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Grafikkarten-Preisfrage: Warum vieles einfach viel kostet und am Ende doch keiner davon so recht profitiert | Editorial

Man muss es komplett emotions- und interessenlos betrachten, doch am Ende fügen sich viele Bausteinchen dann doch zu einem sehr auffälligen und vor allem auch reichlich unschönen Bild zusammen. Eine kleine Bestandsaufnahme mit ein paar Hintergrundinformationen konnte ich mir so kurz vorm Wochenende dann doch nicht verkneifen...

Man muss es komplett emotions- und interessenlos betrachten, doch am Ende fügen sich viele Bausteinchen dann doch zu einem sehr auffälligen und vor allem auch reichlich unschönen Bild zusammen. Ich würde noch nicht so weit gehen und das Wort Pietät verwenden, als würde es um Sterbende oder gar Tote gehen, aber Schadenfreude wäre ebenfalls komplett fehl am Platz. Zumindest dann, wenn es darum geht, den Zustand einer kompletten Branche zu be- und umschreiben, die zudem oft so tut, als würde es ihr gut gehen. Das tut es aber nicht.

Gier frisst Hirn.

Drei Worte könnten eigentlich das komplett definieren, was aktuell der Grund für das allgemeine Zähneklappern ist. Wären da nicht auch die Beschäftigten der betroffenen Unternehmen, die nichts dafür können. Kennt man dann noch viele der Gesichter aus dem realen Leben, dann leidet man fast schon mit. Nicht mit der Chefetage, aber mit dem Rest darunter. Genau da aber sitzen Nvidia und die ganzen Boardpartner in einem reichlich lecken Boot und rudern gemeinsam wie wild um die Wette.

Über das Mining, dessen Boom und das dann absehbare Platzen der Blase wurde ja schon viel geschrieben, aber ich möchte heute mal ein paar Dinge hinter der Geschichte in die Diskussion einbringen, die viele so gar nicht kennen. Deshalb schiebe ich auch Nvidia als Chiplieferanten mal etwas an den Schluss dieser Ansprache zum Freitag und fasse das, was ich in vielen Gesprächen mit Boardpartnern und Zulieferern in Bröckchenform hingeworfen bekommen habe, erst einmal zusammen. Den AIC geht es nämlich überwiegend schlecht, richtig schlecht..

 

Überbestände

Ich muss das nun Folgende mal etwas im Verständnis runterbrechen, auch wenn mich die Herren BWLer vielleicht dafür erschlagen werden. Aber Mining hin oder her, keine Produktion geht ohne den sogenannten Forecast, also eine Vorausschau. Plant man einen gewissen Ausstoß an Karten, dann muss man ja auch mit Zulieferern und Großhändlern bzw. Komponentenherstellern verhandeln. Nach Tagesbedarf kann man in solchen Größenordnungen nicht einkaufen gehen, das ginge entweder gar nicht (Verfügbarkeit), wäre zu teuer oder von Zufällen abhängig. Also kommt der Hamster-Faktor ins Spiel, wo man kauft, was gerade am Markt günstig ist, anhäuft, was übrig ist und sich möglichst günstige Optionen sichert, wenn es um längerfristige Bestellungen geht.

Aber auch Komponenten kosten erst einmal Geld und eine extensive Lagerhaltung will zudem gut überlegt und durchdacht sein. Denn alles altert und muss irgendwann weg. Solche Käufe kosten immer Geld und binden zudem ordentlich Kapital. Grafikkarten werden manchmal auch erst einmal mit geliehenem Geld produziert, auch das gibt es nicht für lau.

Produktwechsel wie zu Turing können es dann in sich haben und wenn man sich z.B. Nvidias internes Base Design Kit für die großen RTX 28xx-Karten anschaut, dann setzt man dort nunmehr auf Power Stages und keine Einzel-MOSFETs, auf MOSFET DCR (Direct Current Resistance) und nicht auf Inductive DCR. Mal abgesehen davon, dass dies deutlich teuer ist, gibt es hier und da plötzlich einen Engbass bei guten Power Stages. Was bisher für Kepler, Maxwell und Pascal gut genug war, reicht nicht mehr.

Was macht man dann als Boardpartner mit dem, was noch im Lager rumgeistert? Man verbaut es auf den einfacheren Karten, auch wenn die Komponenten dafür überdimensioniert und zu teuer sind. Hauptsache raus damit. Womit ich wieder beim Mining und dem Geiz angekommen wäre und sich der Kreis damit recht elegant schließt. Denn was zur Hölle ist eigentlich eine Mining-Karte?

Ich hatte da gestern beispielsweise einen längeren Chat mit einem Produzenten (auch) solcher Karten, der aktuell nicht weiß, wohin mit den GTX-1060- und GTX-1070-basierten Karten. Mal abgesehen davon, dass es im Lager überwiegend nur die bereits komplett bestückten Platinen sind, ließen sich diese eh nie als herkömmliche Grafikkarten vertreiben. Denn es fehlen essentielle Dinge für die Videoausgabe und die Qualität ist zudem so fragwürdig, dass sich jede RMA-Abteilung mit Grausen verweigern würde. Totes Kapital, das keiner braucht.

Viele dieser Karten laufen zudem außerhalb Nvidias Green Light Programm, würden also nie ein geprooftes Endkunden-BIOS bekommen. Und wenn man Nvidias Kontroll-Wut kennt, dann wird man verstehen, dass sich ein Großteil dieser halbgaren Mining-Produkte bereits im Freiflug auf die Halde befindet. Denn selbst zum Rendern sind sie quasi ungeeignet. Rest in Peace.

