Grafikkarten Kühlung Luftkühlung Praxis Testberichte

Wenn die Backplate der GPU zur Seite springt – Günstige Kühler können ordentlich profitieren

Wir wissen ja bereits, dass günstigere Produkte auch einfacher hergestellt werden müssen, um den angepeilten Preispunkt überhaupt treffen zu können. Nimmt man wie ich heute einmal exemplarisch eine Grafikkarte der unteren Mitteklasse her, dann lohnt sich eine Untersuchung der Folgen durchaus. Exemplarisch deshalb, weil es alle Hersteller und Produkte in gleichem Maße betrifft. Physik und BWL sind nun mal nicht zu hintergehen, leider. Nehmen wir deshalb einmal den Kühler so einer Karte ab und schauen und den Heatsink an, der eigentlich gar keiner mehr ist.

Angeschliffene Heatpipes statt eines verlöteten Kupferbodens sind jetzt eigentlich nicht das, was man als Optimum bezeichnen würde, aber in einer gewissen Preisklasse fast schon Standard, leider. Und genau da kommt nun eine Backplate ins Spiel, mit der man zusätzlich noch Wärme vom PCB abführen möchte. Viele Hersteller klatschen deshalb sehr optimistisch eimerweise Wärmeleitpads auf die Rückseite und verdongeln das Ganze mit einer günstigen Backplate. Doch wo lohnt sich diese Art der Kühlung am ehesten? GPU, Speicher, Spannungswandler oder gar nicht?

Um das herauszufinden, habe ich, exemplarisch, eine Backplate speziell präpariert. Dort, wo Ihr jetzt die Löcher seht, liegen an genau diesen Stellen die thermisch verbindenden Wärmeleitpads, die ich mit dem Skalpell im Bereich der Löcher ausgeschnitten habe. Ihr wisst schon, ich nutze ja die Infrarot-Kamera, deren Bolometer-Matrix hoch genug auflöst, um auch solch keine Bereiche noch sicher erfasssen zu können. Dazu lege ich direkt daneben noch einen Messpunkt zur Kontrolle auf die Oberfläche der Backplate, um die Temperaturunterschiede messen zu können.

Oberflächentemperaturen auf der Platinen-Rückseite

Das erste Bild zeigt und nun die Ausgangslage ohne montierte Backplate. Die Messpunkte, die normalerweise auf der Platte neben den Löchern liegen, zeigen hier ebenfalls die Platinentemperaturen an, logisch. Aber ich brauche sie, damit ich nachher meine Messungen der Oberflächentemperatur der Platte besser bewerten kann (Differenz). Direkte Messungen mit einem kalibrierten Messfühler ergaben für die fast perfekt geschwärzte Backplate einen Emissionsgrad von reichlich 0.96.

Schauen wir also mal auf die Temperaturen nach über 30 Minuten Volllast (Witcher 3, UHD)! Der Bereich unterhalb des BGA mit der GPU liegt bei rund 66 °C, der heißeste Bereich unterhalb der Spannungswandler bei ca. 61 °C und das heißeste Fleckchen unter einem Speichermodul bei ca. 62 °C. Damit kann man durchaus leben und viele Hersteller würden jetzt hier einfach auf die Backplate verzichten, wäre da nicht die hässliche Optik. Konkurrenz belebt das Geschäft und so findet man mittlerweile sehr günstig gestanzte und einfach montierte Backplates bis in die Bereiche der günstigen Karten.

Legen wir nun einmal über den gesamten Bereich der Spannungswandler (VRM) einen langen, senkrechten und ca. 1.5 cm breiten Streifen und wiederholen Das Spielchen mit den drei Bereichen für die Speichermodule und natürlich als großes quadratisches Pad auch unterhalb des BGA. Dann montieren wir die Backplate und lassen den Witcher erneut über 30 Minuten laufen. Der größte Unterschied liegt hier bei der GPU! Wir messen um die 5 Grad/Kelvin weniger, was wunderschön zeigt, wie suboptimal diese Direct-Heat-Touch-Lösungen (DHT) anstelle eine echten Heatsinks doch in Wirklichkeit sind.

