Der Anlass ist leider traurig genug, aber ich möchte heute meinen Freund Yuri zu Wort kommen lassen, der trotz der Belagerung und großflächigen Zerstörung seiner Heimatstadt Charkow durch die faschistischen Invasoren unter dem Befehl Putins seinen Mut nicht verloren hat. Er hat sich unter sehr widrigen Umständen und Gefahren die Zeit genommen, um an Euch, als Leser dieser Seite und Nutzer seiner Software Projekt Hydra, DRAM Calculator for Ryzen und Clock Tuner for Ryzen, einige ganz persönliche Worte und Einblicke aus seinem Leben zu richten.
Ich habe, nach langem Überlegen, bewusst auf die extremen Bilder der Zerstörung und des grenzenlosen Leids verzichtet, um den Text nicht zu schwächen. Denn das, was in den üblichen schon stark Medien gefiltert gezeigt wird, ist der Realität noch um ein Vielfaches grausamer. Das Bild von Yuri mit seinem Hund stammt vom 11.03.2022, also genau dem Zeitpunkt, wo ich diese Zeilen hier schreibe. Sie zeigen einen optimistischen jungen Mann, der sich auch nicht zu schade ist, für seine Idee zu kämpfen. Und ich hoffe, dass er diesen grausamen und sinnlosen Krieg wie alle anderen Menschen in der Ukraine überleben möge…
Liebe Freunde,
am 24. Februar, um halb fünf Uhr morgens, weckte mich etwas auf. Ich stand auf und öffnete das Fenster, um mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war und es sich nur um einen schlechten Traum handelte. Draußen war es dunkel und eiskalt. Ein paar Minuten später hörte ich, irgendwo in der Ferne, einen dumpfen Aufprall. Das Geräusch war mit nichts anderem zu verwechseln. Die Menschen in den benachbarten Häusern begannen, ihre Lichter einzuschalten. Auch Krähen wachten auf und schrien. Ein paar Minuten später rief mich meine Freundin unter Tränen an und sagte: “Sie haben uns angegriffen”.
Sie und ihre Eltern waren dabei, panisch ihre Koffer zu packen. Ich setzte mich auf die Couch und saß eine Weile schweigend da, wie gelähmt, mit einem Gefühl des Untergangs im Bauch. Nach einer Weile gelang es mir, mich zu besinnen, ich riss mich zusammen und fuhr zur Tankstelle. Ich rief meinen Vater an und sagte ihm, er solle dasselbe tun. Um 8 Uhr morgens war meine Freundin bereits sicher außerhalb von Charkow, und ich erreichte das Haus meiner Eltern im Zentrum der Stadt.
Meine Eltern weigerten sich, das Haus zu verlassen, denn es ist das Einzige, was sie noch haben. Ich beschloss, dass ich sie nicht verlassen würde. Ich würde meine Heimatstadt nicht aufgeben. So begann unser erster Tag im Krieg.
Ströme von Informationen und Bilder von toten Einwohnern hielten mich auf Trab. Europa war still. Die Vereinigten Staaten schwiegen. Wir wollten es nicht glauben, aber es war zu erwarten. Wir konnten nicht fliehen und wollten es auch nicht, da wir gegenüber Europa immer zweitklassig gewesen waren. Die einzigen Verbündeten, die wir hatten, waren wir selbst, also die einfachen Menschen. Unsere Gemeinschaft kam zusammen, um sich gegenseitig und der Armee zu helfen. Wir wissen, was Krieg bedeutet. Wir wissen noch, wie das faschistische Russland den Donbass angegriffen hat.
Auch ich beschloss, der Armee freiwillig zu helfen. Meine Telegramm-Freundin hat einen Telegramm-Kanal eingerichtet, über den die Bürger von Charkow Medikamente, Lebensmittel und wichtige Informationen austauschen konnten. Dank dieses Krieges waren wir mehr denn je vereint. Jeder kennt nun seine Rolle und tut etwas dafür.
