Reviews Schleichender Grafik-Plattfuß: Wenn die RMA-Hexe hinterrücks zuschlägt und es (k)einer merkt

Igor Wallossek

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Eigentlich sollte an dieser Stelle ein Grafikkarten Review stehen, das tut es aber nicht. Sicher, man hätte es veröffentlichen und so tun können, als hätte man nichts bemerkt. So wie wohl alle, die diese in Rotation befindliche Grafikkarte bereits vor mir getestet hatten, nur bringt das am Ende eben keinen weiter. Den Leser nicht, weil er sich glatt verarscht vorkommen muss, den Redakteur nicht, weil er wider besseren Gewissens schreibt (dafür aber bequem den Artikelplan einhält) und auch den Hersteller nicht, der im konkreten Fall eigentlich auch nichts dafür kann, aber erst mal doof dasteht.

Die gesamte Industrie setzt bei so komplexen Dingen, wie es eine Grafikkarte nun mal ist, nämlich auf viele zugelieferte Teile anderer OEM, die im Detail alle gar nicht so einfach im laufenden Prozess zu prüfen sind. Es ist am Ende also eine kausale Kette, die ich mal aufgedröselt habe um zu erklären, was so alles schief gehen kann und warum man es als Laie manchmal so schwer hat. Vorab geht mein Dank auch an Sapphire und deren HQ, die fleißig mit gegengetestet haben. Und ja, bevor ich es vergesse: die Siegel waren unbeschädigt.



Konkret geht es heute um eine Sapphire RX Vega56 Pulse, aber es hätte eigentlich auch jedes andere Modell eines beliebigen Herstellers sein können. Als Tester, der bereits unzählige Vega-Karten in der Hand hatte, wird man aber schnell misstrauisch, wenn dann doch etwas vom Erfahrungsbild abweicht und einen Tacken lauter, wärmer und am Schluss auch langsamer läuft, als man es erwartet hätte.Und wenn es auch nur minimal ist, denn sie lief ja (erst einmal).

So auch die Pulse, der man nun unterstellen könnte, es wäre nur der Low-Cost-Abklatsch der Nitro, um Sapphire die Kohle für die teure Vapor-Chamber und ein größeres PCB zu sparen. Doch das wäre viel zu kurz gehupft, denn der später natürlich noch folgende Testbericht wird auch zeigen, dass man auf so eine Kammer durchaus verzichten kann, wenn der Grips der Ingenieure nur mal ordentlich in Rotation kommt. Es geht durchaus auch anders, doch ich schweife schon wieder ab und spoilern ist fies.
Die Symptome


Was genau ist eigentlich passiert? Da ich die Karten prinzipiell erst schlachte, nachdem ich alle Benchmarks abgeschlossen habe, fiel mir am Anfang nur auf, dass die Karte etwas langsamer lief, als eine vergleichbare Karte eines Mitbewerbers unter identischen Voraussetzungen. Die akustische Untermalung war zwar ebenfalls nicht ganz wegzudiskutieren, aber eben auch nicht so schlimm, als dass man auf einen Cost-Down-Effekt durch einen einfacheren Kühler hätte tippen können. Ergo ist man erst einmal enttäuscht.

Der Kunde wird somit sicher meinen, das Produkt ist Mist, falls er denn überhaupt irgendwelche Vergleichsmöglichkeiten hatte. Interessanterweise lagen die GPU-Temperaturen gar nicht so extrem hoch (wohl aber die der Platine unterm Package), allerdings hatten da auch schon die Lüfter bereits einen ordentlichen Hüftschwung drauf. Wir sehen links die getestete Karte mit Plattfuß und rechts das funktionierende Gegenstück:



Akustisch wird aus dem durchaus akzeptables Abendwindchen ein sibirischer Schneesturm, denn auch ca. 300 U/min mehr unter maximaler Volllast fallen eigentlich auf. Die Specs schreiben von 1600 U/min Maximaldrehzahlen laut BIOS. Wenn man die in der Praxis sogar bereits nach 5 Minuten und nur beim einfachen Zocken erreicht, sollte man definitiv misstrauisch werden! Lüfterprofile können grausam, aber eben auch geschwätzig sein und reichlich 2 dB(A) sind schon eine kleine akustische Galaxie.


