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Wenn das Netzteil plötzlich abschaltet: Lastspitzen von Grafikkarte und CPU gemeinsam gemessen und mit Netzteilen gegengetestet | Grundlagen & Praxis

Dass Grafikkarten ordentliche Lastspitzen verursachen, konnte ich ja bereits vor 6 Jahren erstmals eindrucksvoll nachweisen – einschließlich aller daraus folgenden Probleme und Maßgaben für die Stromversorger. Da hat sich mittlerweile sogar ordentlich was getan, natürlich auch im Interesse der Endkunden. Und doch kommt es immer wieder zu Situationen, wo so ein nominell eigentlich ausreichend bemessenes Netzteil unerwartet abschaltet. Doch dies allein nur auf die Grafikkarten zu schieben, schien mit dann doch etwas zu kurz gesprungen. Im Übrigen konzentriere ich mich heute bewusst auf die 12-Volt-Schienen, denn nur hier wird das Problem auch auftreten.

Zusammen mit dem Netzteilanbieter be quiet! habe ich mir dann überlegt, wieso auch Netzteile abschalten, deren Supervisor-Chips eigentlich so konfiguriert wurden, dass die Intervalle der Grafikkarten-Lastspitzen sogar bis zu 20 ms lang sein könnten, ohne eine Abschaltung (OCP, OPP) auszulösen, was in der Praxis so eigentlich auch kaum auftreten dürfte. Also musste da noch etwas anderes sein, was sporadisch und nur schwer reproduzierbar auftrat! Ich habe deshalb mit Hilfe der Oszillographen zeitgleich GPU, CPU und Motherboard hochauflösend bis hinab in den Mikrosekundenbereich gemessen. Was ich dort feststellen konnte, hat mir dann recht schnell die Augen geöffnet.

Sowohl die GPU als auch die CPU erzeugen nämlich beide extreme Spikes! Das ist in der Summe mit einfachen Mitteln nicht mehr messbar und zudem sehr vom Zufall abhängig, dass auch zwei solcher extremen Lastspitzen zeitgleich oder nur um wenige Millisekunden versetzt auftreten. Diese beiden Werte müssen dann im Einzelwert noch nicht einmal das absolute Extrem darstellen, können aber in der Summe in genau diesem Auslöseintervall so einer Netzteilüberwachung durchaus „tödlich“ sein.

Im konkreten Fall schalteten nämlich Rechner eines Systemintegrators auch mit extrem groß bemessenen Netzteilen ab, wenn man z.B. einen Intel Core i9-10900K mit einer GeForce RTX 3090 auf einem Asus-Motherboard betrieb und noch gehörig übertaktete. Gegenproben bei be quiet! und in meinem Labor verliefen dann allerdings negativ, sogar bei noch weiteren angeschlosssenen Komponenten, allerdings mit anderen Motherboards. Nach langem Try & Error kam ich dann über den Umweg des Motherboard-Tauschs auf die CPU zurück. Denn im Falle der Blackouts wurde ausschließlich ein bestimmtes Asus-Board verbaut, das auch die CPU gehörig übervoltete. Doch sind die Spikes der CPUs auch bei anderen Motherboards noch übermäßig hoch? Genau darum geht es heute, denn die Netzteilabschaltungen sind Folgen einer kausale Kette, gepaart mit einer gehörigen Portion Zufall bzw. Pech.

Da jedoch viele Leser gebeten haben, mich auch einmal mit der viel relevanteren Mittelklasse zu befassen, testen wir heute „nur“ mit einer MSI RTX 3070 Gaming X Trio, einer MSI RX 6800 XT Gaming X Trio sowie einer AMD Radeon RX 6800. Zusammen mit einem Ryzen 9 5900X hätten wir damit sicher das Maximum dessen abgedeckt, was man als aktuelle Mitteklasse bzw. Oberklasse sieht. Das High-End hatten wir ja schon, zumal es hier dann auch nicht auf 50 Euro mehr oder weniger bei der PSU ankommt.

Netzteile im Praxistest

Ich hatte ja bereits die Serie der be quiet! Straight Power 11 Gold und Platinum ab 650 Watt bis zu 1000 Watt im Test mit der GeForce RTX 3090 und einem Intel Core i9-10900K, deshalb runde ich das Ganze heute noch einmal mit den einfacheren Modellen und einer beliebten AMD-CPU nach unten hin ab. Zum Einsatz kommen ein Straight Power 11 550 Watt Platinum, ein Straight Power 650 Watt  Gold, ein Pure Power 500 Watt Gold sowie ein Pure Power 700 Watt Gold. Die Netzteile wurden von be quiet! ohne Vorbedingungen für die Tests zur Verfügung gestellt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand nicht.