Am vierten Tag des Krieges beschloss ich, Vorräte aus meiner Wohnung zu holen, da man nicht wusste, was später passieren würde. Und die Geschäfte waren alle geschlossen. Meine Eltern beschlossen, mir zu helfen. Und in diesem Moment gerieten wir unter Raketenbeschuss. Ich erinnere mich an die hellen Blitze, das Zerspringen des Glases und wie die Luft draußen dröhnte. Wir lagen auf dem Boden. Als es vorbei war, schaute ich nach draußen und sah ein zerstörtes Nachbarhaus, viele Trümmer, brennende Autos und Teile von Menschen. Da war keine Angst mehr. Es gab keine positiven Gefühle mehr. Da war nur noch Herzschmerz und ein Meer von Hass auf das faschistische Russland. Auf all diejenigen, die schweigend zusahen, auf all diejenigen, die jahrzehntelang zum Aufbau dieses blutigen Regimes beigetragen hatten und auf diejenigen, die gekommen waren, um uns zu töten.
Ich bin sicher, viele von Ihnen fragen sich, was mit meinen Verwandten aus Russland ist. Blutsverwandte. Nichts, kein Wort des Mitgefühls oder der Unterstützung. Am 13. Tag riefen sie an und fragten nur spöttisch: “Seid ihr jetzt tot oder noch nicht?”
Tja, und was nun? Ja, ich bin immer noch in Charkow. Über 400 zerstörte Wohnhäuser, historische Denkmäler, Krankenhäuser und Schulen. Tausende von Menschen werden vermisst. Tausende von Häusern sind ohne Heizung und Licht. An den Straßenrändern außerhalb der Stadt liegen verlassene Sachen der Bewohner und viele, viele Leichen. Verlassene Autos von Zivilisten, die von russischen Faschisten einfach so erschossen wurden. Tote Kinder, bedeckt mit Laken. Und das nur Hunderte von Kilometern vom Zentrum Europas entfernt! Ich habe gelernt zu schlafen, wenn unsere 150-mm-Artillerie feuert und Raketen pfeifen, aber ich habe immer noch Angst, wenn russische Flugzeuge mit “friedlichen” 500-kg-Bomben über die Stadt fliegen.
Um nicht verrückt zu werden, arbeite ich am HYDRA-Projekt, ich helfe immer noch Menschen und füttere die Tiere meiner Nachbarn (ihre Besitzer haben sie auf der Flucht ausgesetzt). Auch in dieser Zeit haben wir unsere Menschlichkeit nicht verloren, ich und viele andere glauben weiterhin daran, dass der Krieg bald zu Ende sein wird, dass wieder Ruhe und Frieden einkehren mögen.
Euer Yuri
Ich habe den Text nach besten Wissen und Gewissen übersetzt und nichts weggelassen oder zugefügt. Es zerreißt mich immer und immer wieder, wenn ich diese Zeilen lesen muss, denn ich kenne diese Stadt und Ihre Einwohner sehr gut. Genau deshalb teile ich es auch mit Euch. Und es stellt sich natürlich die Frage nach der Mitschuld Dritter. Aber genau diesen Punkt werde ich hier bewusst nicht ansprechen, denn es ist Yuris ganz persönliche Nachricht an Euch und nicht eine Stellungnahme von mir. Bitte lasst es auf Euch wirken und vergesst die ganze Propaganda und die sozialen Netzwerke. Hier schreibt ein Freund, der sich nur selbst und seiner Familie helfen kann, indem er einfach selbstlos anderen hilft. Wer ihm und seiner Familie helfen möchte, dem sei auch unbedingt sein Patreon-Projekt ans Herz gelegt. Hier kann man also auch direkt helfen.
Wir können von hier aus meist nur nur zuschauen. So, wie wir es seit leider Jahren gutgläubig getan haben. Ich habe die Kommentarfunktion im Forum nicht gesperrt und hoffe auf die Reife unserer Leser. Allerdings werde ich diesmal bei der kleinsten Entgleisung hart durchgreifen. Das hat dann auch nichts mit Zensur zu tun, sondern mit der Achtung vor dem Leben meines Freundes. Aber ich vertraue Euch da voll und ganz.
Yuri, ich ziehe den Hut vor Dir, diese Seite mit deinen Worten gehört Euch allein. Mag Gott mit Euch sein! Und alle anderen bitte ich, teilt diese Seite und seine Botschaft. Danke!
Слава Україні!
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