Ursachenforschung: die Karte wird zerlegt


Was jetzt kommt? Richtig, das gern genommene Schlachtfest! Ich habe die Benchmarks nämlich fairerweise abgebrochen und die Karte erst einmal vorsichtig zerlegt. Das nachfolgende Bild zeigt zunächst das Package mit Interposer, CPU und HBM2, sowie einer recht viskose Wärmeleitpaste:



Es sieht sogar ein Laie, dass der Auftrag nicht gleichmäßig ist, auch wenn natürlich die Abrisspuren, die beim Trennen von Package und Heatsink immer entstehen, das Ganze etwas verbergen. Normalerweise findet man an den Stellen, wo hier der Auftrag dünner ist bzw. ganz fehlt, die Paste dann am Gegenstück, so dass es in der Summe schon so hinkommt. Zur besseren Übersicht habe ich das Foto des Heatsinks mal gespiegelt:



Das deckt sich eben nicht alles, allerdings das auffällige Fehlerbild um so mehr. Was man noch erkennen kann, sind leichte Verunreinigungen, sowie partielle Flächen, auf denen gar keine Paste ist. Projiziert man nun beide Bilder mal geschickt übereinander, sieht man es sogar noch deutlicher:



Dass dies so nicht optimal funktionieren kann und auch die Lüfter mehr zu tun haben, als sie es von Haus aus müssten, ist natürlich logisch. Ich habe mit Sapphire telefoniert und Arbeit verteilt. Man hat im Headquarter Retail-Karten gegengetestet und an der gleichen Stelle wie ich den Hotspot gemessen. Der wiederum lag bei ihnen (und bei mir nach der Reparatur der defekten Karte) an einer anderen Stelle und deutlich niedriger. Das Resultat sieht man ja oben in den Thermografiebildern sehr deutlich.

Ich vermute mal, dass der Kühler-OEM gediegen geschlampt hat. Der Heatsink dürfte nach dem Planschleifen nicht vollständig gereinigt worden sein. Nur kann das Sapphire dann beim Zusammensetzen sicher gar nicht sehen, weil die Paste bereits vorab beim OEM über den Schmand appliziert wurde. Verdeckter Schaden also. Kann passieren, sollte es aber nicht. Gereinigt sieht der Kühler dann übrigens so aus:



Für das Qualitätsmanagement ist so ein Fall schwer zu erkennen, für den Kunden erst recht. Allerdings lohnt es sich immer, auch mal misstrauisch auf den Herzschlag des neuen Produktes zu hören und mit den Ergebnissen von Testberichten zu vergleichen, die etwas mehr in die Tiefe gehen. Bunte Benchmarkbalken helfen da oft kaum weiter, Messdaten schon. Es liegt mir fern, hier Kollegenschelte zu betreiben, aber so ein Teil kommentarlos weiterzuschicken ist schon etwas sportlich, denn man hätte es bemerken müssen.

Der Test der funktionierenden Karte folgt natürlich in Kürze auch noch, Sapphire hat ja auch so etwas wie ein Warenlager. Man darf also gespannt sein, was dieser vermeintliche Low-Cost-Kampfzwerg wirklich draufhat. Das Warten lohnt sich garantiert und ich teste dann auch keinen Wanderpokal mehr, sondern das, was ich am liebsten habe: gute Lagerware!

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Sehr vielen Dank für diesen Beitrag (insbesondere das Superpositionsbild, sehr anschaulich)! Ich hatte sowas in der Art zwar erst ein einziges Mal (R9800pro), aber solche "Ungenauigkeiten" aus der Fertingung sind garantiert kein "one-in-a-Million"-Ereignis, und können von lästig bis richtig teuer werden. Meiner Erfahrung nach lohnt es sich grade für Gebrauchtkäufer von leistungsstärkeren Karten, auf so etwas zu achten. Grade da sind die Pasten schon nicht mehr taufrisch, was sich dann erst minimal äußert, dann aber "kippt" und relativ schnell die Temperaturen nach oben schießen läßt. Was auch solches Verhalten erzeugen kann, ist, wenn man Pastenreste auf dem alten Kühler beläßt. Es gibt tatsächlich ein paar Kombinationen an Pasten, die offensichtlich ein ganz mieses Mischverhalten zeigen (unterschiedliche Partikelkörnung? Zusatzstoffe?).

Was aber etwas blöd ist: Für Otto Normalverdunster mit wenig Erfahrung sind solche Dinge praktisch unmöglich zu bemerken, weil der sich nicht regelmäßig die Temperaturwerte und Drehzahlen seiner Karte mitloggt und analysiert; von Hotspot-Messungen per Thermografie (wie anspruchsvoll das ist, sogar wenn das Equipment da ist, hast du ja schon mal beschrieben) nicht zu reden. Hättest du eine Idee, wie man als Normaluser solchen Problemen "mit Bordmitteln" und vernünftigem Aufwand auf die Spur kommen könnte?
 
GPU-Z kostet nichts, ist aber alles andere als umsonst ;)

Ansonsten gibt es keine Anhaltspunkte, die man eben mal so aufsammeln könnte. Leider.
 
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