Als Patient mit Typ-2-Diabetes informiere ich mich regelmäßig und sorgfältig über aktuelle Methoden zur Blutzuckermessung, insbesondere über Entwicklungen im Bereich der nichtinvasiven Technologien. In diesem Zusammenhang bin ich zunehmend mit einer Flut von Online-Anzeigen konfrontiert, die über verschiedenste Kanäle verbreitet werden und angeblich neuartige Geräte zur schmerzfreien, nichtinvasiven Blutzuckermessung an der Fingerkuppe bewerben. Diese Werbung ist nicht nur massiv aufdringlich, sondern auch inhaltlich irreführend und oft von dubiosen Anbietern geschaltet. Die Geräte werden zu Preisen unterhalb von 100 Euro angeboten, mit dem Versprechen, völlig ohne Lanzetten, Teststreifen oder andere Verbrauchsmaterialien auszukommen. Als jemand, der die technischen und physiologischen Herausforderungen solcher Systeme kennt, war ich von Anfang an skeptisch. Um die Seriosität eines konkreten Angebots zu überprüfen, habe ich mich nach dem Hinweis eines bereits Geschädigten dennoch bewusst zu einem eiegnen Testkauf entschlossen, um das Ganze investigativ zu dokumentieren.
Dabei habe ich natürlich bewusst mit PayPal bezahlt, um gegebenenfalls vom Käuferschutz Gebrauch machen zu können. Eine Zahlung per Kreditkarte wäre bei einem derart offensichtlich unseriösen Angebot auch nicht zu verantworten gewesen. Wie zu erwarten war, habe ich nicht das beworbene Messgerät erhalten. Stattdessen wurde mir ein einfaches Pulsoximeter zugesandt – ein Gerät, das zwar ebenfalls an der Fingerkuppe ansetzt, jedoch lediglich die Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz misst. Das erhaltene Produkt unterscheidet sich nicht nur in Funktion und Zweck, sondern auch optisch vollständig vom angebotenen Gerät. Es handelt sich dabei um ein extrem kostengünstiges Modell, das im Großhandel nicht einmal zehn US-Dollar kostet. Ein solcher “Austausch” stellt auch keinen Irrtum dar, sondern erfüllt objektiv den Tatbestand des Betrugs, da mir ein gänzlich anderes Produkt geliefert wurde, das in keiner Weise zur Blutzuckermessung geeignet ist – weder invasiv noch nichtinvasiv.
Die Werbung erweckte den Eindruck, es handele sich um ein technisches Neuprodukt auf Basis nichtinvasiver Messtechnik. Derartige Systeme, so suggerieren die Anbieter, könnten den Blutzuckerspiegel durch einfache Hautberührung mittels Infrarotlicht, elektromagnetischer Impulse oder sogenannter biosensorischer Verfahren erfassen. In der Realität existiert jedoch bislang kein medizinisch zugelassenes, praxistaugliches Gerät, das eine zuverlässige und wiederholbar genaue nichtinvasive Blutzuckermessung an der Hautoberfläche – etwa an der Fingerkuppe – ermöglicht. Der Grund dafür ist in den physikalischen und biologischen Eigenschaften des menschlichen Gewebes zu suchen.
Das GlucoSense-Gerät wurde an der University of Leeds unter der Leitung von Professor Gin Jose entwickelt. Es basiert auf einem optischen Verfahren, bei dem ein schwacher Laser durch ein Glasfenster auf die Fingerkuppe gerichtet wird. Die von der Glukose im Blut absorbierte Lichtmenge beeinflusst die Fluoreszenzbeschichtung des Fensters, wodurch Rückschlüsse auf den Blutzuckerspiegel gezogen werden können. Das Verfahren ist nichtinvasiv und soll innerhalb von 30 Sekunden Ergebnisse liefern . Obwohl das GlucoSense-Gerät vielversprechend erscheint, befindet es sich noch in der Entwicklungsphase und ist nicht kommerziell erhältlich. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es zusätzlich Blutsauerstoff oder Blutdruck misst. Die Kombination all dieser Messungen in einem nichtinvasiven Gerät ist technisch äußerst anspruchsvoll und derzeit nicht realisiert.
