Ich habe bewusst gewartet, bis ich durch verschiedene Informationskanäle deckungsgleiche und plausible Informationen bekommen konnte, die nunmehr nach zwei bis drei Wochen auch etwas Licht ins Dunkel bringen können. Sträubte sich anfangs noch der AMD-Support, das Problem der Hotspots überhaupt als solches anzuerkennen und bezeichnete die 110 °C Hotspot-Temperatur als völlig normal, bietet sich aus Kundensicht nun eine deutlich erfreulichere Situation.
Ich möchte mich an dieser Stelle auch vorab bei all denen bedanken, die mich in den letzten zwei, drei Wochen mit Informationen versorgt haben, aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht namentlich genannt werden möchten oder können. Ich weise jedoch explizit darauf hin, dass all diese Informationen bis zu einem offiziellen Statement von AMD als vorläufig zu betrachten sind und es durchaus auch bei den genannten Zahlen noch Korrekturen geben könnte.
In diesem Zusammenhang hatte ich eigentlich auf den gestrigen Tag gewartet, weil intern ein Statement von AMD kommuniziert wurde (ich schrieb ja mehrmals darüber, dass ich dieses vorerst abwarten möchte), das aber dann doch nicht erfolgte. Ich nehme diese unverständliche Verzögerung deshalb heute zum Anlass, etwas Transparenz in die Sache zu bringen.
Fassen wir zunächst einmal zusammen, was an Informationen mittlerweile bekannt ist. Ich zitiere dazu im Folgenden auch meinem Mail-Verkehr, um die eine oder andere Zahl zu nennen und etwas mit dem Wirrwar an Spekulationen aufzuräumen.
Probleme mit der Vapor-Chamber der RX 7900 XTX und die Menge betroffener Karten
Ich schrieb ja bereits im Forum, dass ich auch Quellen bei den Fertigern von Kühlkomponenten befragen konnte, die mir die ersten Vermutungen, der Fehler läge an der Vapor-Chamber, vollends und unabhängig voneinander bestätigen konnten. Hier muss man jedoch mittlerweile zwischen den generellen Verarbeitungsproblemen, so wie ich sie bereits bei einer Radeon RX 7900 XT beschrieben hatte (Artikel ist am Schluss verlinkt) und einem wirklichen Produktionsfehler trennen, der aber nur die Radeon RX 7900 XTX betrifft. Es existieren beide Probleme (siehe meine Vermessung), aber nur die funktionell eingeschränkte Vapor-Chamber der RX 7900 XTX ist ein so essentielles Problem, das es eine RMA erfordert. Denn es ist nicht nur die Hotspot-Temperatur, sondern auch der Speicher, der bis zu 110 °C heiß werden kann und damit weit oberhalb der zulässigen Temperaturgrenze arbeitet.
Wenn es jedoch wirklich die mir genannten vier bis sechs Batches der Vapor-Chambers betrifft, dann liegt die Menge der betroffenen Karten im ungünstigsten Fall sogar im hohen fünfstelligen Bereich. Es betrifft jedoch kein einziges Boardpartner-Design, sondern ausschließlich die sogenannten MBA-Karten (Made by AMD). Diese Karten werden sowohl von AMD direkt als auch über die Boardpartner vertrieben, die diese einkaufen und unter eigenem Label verkaufen können. Umgangssprachlich wird so etwas gern auch als Referenz-Karte bezeichnet, auch wenn sich AMD (so wie NVIDIA mit der Founders Edition) ein wenig vom Image der Butter-und-Brot-Karte abheben möchte.
Man kann natürlich fragen, warum dies alles nicht schon viel früher erkannt wurde und warum die Qualitätskontrolle offensichtlich so grandios versagt hat. Das hat auch etwas mit der Aufsplittung der Produktion und den Lieferketten zu tun. Sowohl die Chamber als auch der komplette Kühler kommen weit im Voraus von einem Dritthersteller und lassen sich ohne montierte Platine natürlich nur sehr schwer testen. Anhand von QR-Codes lassen sich jedoch alle Komponenten zeitlich zuordnen und auch nachträglich lokalisieren.