Überkapazitäten

Nehmen wir mal einen anderen Boardpartner, der sich nicht nur eine neue Fabrik in China (Mainland) geleistet hat, sondern die Produktionskapazitäten wegen des Mining-Irrsinns mit aller Gewalt und viel Geld quasi über Nacht verdoppelt hat. In den Spitzenzeiten liefen da ca. 200K Karten pro Woche von den Bändern, ganze 4K davon mit AMD-Chips. Das allein zeigt schon die extreme Schieflage bei der Balance, in die sich das Unternehmen freiwillig begeben hat. Bricht nun die Produktion wieder auf die Hälfte zusammen (was noch sehr optimistisch wäre), dann steht die Hälfte der Produktion still.

In China lassen sich die Verträge mit den Fließbandameisen natürlich einfacher lösen, zumal ja viele eh nur Jahresverträge erhalten (Von CNY bis CNY), aber Equipment und Real Estate sind ja weiterhin existent. Fast alles davon ist nur gemietet, geleast oder (zwischen-) finanziert und kostet damit auch weiterhin richtig viel Geld. Kosten, die man nun aus dem laufenden Geschäft mit abdecken muss und welche die Produkte dieses Herstellers generell verteuern müssen, weil nun mal ohne Mischkalkulation in diesen Unternehmen nichts geht.

Das ist übrigens kein Einzelbeispiel und hat manche kleinere Player bereits an den Rand der Geschäftsaufgabe geführt (insolvent sind einige von denen wohl schon länger). Wer einen AIC kaufen möchte, kann dies aktuell also gern mal probieren. Das nötige Spielgeld für einen potentiellen Totalverlust vorausgesetzt.

 

Margen

Boardpartner-übergreifend schimpft man über die sehr niedrigen Margen, mit der man die angelaufenen und laufenden  Verluste kaum noch ausgleichen kann. Unabhängig voneinander spricht man von weniger als 10% Marge, was man mir als Differenz zwischen den Netto-Erlösen an die Distribution und den Gesamtkosten (Materialkosten, Fertigungsmaterial, Fertigungslohn, alle Sondereinzel- und Gemeinkosten, Sozialkosten, alle Arten an Verwaltungskosten, Zinsen auf Fremdkapital einschließlich Bereitstellungszinsen, Abschreibungen, Forschungskosten, kalkulatorische Kosten, Vertriebskosten, RMA, Rücklagen usw.) beschrieben hat. Manche sprechen da bei den kleineren Turing-Modellen (GeForce GTX) gar nur von 5%, die beim Hersteller verbleiben.

Das darf man allerdings nicht auf die aktuellen Apothekenpreise im Handel beziehen, denn hier wird meist mehr verdient als beim Boardpartner selbst. Zumal an dieser Stelle auch Nvidia wieder mit ins Spiel kommt, die die Entwicklungskosten für Turing gnadenlos an die Chipabnehmer weiterreichen. Diese Kritik muss sein, denn viele Boardpartner würden sich über ehemalige Margen von 60% Nvidia zu 40% AIC einer GTX 1080 Ti heute so richtig freuen. Doch solche Dinge sind Geschichte.

Somit haben nicht nur AMD Boardpartner ein echtes Problem mangels innovativer neuer Chips, sondern auch die von Nvidia. Und zwar zusätzlich zum Mining-Unfug. Ich würde jetzt nicht schreiben wollen, dass sich Nvidia mit Turing verhoben hat, im Gegenteil. Aber so etwas durchaus sehr Innovatives dann mit Gewalt und ohne perfekte Vorbereitung fast schon improvisiert in den Consumer-Markt zu drücken, das hat etwas brutal Animalisches. Friss oder stirb? Man kann aber auch schon beim Fressen galant ersticken…  Das nur mal am Rande.

Dass jetzt die Radeon RX 580 und 590 so günstig werden, hat zwei Gründe. Erstens ist Polaris bereits so ausgelutscht, dass man an diesen Chips nicht verlieren, aber immer noch gut verdienen kann. Die Entwicklungskosten sind längst eingefahren worden und man kann fast schon mit dem Preis spielen. Genau dieses Spielchen wird dann wohl die GeForce GTX 1660 treffen, die diesen Monat erscheinen soll und deren UVP man mit ca. 229 bis 239 USD kolportiert. Damit wäre die Karte zwar nicht völlig overpriced, aber für die Boardpartner fast schon der Sargnagel. Denn eines darf man nicht vergessen – es ist die Produktkategoire mit den potentiell höchsten Verkaufszahlen und Einbrüchen bei den Straßenpreisen.

 

Quintessenz

Und wer ist nun schuld? Gute Frage, aber Gier und Geiz sind gar bösartige Begleiter. Die Mining-Blase ist erst einmal geplatzt, Cloud-Rendering nicht wirklich durchgestartet und die Quadro RTX kannibalisiert zudem auch Bereiche, in denen man sonst deutlich mehr „herkömmliche“ Grafikkarten ohne RTX-Doping hätte verkaufen können. Am Ende dürfen sich also alle einmal so richtig kräftig an die Nase greifen, bis hin zum Hobby-minenden Endkunden. Jetzt den Chipherstellern oder Boardpartnern pauschal in die Zwölf zu hauen wäre also auch nicht ganz so ehrlich.

Es ist eine Verkettung von Fehleinschätzungen der Chiphersteller, falschen Managemententscheidungen bei den Boardpartnern, irrwitzigen Marktsprüngen und technischen Unwägbarkeiten, die das alles so schief verbogen haben, wie es sich gerade darstellt. Deshalb ist die Preisfrage, im wahrsten Sinne des Wortes, dann doch komplexer, als man dies als Endkunde gemeinhin denken mag.

 

Trotzdem wünsche ich allen ein schönes Wochenende 🙂

 

 

 

 

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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