Bevor ich noch weitere Zahlen zur Radeon RX 7900 XTX und dem Kühlerproblem nenne sowie auch ein paar Worte über die Zuliefererkette und deren Versagen beim Qualitätsmanagement verliere, müssen wir heute auch einmal über das Qualitätsmanagement im Allgemeinen und die Qualitätssicherung sowie die Qualitätskontrolle im Besonderen reden. Warum? Weil es hilft, die komplexen Zusammenhänge besser zu verstehen und auch einzuordnen, denn AMD ist ja selbst kein Hersteller, sondern lässt herstellen. Und dieser Lohnfertiger setzt wiederum auf weitere Zulieferer, welche wiederum Dritt- und Viertfirmen firmen für sich arbeiten lassen. Die kausale Kette scheint also nahezu endlos zu sein und wenn auch nur ein Glied reißt, dann gute Nacht.
Genau das aber scheint beim aktuellen Problem mit AMDs eigenen MBA-Karten (Made by AMD) passiert zu sein. Am Ende kann man Scott Herkelman ja nur bedauern, denn ein Live-Interview zu einem Zeitpunkt zu geben, wo mit Sicherheit noch nicht alle Details geklärt werden konnten, halte ich durchaus für brisant und halsbrecherisch. Denn eigentlich konnte er hierbei nur verlieren, zumindest was die getätigten Aussagen betrifft. Dass man die Öffentlichkeit eines Mediums nutzt, um abzuwiegeln bzw. zu beruhigen, geschenkt. Denn es ist nun mal auch die Aufgabe der PR, solche Dinge zu tun. Aber man sollte an dieser Stelle wirklich aufpassen, wo die Grenzen zwischen Realität und Wunschdenken verlaufen. Denn alles ist ja auch nachprüfbar, wenn auch oft leider erst viel später. Und die Kunden sind keine Langschläfer.

Wichtige Vorbemerkung
Ich muss faierweise voranstellen, dass einige meiner Schlussfolgerungen auf Informationen Dritter (Beteiligter) basieren, es aber bei Betrachtung der üblichen, betriebswirtschaftlichen Abläufe doch völlig plausibel scheint. Die Abläufe bei den beteiligten Fertigern sind mir allerdings bekannt, denn da gibt es auch keine wirklichen Geheimnisse. Doch was im Detail konkret schiefgelaufen ist, muss das Qualitätsmanagement jetzt möglichst schnell und vollständig aufarbeiten und klären. Das ist weder meine Aufgabe, noch die irgendwelcher Dritter und Außenstehender. Ich habe auch die folgenden Abläufe und Überlegungen zum Qualitätsmanagement deutlich heruntergebrochen, damit der normale Leser nicht gelangweilt beim Morgenkaffee einschläft.
Die Globalität und Vielschichtigkeit eines Qualitätsmanagementsystems schließt sämtliche Kunden-Lieferanten-Beziehungen mit ein und wirkt als permanente, intensive Wechselbeziehung zwischen ihnen. Und wenn wir hier von Qualität sprechen, dann steht der verwendete Qualitätsbegriff als Einheit von Beschaffenheit und Qualitätsanforderung. Die eingeforderte Qualität ist somit auch nicht das Maximum an Realisierbarkeit, sondern die korrekte Realisierung der für einen Kühler definierten Qualitätsforderungen. Fehler können immer passieren und es gibt keine zu 100% fehlerfreie Produktion. Aber man muss eben auch stets bestrebt sein, sich diesem unerreichbaren Ideal mit einer sogenannten Null-Fehler-Strategie anzunähern.
