Manche meiner Artikel reifen wie alter Wein und es ist sicher nicht falsch, da immer wieder mal draufzuschauen, auch bei aktuellen Bezügen. Das gilt vor allem gerade jetzt in Bezug auf das gegenwärtige “Drama” um Intels CPUs und den Move mit den Specs für die Baseline. Da kann sich auch keiner hinstellen und meinen, Intel hätte von nichts gewusst, denn man hat die Specs zwischen 2021 und 2023 einfach diesbezüglich geändert. Ich nenne es mal vorsichtig den “Ryzen-Effekt”. Und da fällt mir natürlich auch ein Klassiker ein, den ich hier aus lizenzrechtlichen Gründen nicht audiovisuell einbinden kann, aber das Zitat sollte eigentlich reichen:
Pippi Langstrumpf
Genau das ist mit Intels Specs auch passiert, nur in technisch. Falls sich noch jemand (nicht) erinnert, ich hatte bereits im August 2021 die Eckdaten von Intels Alder Lake S und Raptor Lake S geleakt und dort auch Daten aufgeführt, die in den normalen, später offentlich gemachten Specs nicht mehr auftauchen. Falls sie denn mittlerweile überhaupt noch abrufbar sind. Das ist auch so ein merkwürdiger Punkt. Immerhin war 2021 von solchen netten Spielereien wie PL1 = PL2 im Performance Mode und Werten über 188 Watt in der Baseline beim PL2 noch nichts zu ahnen.
Nun ja, und dann kam der gerade erwähnte Ryzen-Effekt ins Spiel und mit ihm auch die energetische Intel-Druckbetankung. Die gute alte Stopfleber lässt grüßen. Aber man muss an dieser Stelle auch betonen, dass das alleinige Argumentieren mit dem PL2 für die Baseline immer noch viel zu nebulös ist. Bis zum Oktober 2022, also dem Launch von Raptor Lake waren die 188 Watt für das PL2 in der Baseline übrigens auch gesetzt. Und genau dorthin hat Gigabyte mit seinem aktuellen BIOS diesen Wert auch wieder korrigiert.
Aber schon 2021 hatte man das Performance Setting mit 253 Watt festgelegt. Dass mit dem PL1 = PL2 kam dann direkt zum Launch von Raptor Lake S Ende Oktober, auch wenn es so nicht im Oktober-Dokument von 2022 zu finden war. Das Ganze kam für viele verwirrend. Zumal die Ergebnisse der Benchmarks durchaus voneinender abwichen, wenn man zwischen den drei Leistungs- bzw. Kühlerprofilen “Boxed”, “Tower” oder “AiO” wechselte und die Werte für PL1 und PL2 stets nachträglich manuell auf einen gleichen Wert setzte (z.B. 125 / 188). Da musste also noch mehr passiert sein als nur das PL1 und PL2 zu ändern.
Wir sehen in der ersten Tabelle aus 2021 sehr deutlich, dass das PL4 von Raptor Lake S deutlich geringer ausfällt (in der Theorie). Allerdings ist dies ein Wert, den Intel ungern öffentlich macht und auf den ich gleich noch einmal zurückkommen muss. Bei all diesen Diskussionen kommt auch Intels IMPV9.1 (Intel Mobile Voltage Positioning) ins Spiel, wo die Prozessorspannung (VCC) dynamisch auf der Grundlage der Prozessoraktivität angepasst wird, um die aufgenommene Leistung zu reduzieren. Das ermöglicht eine höhere Prozessor-Taktfrequenz bei gegebenem Stromverbrauch oder einen niedrigeren Verbrauch bei gegebener Taktfrequenz, je nachdem. Finalisiert wurde dies aber m.E. auch erst nach dem Launch von RPL S.
Neu ist die Unterstützung von gleich zwei VID-Tabellen mit 5 mV und 10 mV Auflösung und die Unterstützung von Iout mit Werten über 255 Ampere. Dazu kommt ein analoger AUX-Imon-Eingang auf der 0x0Dh-Domäne. Außerdem gibt es eine Änderung der schnellen Psys-Zähler und des Spitzenwertdetektors, um sowohl Psys- als auch Vsys-Messungen unabhängig vom alten Psys-ADC-Eingang zu unterstützen. IMPV9 war bereits bei der 10. Generation ein großer Fortschritt gegenüber IMPV8, das wir noch von den CPUs der 9. Generation kennen.
Das “geheimnisvolle” PL4
Dinge, wie Prozessor Pmax, Never Exceed und Limit werden “a priori” berechnet und sind damit ein echter PROAKTIVER Grenzwert (durch differenzierte Vorausplanung und zielgerichtete Eingriffe wird das Ergebnis selbst geplant und erzielt). PL1 und PL2 beziehen sich nur auf die Durchschnittsleistung und sind REAKTIVE Grenzwerte, wo nur auf Werte rückwirkend reagiert werden kann. Das geheimnisvolle PL4 bezieht sich auf Leistungsspitzenereignisse, die vor Alder Lake und Raptor Lake nur proaktiv behandelt werden konnten und am Ende auch oft nie ganz optimal ausfielen.
Eine neues, REACTIVES PL4 ist hingegen aus Intels Sicht die ideale Lösung, bei der die SoC-Frequenzen so hoch wie möglich bleiben, aber mit einem Sicherheitsnetz, basierend auf Fast PROCHOT#. Hier handelt es sich um einen digitalen Ausgangspin, den es seit Intels Pentium 4 Prozessoren gibt und der anzeigt, dass der interne Thermalkontrollschaltkreis aktiviert wurde. Dies geschieht, wenn der Prozessor seine maximale sichere Betriebstemperatur erreicht hat. Die SoC-Frequenz wird aber weiterhin durch das PL4 bestimmt.