Es ist wichtig zu beachten, dass einige Online-Anbieter Geräte unter dem Namen “GlucoSense” oder ähnlichen Bezeichnungen verkaufen, die angeblich nichtinvasive Messungen von Blutzucker, Blutsauerstoff und Blutdruck durchführen können. Diese Geräte sind oft zu Preisen unter 100 Euro erhältlich und versprechen Funktionen, die derzeit technisch nicht zuverlässig umsetzbar sind. In vielen Fällen handelt es sich um Pulsoximeter, die lediglich die Sauerstoffsättigung und den Puls messen können, nicht jedoch den Blutzuckerspiegel. Solche irreführenden Angebote können Patienten täuschen und sind als unseriös einzustufen.
Derzeit existieren keine medizinisch zugelassenen Geräte, die eine nichtinvasive, zuverlässige und gleichzeitige Messung von Blutzucker, Blutsauerstoff und Blutdruck ermöglichen. Entsprechende Angebote im Internet sollten mit äußerster Vorsicht betrachtet werden.
Und selbst wenn es etwas gäbe, die Glukosekonzentration im Blut liegt in einer engen Bandbreite und unterliegt dynamischen Schwankungen. Um therapeutisch brauchbare Messwerte zu erhalten, ist eine hohe Präzision erforderlich. Diese Werte lassen sich durch die Haut hindurch jedoch nicht direkt erfassen. Die Lichtstreuung in der Haut, absorbierende Moleküle wie Wasser, Lipide, Proteine und Hämoglobin, sowie die individuelle Variabilität von Hautdicke, Feuchtigkeit und Pigmentierung erschweren eine selektive Detektion von Glukose erheblich. Auch moderne spektroskopische Verfahren wie Nahinfrarot- oder Raman-Spektroskopie liefern unter idealisierten Laborbedingungen zwar Signale, doch reichen diese bei weitem nicht für eine verlässliche Anwendung im Alltag. Selbst große Forschungsinstitute und Medizintechnikanbieter arbeiten bislang nur an experimentellen Prototypen, die mit erheblichem technischem Aufwand verbunden sind und eine individuelle Kalibrierung erfordern.

Vor diesem Hintergrund ist es schlicht ausgeschlossen, dass ein Gerät für unter 100 Euro die notwendige Sensorik, Signalverarbeitung und Kalibrierung enthält, um medizinisch verwertbare Ergebnisse zu liefern. Die im Internet beworbenen Produkte beruhen entweder auf vollständig unbrauchbaren Pseudotechnologien oder dienen – wie in meinem Fall – als Deckmantel für das Versenden von Billigprodukten ohne Bezug zur ursprünglichen Funktion. Der Schaden für Patienten ist erheblich: Einerseits besteht die Gefahr, dass ungenaue oder fingierte Messwerte zu falschen therapeutischen Entscheidungen führen. Andererseits werden gutgläubige Nutzer finanziell geschädigt und in ihrer gesundheitlichen Eigenverantwortung desorientiert.
Eine seriöse, nichtinvasive Blutzuckermessung bleibt damit auch weiterhin ein medizinisch-technologisches Entwicklungsziel, das gegenwärtig noch nicht erreicht ist. Alle gegenteiligen Behauptungen in entsprechenden Online-Anzeigen sind nicht nur irreführend, sondern potenziell gefährlich. Ein kritischer Umgang mit solchen Angeboten und eine sachkundige Bewertung der technischen Grundlagen sind unerlässlich – insbesondere für chronisch erkrankte Menschen, die auf verlässliche Messergebnisse angewiesen sind.
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