Faktencheck
Kommen wir vor unseren Untersuchungen des Qualitätsmanagements deshalb erst einmal zum Faktencheck. Die erste Aussage, die verwundert ist die, dass im Interview über eine breite Verfügbarkeit von Austauschkarten gesprochen wurde. Da ich selbst einen RMA-Prozess begleite, zitiere ich einmal aus dem Schreiben des AMD-Supports an den Kunden, welches ebenfalls aus dem gleichen Zeitraum stammt, also aktuell ist. War im ersten Schreiben (von Anfang Januar 2023) noch von rund zwei Wochen für den bereits beantragten Ersatz die Rede, stellt sie dieser Umstand mittlerweile als nicht mehr haltbar heraus. Ich zitiere deshalb einmal aus dem mir jetzt vorliegenden Schreiben, welches als Antwort auf den bereits mit AMD vereinbarten Austausch kam:
Wenn Sie stattdessen eine Rückerstattung bevorzugen, können wir diese Rückerstattung sofort abwickeln, und wir stellen Ihnen ein Rücksendeetikett zur Verfügung, damit Sie die Karte an unser Lager zurücksenden können
Das hätte man im Interview durchaus auch richtig kommunizieren können, ja sogar müssen. Dass hier die PR dem Support widerspricht, ist eigentlich so nicht mehr nachzuvollziehen. Außerdem spricht Scott Herkelman im Interview von einer nur geringen Anzahl betroffener Karten, was aber mit Sicherheit so nicht stimmen kann. Während verschiedene Boardpartner (AIB) von 9 bis 11 Prozent an mittlerweile realisierten bzw. beantragten RMA-Fällen berichten, sind die Informationen von Systemintegratoren (SI) und Fertig-PC Herstellern deutlich alarmierender. Denn dort stehen ja mittlerweile auch ausgeschlachtete und nicht komplett montierte PCs mit Quoten von weit über 10% auf Halde bzw. Standby. Was auch daran liegen mag, dass die SI deutlich zielgerichteter testen, als viele Käufer von Einzelkarten (mangels Wissen). Einen Taktverlust durch thermisches Throttling als Feature zu verkaufen, ist geradezu absurd, weil hier auch der Speicher mit gegrillt wird, dessen Betriebstemperatur weit unter 110 °C spezifiziert wurde. Man muss dem Interviewer wirklich vorwerfen, hier nicht in einigen Punkten nachgehakt zu haben. Das ist leider Weichspülen á la carte und war garantiert auch im Vorfeld so abgesprochen.
Mal abgesehen davon, dass manchen SI bereits der Lagerplatz ausgegangen ist (wir reden hier auch von betroffenen Systemen im jeweils höheren dreistelligen Bereich), spielt dies dem grünen Mitbewerber leider direkt in die Hände. Ich würde mich noch nicht einmal wundern, wenn NVIDIA mit speziellen Rabattaktionen dafür sorgen würde, dass hier ein einfacher Ersatz durch eine GeForce RTX 4080 forciert würde. Zumindest weiß ich, dass bereits PCs mit auf NVIDIA-Produkte gewandelten Karten ausgeliefert wurden. Das ist zumindest bitter für die Marktdurchdringung im SI-Bereich, der eh schon ein schwieriges Pflaster für AMD ist. Also wenn ich NVIDIA wäre, das bezahlt Jensen doch locker aus seinem Leder-Portemonnaie. Nach dem medienwirksam präsentierten Adapter-Gate vom November-Event jetzt das Vapor Gate als Rache? Karma is a b1tch.
Grundlegendes Problem: AMD ist kein Hersteller, das Qualitätsmangement jedoch eine ernste Wissenschaft
Ich tue mich (aus nachvollziehbaren Gründen) immer schwer, genaue Quellen zu benennen. Denn dadurch verbrennt man diese schneller als man Mops sagen kann. Und es ist auch eine Frage des Anstands. Aber einige Dinge können wir heute dann doch einmal lüften, die der breiten Masse sicher so nicht vertraut sind. Das beginnt schon mit der Kette der gesamten Lohnfertigung, die man seitens AMD einem erfahrenen Hersteller (OEM und ODM) wie PC Partner aus Dongguan anvertraut. Doch dieser Hersteller ist ja eigentlich nur der Endfertiger, der wiederum Dritte und Vierte mit der Lieferung weiterer Komponenten in einer langen Kette beauftragt.
