Testberichte

Ausgespielt: Need for Speed Payback

Vor fünf Tagen gab's mal wieder den jährlichen EA-Murmeltiertag (ganz Missgünstige nennen das auch den NFS-Gedächtnis-Aufguss-Zyklus). Das ewig grüßende Need for Speed, mittlerweile doch schon arg in die Jahre gekommen und wie eine altgediente Hafen-D...

Vor fünf Tagen gab’s mal wieder den jährlichen EA-Murmeltiertag (ganz Missgünstige nennen das auch den NFS-Gedächtnis-Aufguss-Zyklus). Das ewig grüßende Need for Speed, mittlerweile doch schon arg in die Jahre gekommen und wie eine altgediente Hafen-Diva mit reichlich Dellen der physischen und geistigen Abnutzung verziert, war schnell heruntergeladen und installiert. Start!

Übliches Déjà-vu oder doch endlich mal eine physikalische Runderneuerung statt gebotoxtem Recyclings vorhandener Meshs und Texturen? Und schickte man als wackerer Alt-94er (ja, Need for Speed ist mittlerweile wirklich schon 23 Jahre alt!) und Spieler der ersten Stunde das Eingabegerät in den letzten Jahren meist schon nach wenigen Minuten entnervt und gelangweilt in eine geostationäre Umlaufbahn, war diesmal zumindest Einiges doch grandios anders. Also doch eher Arbeit statt Orbit?

Lenkrad, Pad, Tastatur und Maus liegen nämlich noch auf meinem Schreibtisch und ich habe sogar fertig. Unglaublich, aber wahr. Ganze sechs Tage hat mich die Karriere des diesjährigen Straßenreiniger-Events gekostet, nach getaner Arbeit natürlich. Das will durchaus etwas heißen, denn bei den letzten Malen konnte man mir schon nach nur kurzer Leidenszeit dann einfach mal den Schuh aufblasen. Keine Lust auf Frust und der Langzeit-trainierte Löschfinger war immer nur einen Klick weit vom finalen Abschuss der Installation entfernt. Diesmal aber habe ich tapfer durchgehalten und der NFS-konforme Tunnelblick sah endlich mal wieder auch ordentlich Licht am Ende desselben.

Sicher, als Spieler ist man auch diesmal nicht freiwillig der geborene Grind und die Episode des Jagens und Sammelns überlassen wir dann doch lieber den Altvorderen. Über die Micro-Transaktionen im Spiel ließe es sich natürlich genüsslich bei einem Likörchen oder Bierchen am Spielerstammtisch streiten, aber wenn man sich auch nur einen Bruchteil seiner Skills über die verlorenen NFS-Jahre nicht mit Sterni & Co. abgetötet hat, dann schafft man die komplette Karriere nämlich auch so. Das ist die gute Nachricht. Also hat sich der aktuelle Versuch der gefühlt 100-ten Wiederbelebung in vielen Bereichen doch irgendwie gelohnt? Definitiv ja, wenn auch mit den notwendigen Einschränkungen.

Zeiten ändern sich, Gewohnheiten auch. Die nachgerückten Spielergenerationen haben mittlerweile wohl auch ausgeblendet oder gar nicht erst erfahren, was die Serie einstmals, natürlich auch mangels echter Alternativen, wirklich ausgemacht hat. Das nennt man dann Zeitgeist und Generation Smartphone. Schnelllebigkeit statt Wiederholfaktor, immer mehr Neues und Spiele wechseln wie die Unterwäsche liegen voll im Trend. Da kommt Payback dann gerade recht.

Ich lese schon aus Prinzip keine Bewertungen oder Reviews, bevor ich nicht wenigstens selbst solidargemeinschaftlich mitgelitten habe. Ja, man kann auch subjektiv und testosterongesteuert versuchen, trotzdem noch einigermaßen objektiv zu urteilen – nachdem sich das erste Magengift erleichtert nach unten abgesetzt hat.

Optisch machen Stadt, Land und Berge schon so Einiges her, die Fahrzeuge sind als solche deutlich erkennbar und so richtig Sagrotan-steril ist auch die Umgebung nicht mehr. Ok, etwas leblos leer, aber das kennt man ja auch aus der Provinz. Grob texturierte Pixelgrütze gibt es noch nicht mal auf ausdrückliche Bestellung und eine gewisse Knackigkeit geht sogar fast schon verlustfrei aufs Haus.

Damit allein kann man natürlich heutzutage auch keinen mehr vom Hocker reißen, aber es ist zumindest schon einmal eine ganz nette Basis, auf der es sich allemal kommod aufbauen lässt. Die Grafik kann man also so lassen, denn es gibt wirklich Schlimmeres. Cola-Eierlikör zum Beispiel, was als trübes Mixgetränk in Zeiten von The Need for Speed 1994 auf keiner Mädchen-Party fehlen durfte.

