 Millisekunden sind vorhanden, keine Frage, denn das liegt nun mal auch in der Natur der Sache, weil fordernde Spiele auch sehr unterschiedliche Lastwechsel hervorrufen.

Allerdings ging es nie auch nur ansatzweise über 40 Ampere hinaus, was unterm Strich dann schon verwundert, wenn man sich das in der Einführung verlinkte Szenario des Netzteilherstellers vor Augen hält. Würde man bis in den Nanosekunden-Bereich skalieren, dann sind auch Spitzen bis 50 Ampere denkbar, aber wenn dann eine OCP oder OPP bereits auslöst, ist die Schaltung verhunzt und man muss die Schuld nicht bei den Grafikkarten suchen.

Es ist beileibe kein Geheimnis, dass AMDs Grafikkarten in größeren Intervallen schalten als die vergleichbaren Nvidia-Karten. Aber es ist ja nun auch wieder nicht so grobschlächtig, dass hier über viele Millisekunden hinweg exorbitant hohe Ströme anlägen. Genau dies weiß nämlich auch Power Tune sehr sicher zu verhindern.

 

Richtige Netzteilberechnung

Wozu ich jedoch raten würde, Reserven hin oder her, ist eine emotionslose und in der Praxis auch deutlich differenzierte Betrachtung der möglichen Leistungsaufnahme bzw. das Fließen von Strömen an den einzelnen Rails. Die reine TBP (Typical Board Power) als Grundlage für eine Netzteilberechnung zu nehmen, wäre reichlich blauäugig und es zeigt sich plötzlich, warum Grafikkartenhersteller oft deutlich höhere Werte veranschlagen. Das ist keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Netzteilindustrie, sondern reine Vorsicht.

Man kann ohne ein wirklich detailliertes Review auf diesem Gebiet natürlich sehr schlecht abschätzen, wo die Leistungsspitzen liegen und wie lang die Intervalle der Spitzenwerte überhaupt sind. Die Einbeziehung der Transienten ist aber unerlässlich für den sicheren Betrieb, denn wenn die Hersteller von Netzteilen eines mit spitzem Stift kalkulieren, dann sind es die teuren Kondensatoren. In der nachfolgenden Übersicht habe ich noch einmal einige Werte zusammengefasst, die mir bei all den Messungen ins Auge gesprungen sind:

 

Fazit

Die ganz kurzen Lastspitzen kann man getrost beiseitelegen und man sollte sich wirklich nur über Werte Gedanken machen, die über ein bis zwei Millisekunden liegen. Übrigens nicht nur wegen der möglichen Abschaltung des Netzteils durch einen Schutzmechanismus, sondern auch wegen der Haltbarkeit. Je hektischer so ein Grafikbeschleuniger am Netzteil saugt, umso schneller kommen die Sekundärkondensatoren in den Bereich der Pflegeversicherung. Wer dann am Ende spart, ist falsch beraten.

So etwas wie 100% japanische Kondensatoren ist natürlich auch Humbug, denn selbst die großen Japaner fertigen mittlerweile meist auch in China. Man sollte sich also erst einmal ein wirklich gutes Netzteilreview anschauen, wo auch auf die Spezifikationen der Sekundärbeschaltung eingegangen wird. Komponenten machen den Unterschied, nicht irgendwelche (geschönten) Messkurven. Wenn dann würde ich mich am hier vorgestellten „Normal-Peak“ orientieren, maximal noch am maximalen Intervall und hoffen, dass der Hersteller von sich aus Reserven draufgepackt hat.

Schlecht beraten ist, wer knapp auf Kante kalkuliert und hofft, es würde schon irgendwie gutgehen. So Pi mal Daumen können 50 bis 100 Watt Reserve eigentlich nie schaden. Und vielleicht baue ich ja auf der Basis der ganzen Messwerte doch noch einmal einen Netzteilkalkulator. Zeit vorausgesetzt. Und was bleibt uns nun als Fazit aus der ganzen Geschichte?

Die kurzzeitige Leitungsaufnahme von aktuellen Grafikkarten liegt zum Teil erheblich höher als die als Durchschnitt angegebenenen Werte oder das, was die Chiphersteller als Typical Board Power bezeichenen. Diese Werte sind Durchschnittsswerte über einen eher großen Interval. Je nach Qualität der Sekundärseite eines Netzteils kann die kurzeitige Last (1 bis 10 ms) deutlich höher liegen.

Ich würde also empfehlen, bei Leistungsaufnahmebereichen der Grafikkarte zwischen  150 und 200 Watt TBP um die 50 Watt mehr Spielraum mit einzukalkulierten und darüber bei High-End-Systemen ab ca. 200 Watt einfach noch zur Sicherheit stets 100 Watt Reserve draufzuschlagen. Damit sollten die Eigenheiten von AMD- und Nvidia-Karten gut abgedeckt werden und man muss sich nicht stundenlang mit Komponentenkontrolle beschäftigen. Die meisten Reviews geben so etwas eh nicht her.

Als Fazit dieses Tests nehme ich deshalb für mich persönlich auch mit, in Zukunft bei meinen Grafikkarten-Einzelreviews den Lesern eine Netzteil-Bemessungsempfehlung mit auf den Weg zu geben. Ohne mich damit dann als Knecht der Netzteilindustrie zu verdingen, sondern lieber als der wohlmeinende Nachbar, der es vielleicht doch besser wissen könnte.

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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