Wenn PROCHOT# aktiviert ist, liegt die Gesamtleistung des SoC stets UNTER PL4_Safe, ist also kleiner als der für das PL4 festgelegte Wert. PL4_Safe stellt somit das Niveau der Spitzenleistung dar, das die Eingangsstromquellen liefern können, ohne dass eine Überlastung der Stromversorgung (VRM) und der anderen dazwischengeschalteten Komponenten zu befürchten ist. Fast PROCHOT# ist wirklich schnell. Vsys1 wird vom IMPV9.1-Controller überwacht und PROCHOT# wird innerhalb von 2 μs (einstellbar) nach Überschreiten der Schwelle aktiviert. Die CPU wird dann bereits 1μs später gedrosselt. Fast PROCHOT# ermöglicht somit ein höheres PL4, was zu einer besseren Reaktionsfähigkeit bis hinunter zu niedrigen Ladezuständen führt, während die Systemstabilität erhalten bleibt, erzeugt aber auch härtere Lastwechsel.
Eine der wichtigsten Informationen ist allerdings der Intervall von PL4. Hier kann dieser Zustand bis zu 10 ms lang andauern, aber nie länger. Aber es steht nirgendwo geschrieben, wie groß die Pausen zwischen diesen Hochlastzuständen sein müssen.
Die Potential Peak Power (PPP)
Die PPP ist ein erwarteter Worst-Case-Leistungspegel, der von der Power Control Unit (PCU) auf der Grundlage der Komponenteneigenschaften und der aktuellen Betriebsfrequenz (IA-, GT-, Ring-Domänen) berechnet wird. Das geschieht vor jedem Frequenzübergang (normalerweise an 1-ms-Grenzen), oder aber immer dann, wenn AVX-Befehle in die Pipeline gelangen bzw. wenn ein Kern-C-Zustandswechsel bevorsteht. PPP geht von einem Szenario über die Domänen hinweg aus, das die intensivste bekannte Anwendung darstellt.
Und was bedeutet das nun im Zusammenhang mit dem PL4? Ganz einfach: das PL4 ist der Grenzwert, mit dem PPP schlussendlich verglichen wird! Wenn PPP am Frequenzübergang > PL4 ist, wird eine niedrigere Frequenz gewählt, um zu verhindern, dass PPP PL4 überschreitet. PPP ist im übrigens eine reine Projektion und basiert NICHT auf der Leistungstelemetrie der aktuellen Arbeitslast. Die PPP-Projektion wird auch nicht über eine Softwareschnittstelle angezeigt, sondern nur innerhalb der CPU verwendet.
Die absolute Spitzenleistung kann somit nur über die PL4-Einstellungen präventiv reduziert werden. Ich kann natürlich nur spekulieren, aber die aktuellen Probleme resultieren sicher auch als der unglücklichen Überhöhung des PL4 und damit der PPP sowie der vorangegangenen Degradation der CPUs durch zu optimistische Voreinstellungen.
Vergleich zum Ist-Stand
Das früheste mir vorligende Dokument mit den aktuellen, deutlich höheren Werten von PL1 und PL2 stammt als Revision 2.5 aus dem Februar 2023 und enthält dann auch bereits die Extreme Config, die es vorher nicht gab. Das wird dann unverändert bis zur Revision 3.5 aus dem Dezember 2023 fortgeführt:
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es keine offiziell abrufbaren Erläuterungen oder Auslesemöglichkeiten zu den aktuell wirklich implementierten PL4-Werten gibt, wobei man von 420 Watt für die K-Modelle des I9 ausgeht. Es ist allerdings anzunehmen, dass sich diese z.B. im neuen BIOS von Gigabyte parallel zu den 188 Watt für das PL2 wieder dem angeglichen haben, was mit 314 Watt ursprünglich in den Intel-Spezifikationen stand. Wer über die passende Hardware verfügt und damit im BIOS auch die Werte aus der ersten Tabelle auslesen und vergleichen kann, wird dies sicher feststellen können. Damit steht aber eigentlich auch fest, dass allein Intel an der aktuellen Situation schuldig sein dürfte. Denn was man nicht freigibt, wird von den Boardherstellern auch nicht implementiert.
Für Arrow Lake S hatte man sich bei Intel ja auch schon festgelegt. So beträgt laut den letzten (inoffiziellen) Informationen die TDP 125W, was für entsperrte CPUs von Intel Standard ist. Die PL2-Bewertung ist mit 177 Watt deutlich niedriger als die des Core i9-13900K und 14900K (aktuell bewertet mit 253W), was eine 43%ige Reduzierung der aufgenommenen Leistung bedeutet. Ähnlich ist es bei der PL4-Leistungsgrenze, die auf 333W festgelegt sein soll. Nimmt man jetzt die kolportierte PL4-Grenze von 420W, entspräche das einer 26%igen Reduzierung. Das ist natürlich rein spekulativ, aber es zeigt auch, dass sich Intel auch beim PL4 und damit der nicht direkt änderbaren PPP der Probleme sehr wohl bewusst (gewesen) sein dürfte.
Hier noch einmal der Link auf meinen Artikel vom Samstag, der auch mein Leak von Intels intern verteilter Vorabmeldung beeinhaltet:
Intel veröffentlicht das „13th and 14th Generation K SKU Processor Instability Issue Update“
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