Die Story ist zwar als solche wie immer brutal banal, aber auch die lahmarschigste Cut-Szene erträgt man mittlerweile ohne Teilnarkose und sogar schon mit einer Geste von Nonchalance, weil zumindest der Plot nicht ganz ins Absurde abrutscht. Den Rest überspringt man einfach bedarfsweise und macht, was jeder Mann machen muss: fahren, nichts als fahren. Auch wenn eine richtige Fahrphysik noch nicht mal gegen Aufpreis erhältlich ist. Nur muss sie das eigentlich auch gar nicht, denn was wäre eine stilechte Arcade schon ohne Klischees, Wall-Riding und Physik-Blackouts?

Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel und Einfältigkeit schützt nicht vor Ausfällen. Von einer Simulation hat sich Need for Speed schon vor 17 Jahren galant verabschiedet – wenn Need for Speed denn überhaupt mal so etwas Ähnliches war. Dann schon lieber so richtig dick auftragen und alles einfach nicht ganz so ernst nehmen. Es ist am Ende gute Unterhaltung und kein Fahrtrainer.

Das Vorantreiben der Karriere mit den verschiedenen Renntypen und deren Quest-Reihen ist eine an sich durchaus gelungene Idee, der dazu zelebrierte Charakterwechsel irgendwie auch. Dass man nicht mehr alle Rennen mit nur einem Vehikel absolvieren kann (der legendäre 106er Peugeot aus Underground 2 lässt grüßen) ergibt dann natürlich auch seinen Sinn, kostet aber erst einmal kräftig.

Womit wir bei der (anfangs stets knappen) Kohle angekommen wären. Wer hier jetzt meckert und in Erinnerungen an die guten alten Zeiten schwelgt: auch in Underground 2 sind wir ja anfangs gefühlte Ewigkeiten durch die Stadt gedüst, um irgendwelche Geldscheine einzusammeln oder versteckte Rennen samt der lästigen Outruns zu fahren.

Ich bin nun wirklich nicht zum Grinden geboren und verweigere mich auch gegen die allgegenwärtige und leider gegenwartstypische Vorteil-gegen Geld-Mentalität neureicher Mikrotransaktionäre, also konzentriert man sich einfach besser auf seine Skills. Und siehe da, mit einem vernünftig getunten Fahrzeug (weniger ist manchmal sogar mehr) und den passenden, renntypischen Settings (unverzichtbar), kommt man durchaus weiter, als man vermuten könnte.

Wer jetzt über vermeintlich unerreichbare Drift-Rekorde weint, dem sei empfohlen, mal etwas an der Balance, dem Lenkverhalten und der Handbremse zu schrauben, bevor er sinnlos Geld in Upgrades verbrennt. Meist reichen einige wenige, aber gute Drifts, um sofort weiterzukommen.

Ok, manche Rennen muss man im Spiel durchaus mehrmals neu starten oder fahren, aber die KI ist letztendlich doch ganz gut berechenbar (wie immer), das obligatorische und extrem ärgerliche Gummiband übrigens auch (leider). Es gibt immer wieder die gleichen Ecken, wo einem die eigentlich schon abgehängte Muschpoke urplötzlich wieder am Allerwertesten klebt wie ein ausgespuckter Kaugummi an La Niñas Stiefelchen. Hat man dies aber erst einmal verinnerlicht, dann ordnet man einfach sein Fahrverhalten neu. Nur nicht zu schnell enteilen und schon ist die Welt für die KI wieder in Ordnung. Passt.

Stundenlang einfach mal rumcruisen und üben? Ha, das geht doch wieder! Die örtliche Polizei ist nämlich fast immer so ziemlich komplett abwesend taucht nur in bestimmten Events oder Story-Übergängen auf, dann aber in geballter Penetranz. Rhinos, Kill-Tech, Nagelbänder, Sperren – alles aber wohldosierter und etwas weniger. Dafür enger gesetzte Zeiten zwischen den Messpunkten. Sicher kann man darüber streiten, aber flüssigeres Fahren statt Schrottpresse á la carte hat durchaus auch seinen gewissen Charme.

Nur das nicht enden wollende Auftragen alter Plakatwände und Sprungschanzen aus Burnout Paradiese nervt immer noch – bitte irgendwann einmal mal mit auffällig unauffällig beerdigen. Und so ist das Spiel eher eine Mixtur aus NFS Underground 2, Most Wanted und eben Burnout Paradise, aber Gott sei Dank weit entfernt von den Extrem-Ver(w)irrungen wie Shift, Undercover oder The Run (Liste unvollständig, bitte individuell ergänzen).

Am Ende bleibt als Fazit nach fast 1200 gefahrenen Spielkilometern die persönliche Erkenntnis, dass es zwar kein Neustart der Reihe, aber durchaus ein echter Neuanfang sein könnte. Das beruhigt und beängstigt in gleichem Maße. Bitte nicht wieder kaputtmachen, sondern behutsam darauf aufbauen. Dann wird es wohl noch so einige Murmeltier-Gedenktage geben. Totgesagte leben länger? Stimmt diesmal sogar. Nur eben etwas anders.

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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