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Warum die GeForce RTX 3070 als „Volks-Ampere“ für NVIDIA am wichtigsten und für den Rest so gefährlich ist – Just buy it? | Editorial

Nun hat sie also erst so richtig begonnen, die komplette VerRTXung des Universums. Denn wenn bisher entweder die Preise für die Kraftprotze oder die fehlende Muskelschwäche im unteren Regalbereich einer geraytracten Masseninfektion galant im Wege standen, jetzt wird endlich auch zum kleinen Preis so richtig geampert und geshadert! Ich gebe zu, der Preis hat mich dann doch (positiv) überrascht, auch wenn ich viele Dinge bereits kannte und ich mir in den Wochen vorm Launch fast die Zunge abbeißen musste. Den Muskelkater im Bereich unterhalb der Kauleiste habe ich heute noch.

Nur wird aus Mutter Teresa nicht plötzlich Vater Jensen und die 499 Euro sind auch kein Meilenstein im digitalen Ablasshandel oder der Angst vor Tante Lisas möglichem Konter geschuldet, sondern eher ein wohlüberlegtes Kalkül. Die Mitbewerber, vor allem aber auch Intel, werden gezwungen, die eigene Kalkulation mitten im Schwungholen zum Gegenschlag noch einmal komplett neu zu überdenken. Man kennt das ja, wenn man so schön beim Einräumen der Komfortzone ist und plötzlich alles dann doch ganz anders kommt und man noch einmal alles umräumen muss.

Und indirekt muss man sich bei NVIDIA aktuell noch nicht einmal über die Komplettierung des eigenen RTX-Portfolios Gedanken machen. Knapp 500 Euro für die Performance einer GeForce RTX 2080 Ti wird die bucklige Turing-Verwandtschaft preislich brutal in Richtung Mittelklasse und darunter drücken, vor allem aber auch auf dem Gebrauchtmarkt. Bis diese Karten alle nicht mindestens noch einmal den Besitzer gewechselt haben, ist Weihnachten 2021 und NVIDIA auch nachbörslich noch ein paar Scheinchen grüner.

NVIDIA schafft es nämlich mit dem (aus der Sicht der Hersteller und Händler) ziemlich rücksichtslosen Preis, den Gebrauchtmarkt extrem in Richtung Erdmittelpunkt zu treten, was zu einem wirklich unterirdischen Preis und Wiederverkaufswert der aktuellen Generation führen wird. Und was ist mit Großvater Pascal? Genau diesen Seitenhieb gegen all die noch so dynamischen Turing-Überspringer im Rentenalter mit dem Unsterblichkeits-Gen konnte und wollte sich Jensen dann auch nicht verkneifen. Die GeForce RTX 3070 wird zum Start also nicht primär zum Killer im fremden Terrain, sondern neigt als potentieller Kannibale erst einmal zu fieser häuslicher Gewalt. Beileid dankend verbeten.

Da geraten die Shader-strotzenden GeForce-Brüder mit der 80 und 90 auf der Rückennummer fast schon in den Hintergrund, obwohl die fließenden Ampere ja eigentlich das neue Testosteron sein sollen. Heißer 12-Pol gegen kalten Nordpol und die Gletscherspalten zerfließen derweil leise weinend in Demut. Aber Kraft kommt nun mal von Kraftstoff und so mancher Kevin-Horst wird beim Daddeln die Leselampe einfach auslassen. Wenn er denn überhaupt noch weiß, warum das Teil eigentlich so heißt.

Ja, NVIDIA hat da schon recht ordentlich vorgelegt, denn neben der zerebralen Atemstörung mit den ganzen Ahs und Ohs während des gestreamten Küchen-Gottesdienstes ist sicher auch so manchem Zuseher*innen schlichtweg die Luft weg- oder im Hals stecken geblieben. Je nachdem, wann er/sie/es seinen schein-neuen Boliden gerade gekauft hat.  Dazu kommen als Trostpflaster zumindest auch noch tolle Software-Ü-Eier. Latenz weg via Treiber? Nimmt man doch gern mit! Hintergründe stören doch nur, also weg damit. Egal ob nun im Video-Stream oder beim Nachdenken. Loslassen und konsumieren, so geht das heute. Nicht. Aber man muss NVIDIA neidlos zugestehen, dass die Ansprache bei den meisten wohl angekommen sein dürfte. Kaufbefehl von allerhöchster Hardware-Instanz also. Amen.