Was braucht man eigentlich, um eine Grafikkarte herzustellen bzw. die Endfertigung vorzunehmen? Zunächst beauftragt man Platinenhersteller, die die nackten PCBs zum Fertiger liefern, kauft die ganzen Komponenten ein und lässt sich teilweise auch die Gurte für die SMD-Bauelemente bereits von Dritten bestücken – und man kauft einen kompletten Kühler ein. Bevor ich auf diesen Kühler und die weiteren Verstrickungen im Lieferprozess eingehe, schauen wir uns das mit dem Qualitätsmanagement erst einmal grob an, damit wir auch das grundlegende Problem erfassen können.
Das erste Problem, trotz ISO 9000:2015 , ist die genaue Abgrenzung der 3 Bereiche Qualitätsmanagement (QM), Qualitätssicherung (QA, Quality Assurance) und Qualitätskontrolle (QC, Quality Control), die man so genau gar nicht beantworten kann. Denn die ganzen Lieferketten und verteilten Verantwortlichkeiten verwischen hier die Definitionen und schaffen fließende Übergänge, die eine exakte Abgrenzung schwierig bis unmöglich machen. Des weiteren kann jeder Hersteller auch seine ganz eigenen Definitionen und Übergänge einführen, beziehungsweise diese Befindlichkeiten an die genauen Umstände, Gegebenheiten und Anforderungen des jeweiligen Endproduktes anpassen. Es ist auf jeden Fall aber essentiell, dass der übergeordnete OEM zusammen mit dem Auftraggeber die Bedeutung, die Definition und die Abgrenzung von QM, QA und QC definiert und schlussendlich auch durchsetzt.
Während sich das Qualitätsmanagement in den Händen von AMD und in großen Teilen auch vom Lohnfertiger befindet, müssen sich hier die Drittanbieter und Zulieferer nahtlos einfügen. Das ist im Fall der RX 7900 XTX durchaus ein steiniger Weg, denn der Kühler wird von Cooler Master geliefert. Allerdings ist Cooler Master auch nur “Man-in-the-Middle”, denn das Kühlkonstrukt samt Vapor Chamber lässt man wiederum von Asia Vital Components Co., Ltd. (kurz auch AVC genannt) fertigen. Während das QM bei AMD und dem Lohnfertiger liegt, muss Cooler Master sich also unterordnen und die seinerseits die QA sicherstellen. Der eigentliche Fertiger AVC hat sich wiederum der übergeordneten QA (und damit auch dem generellen QM) unterzuordnen und vor Ort bei der Fertigung die QC zu gewährleisten. Werfen wir mal kurz einen Blick auf die direkten Zusammenhänge von QA und QC:
Die QA hätte hier bereits beim nackten Kühler greifen müssen. Da muss man dem betreffenden Produktmanager von Cooler Master die Verantwortung zuweisen, auch wenn AVC der eigentliche Verursacher, also der Schuldige ist. Die QA bei AVC muss vom Auftraggeber kontrolliert werden, das ist einfach so. Im Detail heißt das: die QA verfolgt stets einen proaktiven Ansatz. Das heißt also, ein Fehler soll durch ein Prozess- oder Produktdesign bereits verhindert werden, bevor er überhaupt auftritt. Die QC im Produktionsablauf und der Endkontrolle wiederum verfolgt einen rein reaktiven Ansatz und konzentriert sich auf die Erkennung und Verifizierung von Fehlern, die bereits aufgetreten sind.