Wenn die PVT-Samples (Production Validation Test) funktionierten, dann nimmt man später maximal noch Stichproben aus der laufenden MP (Mass Production). Im günstigsten Fall werden solche Karten z.B. bei PC-Partner ins speziellen Hot-Boxen getestet, stehen dort aber im vertikalen Aufbau. Und dann kommt es genau zum eingetretenen Fall, denn die betroffenen Vapor Chambers sind ja nicht komplett funktionslos, sondern nur mehr oder weniger eingeschränkt funktionsfähig. Das ist mit granulären Tests jedoch kaum zu überwachen.
Rückmeldung von Distributoren und Systemintegratoren
Seit AMD sich zu Rücknahme und Umtausch entschlossen hat, wurden verschiedenen Quellen zu Folge bereits mehrere Hundert MBA-Grafikkarten zurückgeführt. Das betrifft leider auch Systemintegratoren, die komplette Systeme wieder zerlegen mussten, um die Karten zu tauschen. Man sieht als Endkunde ja immer nur die eigene, einzelne Karte, aber der Kreis derer, die von solchen Problemen deutlich härter betroffen sind, ist weitaus größer. Dann kommen zu den Kosten des reinen Umtausches noch einmal weitere Reparatur- und Logistikkosten auf die Verantwortlichen zu. Vom Schadenersatz bis hin zum Image-Verlust mal ganz zu schweigen. Da wirken die Spitzen gegen NVIDIAs 12VHPWR-Adapter in der Radeon-Präsentation plötzlich wie schlechte Satire.
Complete systems also had to be disassembled for this procedure. (quote from email)
Umtausch oder Rückgabe? AMD bietet beides an
Es gibt es mittlerweile auch die Anweisung an die betreffenden Mitarbeiter, das Problem aktiv und kulant anzugehen, wenn der Kunde einen entsprechenden Fehler plausibel erklären bzw. nachweisen kann. Die ersten Karten sind bereits im Austausch und AMD bietet sowohl eine Rückerstattung des Kaufpreises als auch einen Umtausch in eine funktionierende Grafikkarte an. Die Rücksendung bei einer Rückerstattung geht allerdings zu Lasten des Kunden, was zwar unschön, aber nicht unüblich ist.
Die betreffende Mail an die Betroffenen sieht dann so aus (Namen der Beteiligten unkenntlich gemacht):
Auch hier geht mein Dank an die vielen aktiven Leser und stillen Konsumenten, die sich vertrauensvoll an mich gewandt haben. Einiges ließ sich bereits im Vorfeld auf dem kleinen Dienstweg kulant lösen, bei anderen musste man wirklich auf AMD’s inoffizielles Go! für den Support warten. Bisher ist mir jedoch kein Fall bekannt, der nicht zur Zufriedenheit gelöst werden konnte. So gesehen ist es für den Kunden eine gute Nachricht. Was jedoch die Kosten und den Umfang der ganzen Aktion betrifft – ich möchte es besser gar nicht wissen.
Ja, Fehler können passieren. Das liegt in der Natur der Sache und den hochkomplexen Abläufen. Aber es ist auch die Pflicht des Herstellers, offen und transparent zu kommunizieren. Angekündigte Statements, sofern das alles wirklich stimmt, einfach auszusitzen, ist keine gute Lösung. Wenn man sich die üblichen Gehälter des gutbezahlten Marketings vor Augen führt, dann sollte dies eigentlich auf fähige und kompetente Personen schließen lassen, die auch mit solchen Situationen pro-aktiv umgehen können. Der Vogel Strauß ist da das komplett falsche Vorbild aus dem Tierreich, sonst steht man schnell als Esel da (die lieben Unpaarhufer mögen mir diesen Vergleich bitte verzeihen).
Das andere, nicht ganz so gravierende Problem ist die finale Bearbeitung des Heatsinks bei einigen Karten. Da waren bei meiner Radeon RX 7900 XT diverse Bearbeitungs-Fehler aufgetreten (schiefer Anschliff, Beule), die man nicht mehr mit akzeptablen Spaltmaßen abtun kann, wenn man die Chamber samt aufmontierten Lamellen-Konstrukt fest mit dem Korpus verbindet und nicht schwimmend (wie z.B. bei NVIDIA und älteren Radeons) montiert, um Unebenheiten durch ein ausgeklügeltes Festziehen von allein ausgleichen zu können. Hier sollten die Ingenieure sich besser an funktionierenden Vorbildern (auch aus eigener Fertigung) orientieren. Form follows Function und nicht umgekehrt.
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