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Wie viel Watt schafft ein A320 Motherboard in der Praxis wirklich und welche CPU sollte man maximal nutzen? | Praxistest und VRM-Analyse

Aktive Sterbehilfe ist höchstumstritten, nur blenden das viele Endanwender bei ber Wahl des Motherboards geflissentlich aus. Nach dicker CPU und Grafikkarte ist der Spielraum für den Unterbau oft knapp und man greift gedankenlos ins Billig-Regal und wundert sich dann über Grillerzeugnisse der unschönen Art.

Nur damit wir uns auch richtig verstehen: diese Einstiegsmodelle im Low-Budget-Bereich haben ihre absolute Daseinsberechtigung, aber eben auch nur für den richtigen Verwendungszweck. Das aber blenden die Protagonisten der Dickschiff- und Übertakterfront nur allzu oft geflissentlich aus. Und dann gibt es ziemlich fix eine geschrottete Platine und einen erbosten Kunden mehr. Ich habe mir deshalb eher zufällig ein Gigabyte A320M-S2H V2 besorgt, denn es war quasi gerade im Lagerbestand. Es wird heute die Aufgabe sein herauszufinden, wie viel Watt die Spannungswandler eines solchen Motherboards wirklich sicher liefern können und wo dann schon die heiße Reise ins Traumland beginnt. BBQ statt Barbie.

Da ich für solche Tests generell nicht die Hersteller um Samples bitte, um objektiv und ungebunden testen sowie dies auch transparent darstellen zu können, geht mein spezieller Dank an X-Hardware, einen lokalen Händler. Das ist für alle Beteiligten sogar noch ein ordentliches Win-Win, denn bald kennen wir dann auch die genauen Grenzen solcher Sparbrötchen. Am Ende hätte es also jeden Hersteller treffen können, allerdings mehr oder weniger stark. Doch dazu gleich mehr.

 

 

Der Hersteller vermeldet laut CPU-Kompatibilitätsliste eine ganze Reihe unterstützter Prozessoren, bis hin zum noch gar nicht erschienenen AMD Ryzen 9 3950X mit einem Leistungs-Rating von 105 Watt. Wumms, der hat gesessen, denn wenn ein solcher Kraftprotz auch auf so einem federleichten Schneidebrettchen läuft, dann jubiliert sogar der sparsamste Schotte und macht sich erst mal eine gediegene Flasche auf. Doch ich bin misstrauisch, zu Recht, wie sich gleich noch herausstellen wird. Und ich war am Ende noch nicht mal extrem übermütig. Doch immer schön der Reihe nach…

Das  GA A320M-S2H V2 kommt extrem minimalistisch daher. Als PWM-Controller fungiert ein sehr günstiger ISL95712 von Renesas, der zumindest zwei unterschiedliche Spannungen steuern kann. Im aktuellen Fall sind es drei Phasen für die CPU und drei Phasen für den SoC. (siehe Bild unten). Wer hier auf die Schnapsidee gekommen ist, 105 Watt über mickrige drei Phasen abfeuern zu wollen und den extrem schmalbrüstigen SoC stattdessen mit drei weiteren, sich langweilenden Phasen zu beglücken – keine Ahnung. Im gleichen Bereich der Boards unter 50 Euro verfügt z.B. ein MSI A320M Pro-M2 wenigstens über vier Phasen für die CPU und zwei weitere für den SoC, aber das habe ich leider zu spät bemerkt. Egal, da muss das Gigabyte-Board jetzt durch.

Die drei Phasen für die CPU werden jeweils von einem NTMFS4C10N auf der High-Side und einem parallel arbeitenden Pärchen aus zwei NTMFS4C06N realisiert. Auch das ist ultragünstige Ware von ON Semiconductor, denn die Verluste dieser sehr einfachen Single-N-Channel MOSFETS sind bei ca. 85 °C (und höher) nichts, was auch nur ansatzweise nach Effizienz schreit. Wobei die Mitbewerber-Boards ja ähnlich günstig gestrickt sind, so dass es sich hier einfach um generelle Sparzwänge handelt und nicht um bösen Willen. Denn es fehlen auch jegliche Kühler auf den MOSFETs, was den Preis und meine Sorgenfalten gleichermaßen drückt.

