Ich werde mich hüten und mir auch nicht anmaßen, das Alchemist-Vorhaben jetzt schon als gescheitert zu bezeichnen, denn über Erfolg oder Misserfolg werden die Zeit und der Markt ganz allein entscheiden. Das steht mir definitiv nicht zu und man muss auch nicht die investierte Arbeit der Entwickler anhand nur eines getesteten Produktes herabwürdigen. Allerdings fügen sich immer mehr Puzzlestücke zu einer Erkenntnis zusammen, die mir in der Entwicklung und Form überhaupt nicht gefällt. Der heutige Artikel reflektiert die Belange der Systemintegratoren und Fertig-PC-Hersteller jedoch genauso, wie das OEM-Business der großen Boardpartner und die Stimmungslage bei so manchem Entscheider, ob man nicht präventiv besser jetzt schon den Stecker ziehen oder noch weitermachen solle.
Um meine Quellen zu schützen, werde ich bewusst auf die Nennung von Firmennamen und Personen verzichten und das Ganze auch als Mutmaßung kennzeichnen und nicht als Faktencheck, auch wenn ich mir meine Informationen ja nicht aus den Fingern sauge.

Fangen wir zunächst am oberen Ende der Nahrungskette an. Aktuell sitzen viele der größeren Boardpartner noch auf massenhaft “inventory”. So nennt man nicht verkaufte aber bereits produzierte Ware wie Grafikkarten, Mainboards und andere Produkte. Hier ist aktuell jede Menge Kapital gebunden, was am Ende auch wenig finanzielle Luft für Experimente wie die Markteinführung einer neuen Grafikkarten-Schiene lässt. Um wirtschaftlich produzieren zu können, müssen gewisse Mindeststückzahlen produziert und auch zu einem vertretbaren Preis verkauft werden können.
Fakt ist allerdings, dass Intel den Boardpartnern gleich zu Beginn sehr deutlich “nahegelegt” hat, bei den Alchemist-Karten (überwiegend) auf das Retail-Geschäft zu verzichten und sich auf die Systemintegratoren und OEM-Kunden zu konzentrieren. Das haben mir mittlerweile mehrere Vertreter bestätigt. Dazu kommt, dass man (wie mittlerweile ja bekannt) nur lokale Märkte freigab und zumindest die ersten Karten und auch Fertig-PCs der Eigenmarken somit nur auch in Asien erhältlich waren. Legt man den Fokus jedoch aufs OEM-Business, müsste es dann für die Produkte auch Abnehmer geben. Weltweit und in Stückzahlen. Genau an dieser Stelle fängt es aber an, interessant zu werden.
Ich habe einige Händler, potentielle Distributoren und auch Fertiger im europäischen Raum nach den Arc-Karten von Intel und die Pläne dieser Firmen diesbezüglich befragt. Es bestand jedoch überwiegend nur ein geringes bis gar kein Interesse, sich auf das Abenteuer mit diesem neuen Produkt überhaupt einzulassen. Und wohlgemerkt, das war noch lange vor den ersten Benchmarks und auch unseren eigenen Tests der Arc A380! Das wichtigste Argument war stets, dass Intel im Gegensatz zu NVIDIA und AMD keinerlei Preisgarantie geben konnte oder wollte und das die Rahmenbedingungen und Grundlagen für die Kostentreiber wie RMA und Rücknahme deutlich schlechter waren als bei den Mitbewerbern.
Ein Produkt, von dem keiner weiß, was es wirklich kann, braucht allerdings für die Akzeptanz beim weiterverarbeitenden Gewerbe völlig andere Rahmenbedingungen. Ich würde das jetzt nicht gleich Arroganz nennen wollen, aber man muss den Risiko-Trägern von Seiten Intels schon etwas entgegen kommen (und was anbieten) und nicht nur darauf pochen, dass sich alles, wo Intel draufsteht, auch als Selbstläufer verkauft. Dafür steht exemplarisch sicher auch, dass es Intel überhaupt schwergefallen sein soll, passende Launchpartner in Deutschland zu finden. Ich kenne nicht nur eine Firma, die aufgrund der Rahmenbedingungen dankend abgelehnt hat.
Ohne dieses Interesse der gewerblichen Abnehmer stehen aber die Boardpartner komplett im Regen, womit sich der Kreis leider an dieser Stelle schließt. OEM gut and schön, aber ohne Kunden funktioniert auch dieses Geschäft eben nicht. Dass man dann als AIB die bereits produzierten Einheiten einfach in eigene Fertig-PCs verpackt ist folgerichtig, aber eine echte Marktdurchdringung funktioniert anders. Ich frage mich in diesem Zusammenhang auch, was ASRock wohl geritten haben mag, seinen Status als exklusiven AMD AIB aufzugeben. Dass es damals schon zwischen den beiden Partnern geknirscht hat, als es um den Schutz der anderen AMD-Partner und deren Märkte ging, hatte ich ja seinerzeit exklusive in einigen News und einem eigentlich “verbotenen” Test der ersten ASRock-Grafikkarte berichtet. Ob ASRock nun unzufrieden war oder sich aus anderen Interessen heraus entschlossen hat, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen. Aber pikant ist das irgendwie schon.

Die News hinter den News: Mindestens einer der großen Boardpartner hat mittlerweile die Produktion der Intel-Karten sogar wieder komplett eingestellt (“due to quality concerns“), wie ich gestern und heute in Erfahrung bringen konnte. Womit wir wieder beim Ziehen des symbolischen Steckers angekommen wären. Sollte sich das in der Breite bewahrheiten und noch weiter fortsetzen, dann hat Intel ein echtes Problem und müsste zunächst von eigenen, selbst produzierten Referenzkarten leben.
Das aber würde einer Verbreitung und Kundenakzeptanz erheblich im Wege stehen. Andere Boardpartner haben zumindest schon die Marketingaktivitäten komplett gekappt und es sieht aktuell auch nicht so aus, als dass es im von mir genannten Zeitfenster zwischen dem 05.08.2022 und dem 29.09.2022 zu echten Launch-Offensiven der Boardpartner kommen sollte. Was dann wirklich noch (als Retail) am Markt ankommt, wird sich in den nächsten Wochen ja zeigen. Aus Sicht der Kunden kann ich nur auf das Bestmöglichste hoffen, allein mir fehlt der Glaube.
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