Die QA verfolgt einen prozessorientierten Ansatz und konzentriert sich auf die Vermeidung von Qualitätsproblemen durch die Einführung von Prozessen und Methoden, während die QC einen produktorientierten Ansatz verfolgt und sich auf die Identifizierung von Qualitätsproblemen im Wareneingang (dazu mehr auf der nächsten Seite), innerhalb des Fertigungsprozesses oder bei der Endkontrolle und Freigabe konzentriert (auch dazu gleich mehr). Die Qualitätssicherungssysteme der QA beinhalten Methoden und Verfahren zur Erfüllung Qualitätsstandards und -anforderungen. Die Qualitätskontrollsysteme messen, prüfen und verifizieren vor und im Produktionsablauf. Weiter will ich das hier gar nicht mehr auswalzen
Wir sehen also, dass eine defekte Chamber hätte erkannt werden können (und auch müssen), indem man von jeder Batch (Serie), die bei AVC im Allgemeinen 10.000 Einheiten umfasst, bereits Stichproben im fertigen Produkt getestet hätte. Und wer sich noch erinnert: AMD, PC Partner, Cooler Master und AVC haben aus bereits gemachten Fehlern nichts, aber auch gar nichts gelernt. Erinnert sich noch jemand an das grässliche Pumpenfiepen der FuryX von AMD? Die eingeschlossenen Luftbläschen im Verguss hat erst ein deutscher Redakteur finden müssen, während die gesamte Asia-Connection wochenlang irrlichternd im Dunkeln getappt ist. Mal war es der PWM-Controller, mal der dumme Kunde mit einem falschen Einbau. Aber alles nur Käse. Fun-Fact: AVC hat später sogar noch die defekten Pumpen an Gigabyte für deren Waterforce geliefert, was ich dann aufdecken durfte. Naja, wenn die Produktmanager für AMD und NVIDIA nicht miteinander reden, kommt dann auch sowas raus. Den Controller bei AVC hat die gewinnbringende Entsorgung von teildefekten Pumpen sicher gefreut.
Eine leise Pumpe für Gigabytes GTX 980 Ti Xtreme Gaming Waterforce | Retro vor 5 Jahren
Wenn nichts matcht
Genau an dieser Stelle hätte ich aber noch eine Insider-Information, die eine sinnvolle QA eigentlich kaum möglich macht. Gut, wir sind jetzt nicht bei Tinder, aber “matchen” hat auch in der QA eine große Bedeutung. Ich schrieb ja bereits, dass man anhand der Seriennummer einer Grafikkarte auf die Serie des Kühlers rückschließen kann, dessen QR Code die nötigen Informationen bereithält. Wer jedoch glaubt, damit auch die Serie (Batch) der Vapor Chamber lokalisieren zu können, dürfte jetzt vielleicht enttäuscht sein.
Damit dies überhaupt möglich wäre, müssten die Batch der Vapor Chamber und die des fertigen Kühler deckungsgleich übereinstimmen, also “gematcht” sein. Nur wenn auch eine Batch von Kühlern fortlaufend mit nur einer durchgehenden Batch dieser Vapor Chambers bestückt wurde, kann man überhaupt von einem nachvollziehbaren Ablauf sprechen. Laut meiner Information ist dies aber nicht der Fall. Stimmt das, dann können sich teildefekte Vapor Chambers wild über viele Batches der Kühler verteilen, weil hier verschiedene Chargen im Werk vermischt wurden. Wer sich so etwas zutraut, hat allerdings auch die verdammte Pflicht, alle Komponenten bis zum Schluss ausführlich durchzutesten und zu kontrollieren. Im Wort QA steckt nun einmal Sicherung (Assurance) drin, und genau darauf kommt es ja an.
Ich wünsche AMD (und am Ende vor allem Cooler Master) viel Spaß und schönes Wetter, um das überhaupt mengenmäßig valide beziffern zu können. Genau deshalb tut man sich auch sicher so schwer: man weiß es wohl einfach nicht. Man wird am Ende also nur reaktiv handeln und austauschen können. Stimmen die von mir genannten Umstände wirklich, dann wäre ein gezielter Rückruf technisch und logistisch überhaupt nicht möglich. Warum allerdings auch PC Partner grandios versagt hat, das lest Ihr auf der nächsten Seite, wo es um das genaue QM beim Fertiger geht, denn ich war ja schon einmal in einer Fabrik von PC Partner und weiß am Ende auch, worüber ich schreibe.
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