"Was benötigt man, um 80 Meter tief zu tauchen?
»Mit der Ausrüstung eines Standardtauchers wäre so etwas nicht zu machen«, sagt Jens Höner, der jahrelang Kampfschwimmer und Militärtaucher bei der Marine war. In so großen Tiefen ist etwa Tauchen mit Atemluft wegen des hohen Stickstoffanteils nicht möglich. »Die narkotisierende Wirkung wäre so stark, dass Sie keinen klaren Gedanken fassen könnten«, sagt Höner. Mitunter ist dann von einem Tiefenrausch die Rede.
Höner ist selbst schon mal 241 Meter tief getaucht und hat damit im Jahr 2002 den deutschen Tieftauchrekord aufgestellt. Zur Einordnung: Viele Hobbytaucher tauchen maximal auf 18 Meter.
Bei Tauchgängen, wie sie nun im Zusammenhang mit den beschädigten Pipelines diskutiert werden, benötigen Taucher spezielles Equipment. »Das kann sich theoretisch aber jeder kaufen«, sagt Höner. Ab Tiefen von 30 Metern nutzen Taucher ein Trimix-Atemgemisch, das neben Stickstoff und Sauerstoff auch Helium enthält. »So was haben selbst kleine Tauchschulen an tiefen Seen«, sagt auch Peter Späth von der Firma HydroWork, die Taucharbeiten in der Industrie anbietet. Auch Späth war einst Taucher beim Militär.
Weil es in der Ostsee in 80 Metern Tiefe sehr kalt ist, ungefähr zwischen vier und sechs Grad Celsius, benötigen Taucher zusätzlich einen Trockentauchanzug, aber auch der ist leicht zu beschaffen. Zudem gibt es Heizsysteme, mit denen Taucher bei solchen Temperaturen einige Stunden unter Wasser bleiben können.
Bei Tauchgängen seien auch Kreislaufgeräte von Vorteil, sagt Höner. Mit ihnen lässt sich ein Teil des ausgeatmeten Gases erneut verwenden, das spart Atemgas, und es steigen weniger Blasen auf. »Bei militärischen Einsätzen ist das von Vorteil, wenn man nicht entdeckt werden will«, so der Fachmann.
Was die Technik angeht, hätten für das entsprechende Equipment geschulte Taucher also zu den Pipelines gelangen können. Doch wie sieht es mit dem Rest der Mission aus, vorausgesetzt, sie hat tatsächlich so stattgefunden, wie momentan vermutet wird?
Waren wirklich 500 Kilogramm Sprengstoff nötig?
»Sprengstoff kann man natürlich nicht im Tauch-Fachhandel bestellen«, sagt Höner. Theoretisch ließe sich aber jeder Sprengstoff anwenden, der auch an Land benutzt wird. Unter Wasser müsste er nur entsprechend vorbereitet werden. »Zudem bräuchten Taucher eine Sprengkapsel oder eine andere Art der Initiierung, um den Sprengstoff zur Umsetzung zu bringen«, erklärt Höner.
Von deutschen Sicherheitsbehörden hieß es kurz nach der Sprengung, es müssten Sprengsätze eingesetzt worden sein,
deren Wirkung mit 500 Kilogramm TNT vergleichbar ist, um die erfassten Schäden anzurichten. Auch in einem Bericht der Staaten
Schweden und
Dänemark, die den Vorfall an den Pipelines ebenfalls untersucht haben, ist von einer Wirkung wie »Hunderte Kilogramm« TNT die Rede.
Dass womöglich gleich 500 Kilogramm Sprengstoff eingesetzt worden sein sollen, überrascht die Taucher. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirklich so viel Sprengstoff war«, sagt Höner. Schon hundert Kilo würden reichen, um die Pipeline zu zerstören. Und 500 Kilogramm auf eine Charterjacht zu verladen, sei auch nicht mal eben so gemacht. Späth sieht das ähnlich: »Eigentlich hätte es gereicht, die Pipeline längs auf einer Länge von etwa einem Meter zu öffnen, dafür benötigt man sehr viel weniger Sprengstoff.«
Nutzten die Täter einen Ballon oder eine Hebebühne?
Doch wie könnte der Sprengstoff überhaupt zur Pipeline gelangen? Einfach ins Wasser werfen und warten, dass er sinkt, sei keine Option. »Der Sprengstoff müsste kontrolliert abgesenkt werden, das ginge etwa mit einer Hebebühne«, sagt Höner. Späth bringt einen Ballon als Auftriebskörper ins Gespräch. Damit ließe sich selbst eine 500 Kilogramm schwere Ladung kontrolliert absenken, so der Fachmann.
»Dafür muss man den Gegenstand, den man absenken will, mit dem Ballon verbinden, etwa mit einem Seil«, erklärt Späth. Dann müsse der Ballon so lange mit Luft gefüllt werden, bis er das Gewicht des Gegenstands erreicht – der dadurch Auftrieb bekommt. Lässt man die Luft allmählich ab, sinkt die Ladung kontrolliert ab.
Doch wäre so eine Mission direkt über einer Pipeline nicht auffällig? Um Spuren zu verwischen, könnten die Taucher sogenannte Scooter benutzt haben. Sie ziehen den Taucher unter Wasser vorwärts, er kann dadurch eine längere Strecke zurücklegen. »Der Taucher könnte dann auch einen Kilometer von der Pipeline entfernt ins Wasser springen, das würde niemand bemerken«, sagt Späth. Mit moderner Technik lasse sich eine Pipeline problemlos orten. »Sie stoßen dann praktisch mit der Nase darauf.«