Ich schließe mich da (ganz privat) nicht einmal aus, auch wenn man mich bisher (zumindest partiell) eher als kritischen Betrachter wahrnehmen konnte. Schöner sterben mit RTX als Leid-Motiv? Der geraytracte Tod war bisher besonders langsam und damit grausamer als all die unzähligen Tränenpixel der eigenen Geldbörse. Jetzt aber wird plötzlich Tensor-geführt gekleckert und noch viel echtzeitiger gestorben, wenn die Skills versagen. Auch in besonders Schön und mit extra-soften und photorealistisch ausgeleuchteten Schattenringen unter den Augen.

Aber es ist mir, das gebe ich ehrlich zu, nicht wirklich gelungen, mich der technischen Faszination komplett zu entziehen, im Gegenteil. Das ist Nerd-Futter der allerfeinsten Sorte und die herzallerliebste Maya flirtet noch heftiger mit ihren Arnold, dem alten Blender. So rein OptiX ist also Jensens grüne Welt noch etwas farbtiefer geworden. Ziel erreicht. Nur werde ich mich nicht entblöden und solch hohle Phrasen wie „Just buy it!“ in den verbalen Gekauft-Orbit zu schießen, nur um mich dann selbst zähneknirschend im eigenen Forum für 100 Jahre sperren zu müssen. So viel Contenance besitze ich dann doch noch. Ansonsten neidlose Gratulation in die grüne Ecke auch von mir, so fair muss man schon bleiben. Ehrlich. Und ich bin ja eh gern in der Küche, passt also.

Und was kommt am Morgen danach, außer Katerfrühstück und Augenreiben? Wir sollten AMD definitiv nicht abschreiben, auch wenn die Stille auf dem Planet Red fast schon gespenstisch wirkt. Und Intel wird sich nicht lumpen lassen, mit irgendetwas kontern zu wollen oder gar zu können. MCM ist nicht nur ein protziger Aufdruck auf teuren Leder-Accessoires, sondern die multi-gechipte Zukunft in Silizium. Der Gewinner des gestrigen Abends ist allerdings erst einmal NVIDIA und – wer hätte das gedacht – der Neukunde. Die Bestandkunden dürften sich hingegen gerade fühlen wie mit einem überteuerten, noch laufenden Handy-Vertrag, wo Schwester Chantal-Ursula beim Neuabschluss plötzlich viel mehr für deutlich weniger bekommt. Willkommen im Leben, denn Grafikkarten sind nun mal kurzlebige Konsumgüter, keine Wertanlage und schon gar kein Pixelgold für die Ewigkeit. Das sollte man auch beim Kauf mit einpreisen, dann schläft man besser.

Ansonsten gilt erst einmal „Just test it!“, denn ge- oder bestellten Hands-On-Tests mag ich nicht so recht trauen, noch nicht einmal nach der übergrünen Portion GeForce-Muffins aus Jensens marmorierter Edelküche. Aber man will ja niemanden etwas unterstellen, denn wenn es auch nur annähernd stimmt, was man da so bewundern durfte, wird sich so manche(r) trotz der cool-aufgepimpten Ampere-Beströmung noch extra-warm anziehen müssen. Vorgelegt ist allerdings nicht abgelegt und Übermut kommt vor dem Fall. Abwarten! Es kann eigentlich nur interessanter werden, denn jetzt sind erst einmal die anderen am Zug. Ich stell mir schon mal das Popcorn und eine zuckerfreie Cola ins Labor. Von irgendwas muss einem ja schlecht werden, wenn es die Preise diesmal schon nicht schaffen.

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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