Testaufbau und das Ausloten der Grenzwerte

Kommen wir zur Aufgabestellung und dem Testaufbau, bei dem ich es mir trotz der einfachen Hardware eher schwer gemacht habe. Gut ist, dass es im BIOS, wenn auch unter Peripherie und einigen weiteren Untermenüs schamhaft versteckt, dann die Einstellungen für den Precision Boost Overdrive gibt. Dann nämlich erübrigen sich auch die Diskussionen, mit welcher Software man den Glühwein produziert, denn ich kann mir feste Wattzahlen für das CPU-Gesamtkunstwerk vorgeben, die auch sehr penibel eingehalten werden. Alle Kontrollmessungen mache ich wie immer direkt am EPS-Anschluss und lese auch noch die passenden Sensoren aus.

Als thermische Grenze habe ich mir für die MOSFETs 110 °C gesetzt, auch wenn das Platinenmaterial ab ca. 100 °C bereits im Langzeitbetrieb leiden dürfte. Aber zumindest die Zielgruppe der kaffeekochenden Büroangestellten wird diese thermischen Höhenflüge nie buchen, womit es sich auch wieder etwas relativiert. Und da ich mit dem Wasserkühler messen muss, weil jeder Luftkühler die Sicht versperrt, habe ich noch den realen Airflow eines Standard-PCs von der Stange ausgelotet. AMDs Wraith-Kühler im kleinen Pure Base von Be Quiet musste es richten und ich habe erst einmal die MOSFET-Temperaturen bei exakt 65 Watt und 95 Watt konstanter Last ausgelesen, wenn der Lüfter automatisch gesteuert lief.

Danach gabs den offenen Aufbau und die beiden Durchgänge mit Lüftersimulation habe ich mittels eines externen und regelbaren Lüfters so realisiert, dass die Sensorwerte sich mit den zuvor ermittelten Werten wieder gedeckt haben. Viel genauer kann man es eigentlich nicht machen. Allerdings ist es auch so, dass die Inductor DCR, die der PWM Controller beherrscht, nur alle Phasen als Mittelwert abschätzt. Das klappte sogar recht gut, auch wenn das Balancing in der Realität nicht zu 100% optimal war.

Als CPU nutze ich sicherheitshalber einen kleineren Ryzen 5 3600 X, der mit 95 Watt spezifiziert ist und keinen Ryzen 7 oder 9, auch wenn es die CPU-Tabelle oben so meint. Sicher ist, dass auch diese CPU alle TDP-Klassen mit Prime95 locker erreicht (und wunschweise auch überschreitet). Aber dafür habe ich ja PBO und das Power Limit, um hier wirklich exakte Lasten erzeugen zu können. Hier jetzt noch einmal der Testaufbau als Übersicht, bevor wir loslegen:

Testsysteme und Messräume
Hardware:
AMD Ryzen 5 3600X
Gigabyte A320M-S2H V2
2x 8GB Trident DDR4 3600
1x 1 TB OCZ SSD
1x Seagate FastSSD Portable USB-C
Seasonic Prime 1200 Watt Titanium Netzteil
Kühlung:
Alphacool Eisblock XPX
Aphacool Chiller Eiszeit 2000
Gehäuse:
Raijintek Paean (offen, ohne Glas)
Monitor: Eizo EV3237-BK
Leistungsaufnahme:
berührungslose Gleichstrommessung am PCIe-Slot (Riser-Card)
berührungslose Gleichstrommessung an der externen PCIe-Stromversorgung
direkte Spannungsmessung an den jeweiligen Zuführungen und am Netzteil
2x Rohde & Schwarz HMO 3054, 500 MHz Mehrkanal-Oszillograph mit Speicherfunktion
4x Rohde & Schwarz HZO50, Stromzangenadapter (1 mA bis 30 A, 100 KHz, DC)
4x Rohde & Schwarz HZ355, Tastteiler (10:1, 500 MHz)
1x Rohde & Schwarz HMC 8012, Digitalmultimeter mit Speicherfunktion
Thermografie:
1x Optris PI640, 2x Xi400 Infrarotkameras
Pix Connect Auswertungssoftware mit Profilen
Betriebssystem Windows 10 Pro (1903, alle Updates), Treiber aktuell

 

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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