Bei den Temperaturen unterhalb des Speichers sind es noch ca. 2 Grad Unterschied, bei den Spannungswandlern nur eines. Oops? Jetzt muss man natürlich wissen, dass die Platinen-Temperaturen nicht immer auch die Komponenten-Temperaturen zeigen. Bei den Spannungswandlern ist die rückseitige Messung noch am genauesten, bei den heißesten RAM-Modulen jedoch nicht, weil hier auch noch die stromführenden Versorgungs-Tracks in der Platine entlangführen. Die zweite Erkenntnis betrifft jetzt die Temperatur-Differenz zwischen Platine und Oberseite der Backplate.

Die erste Erkenntnis: alle Pads mit einer Wärmeleitfähigkeit von mehr als 4 W/mK performen in etwa gleich und es spielt überhaupt keine Rolle, ob sie nun vom Grabbeltisch oder aus der Apotheke stammen. Hier muss man sich also finanziell noch nicht einmal übernehmen, da reicht also auch Dutzendware locker aus. Die teureren Pads lassen die gezeigten Tempertauren ca. 5 Minuten eher erreichen, danach bleibt aber nach dem Erreichen der Sättigung alles gleich.

Temperaturen der Komponenten und Lüfterdrehzahlen

Beginnen wir mal bei der GPU. Mit 71 bis 72 °C ohne Backplate und 63 bis 64 °C mit Backplate gelingt auch hier der größte Sprung. Bis zu 8 Grad Unterschied sind wirklich eine echte Hausnummer. Beim Hotspot  fällt die Differenz mit den 3 Grad zwischen den ausgelesenen 81 bzw. 84 Grad deutlich kleiner aus. Da AMD jedoch die Lüftersteuerung an den Hotspot koppelt, wird die GPU mit Backplate zwar deutlich kühler, aber  es wird leider nicht leiser. Die 3 Grad Hotspot-Differenz reichen nur für eine Absenkung der Lüfterdrehzahlen um ca. 50 bis 70  U/min. Witzlos.  

Beim Speicher ist es noch krasser, denn hier gibt es faktisch gar keine Unterschiede. Gerade bei den billigeren Karten könnte man sich die Pads also komplett sparen. Wenn, dann maximal unterhalb der Module, die zwischen der GPU und den Spannungswandlern liegen. Die Backplate wird also dem Speicher nicht signifikant unter die Arme greifen können.

Zusammenfassung und Fazit

Je kostengünstiger so ein Kühler ausfällt, umso wichtiger kann eine Unterstützung durch die Backplate werden, solange man sich im Bereich normaler Einsteiger- oder Mittelklasse-Grafikkarten befindet. Alles, was deutlich über 200 Watt an Abwärme in den Orbit schießt, unterliegt noch einmal ganz anderen Gesetzen, da man dann am Kühler anders sparen muss. Hier beziehe ich mich explizit auf den Unfug mit den angeschliffenen Heatpipes, die man lieblos ins Alu-presst und sich dann auch nicht wundern muss, warum das nicht optimal funktioniert.

Deshalb kann man, solange eine Backplate vorhanden ist, die die Abwärme auch aufnehmen und emittieren kann, mit geeigneten Pads unterhalb der GPU und der thermisch anfälligsten Speichermodule durchaus eine spürbare Verbesserung erzielen. Das ist ein Benefit, der fast nichts kostet, aber zumindest die GPU ruhiger und kühler leben lässt. Das muss dann auch keine bärenstarke Apothekenlösung sein, sondern kann vom netten Discounter geordert werden. Die tut es nämlich genauso. Limitierender Faktor sind hier eh die Backplate und der Übergang zur Luft im Gehäuse.

Testsysteme und Messräume
Hardware:
AMD Ryzen 3900XT
MSI MEG X570 Godlike
2x 32GB Patriot Viper Black DDR4 3600
1x 1 TByte Patriot Viper VP4100 (NVMe System SSD)
1x Seagate FastSSD Portable USB-C
Be Quiet Dark Power Pro 11, 850-Watt-Netzteil
Kühlung:
Alphacool Eisblock XPX
5x Be Quiet! Silent Wings 3 PWM (Closed Case Simulation)
Gehäuse:
Lian Li PC-T70 mit Erweiterungskit und Modifikationen
Modi: Open Benchtable, Closed Case
Monitor: Eizo EV3237-BK
Thermografie:
1x Optris PI640, 2x Xi400 Infrarotkameras
Pix Connect Auswertungssoftware mit Profilen
Betriebssystem Windows 10 Pro (2004, alle Updates)

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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