Lastspitzen der Grafikkarten

Wie sich das Ganze dann auf die gesamte Last auswirkt, erkläre ich Euch jetzt schrittweise. Ich habe mir willkürlich und zufällig einen 20-ms-Ausschnitt aus einer Messreihe mit der übertakteten RX 6800 XT  geschnappt und werde zunächst alle Verläufe einzeln darstellen und erklären. Das brauchen wir dann zum besseren Verständnis der nächsten Seiten. Die Grafikkarten kennen wir ja schon, deshalb kürze ich dies auch einmal etwas ab. Der Arbitrator schaltet nämlich viele Tausend Male pro Sekunde die Lasten hoch und runter (Sensorwerte, Power Estimation), so dass sich dieses Bild ergibt:

Lastspitzen der CPU

Jetzt wird es spannend! Ich messe absolut zeitgleich auch die CPU am EPS und zwar so, wie auch die Grafikkarten: Primär an den Zuführungen vor den jeweiligen Spannungswandlern, also direkt am EPS (hier 1x 8-Pin + 2x 4-Pin). Über den gesamten Benchmarkverlauf von 2 Minuten liegt die durchschnittliche Leistungsaufnahme der CPU bei 60.4 Watt. Messe ich mit 1-s-Intervallen, dann sind dies zwischen 59.2 und 61.3  Watt. Reduziere ich diese Intervalle jedoch weiter, dann sehe ich Lastspitzen bis zu 205 Watt im Gaming! Den Stresstest hebe ich mir noch etwas für später auf. Trotzdem liegt auch das hier Gemessene auf einem irren Niveau und beträgt stellenweise mehr als das Dreifache des Durchschnittswertes!

Leistungsaufnahme des Motherboards samt angeschlossener Komponenten

Hier liegt es etwas an der Topologie des Boards, welche Komponenten wirklich aus der 12-Volt-Schiene versorget werden und welche über 3.3 bzw. 5 Volt. Die Leistungsaufnahme von Motherboard, 2 SSDs, einer externen mechanischen Festplatte, 2x 16 GB Arbeitsspeicher und RGB-Gedöns liegt in der Summe zwischen ca. 41 und 49 Watt, bleibt also relativ konstant. Da auf die 12-Volt-Schiene davon im Allgemeinen aber meist nur 25 (und weniger) Watt entfallen sowie der Messaufwand der ganzen Rails mit dem Oszillographen zu hoch ist, habe ich alle Messungen auf den Folgeseiten ohne Motherboard gemacht. Diese maximal 25 Watt, die recht konstant bleiben, kann man gern noch individuell für sich in der Bemessung dazu addieren. Wirklich wichtig und entscheidend sind sie jedoch nicht.

Die Einheit aller Spikes: Lastwechsel in der Summe am Netzteil

Und nun kommt das ganz dicke Ende! Die Farben der Kurven habe ich beibehalten, nur die gelbe Kurve ist neu. Diese Kurve zeigt nun die Summe aller Teil-Lasten an den 12-Volt-Rails. Man erkennt auch, dass nicht alle CPU-Spikes der Lastkurve der GPU folgen und umgekehrt. Die Chance des zeitgleichen Aufeinandertreffens zweier Extremwerte ist nicht allzu groß, aber sie ist real und existiert.

Benchmarks, Testsystem und Auswertungssoftware 

Die Messung der detaillierten Leistungsaufnahme und anderer, tiefergehender Dinge erfolgt hier im Labor auf einem redundanten und bis ins Detail identischem Testsystem zweigleisig mittels hochauflösender Oszillographen-Technik. Auch wenn ich sonst immer den Witcher 3 bei den GPU-Lasttests nutze, ist es heute Shadow of the Tomb Raider, weil der integrierte Benchmark sehr unterschiedliche Szenen mit recht bösartigen Lastwechseln beinhaltet. Das macht diesen Loop zum idealen Testobjekt für unsere heutige Untersuchung. Den Stresstest erledigt wie immer die Kombination aus Furmark und Prime95 (mit AVX).

Die Übertaktung der CPU erfolgt über PBO (180 Watt TDP Limit, + 500 MHz Boost), die der Grafikkarten mit MorePowerTool und Wattman (Radeon) bzw. MSI Afterburner (GeForce). Damit relevante Spike-Kombinationen auch wiederholt reproduziert werden konnten, dauerte es manchmal viele Durchläufe. Deshalb hatte sich dieser Artikel auch etwas verzögert. Die hochauflösenden Messungen erfolgen mittels zweier schneller Speicheroszillographen…

…und der Rest dem selbst erschaffenen, MCU-basierten Messaufbau für Motherboards und Grafikkarten (Bilder unten), wo am Ende im klimatisierten Raum auch die thermografischen Infrarot-Aufnahmen mit einer hochauflösenden Industrie-Kamera erstellt werden. Die Audio-Messungen erfolgen außerhalb in meiner Chamber (Raum im Raum). Doch das brauchen wir heute beides ausnahmsweise einmal nicht.

Die einzelnen Komponenten des Testsystems habe ich auch noch einmal tabellarisch zusammengefasst:

Test System and Equipment
Hardware:
AMD Ryzen 9 5900X Stock/OC
MSI MEG X570 Godlike
2x 16 GB Corsair DDR4 4000 Vengeance RGB Pro / Patriot Viper
1x 2 TByte Aorus (NVMe System SSD, PCIe Gen. 4)
1x 2 TB Corsair MP400 (Data)
1x Seagate FastSSD Portable USB-C
be quiet! Straight Power 550/650 Watt, Pure Power 500 Watt
Cooling:
Alphacool Eisblock XPX Pro
Alphacool Eiswolf (modified)
Alphacool Subzero
Case:
Microcool Banchetto 101
Monitor: BenQ PD3220U
Power Consumption:
Oscilloscope-based system:
Non-contact direct current measurement on PCIe slot (riser card)
Non-contact direct current measurement at the external PCIe power supply
Direct voltage measurement at the respective connectors and at the power supply unit
2x Rohde & Schwarz HMO 3054, 500 MHz multichannel oscilloscope with memory function
4x Rohde & Schwarz HZO50, current clamp adapter (1 mA to 30 A, 100 KHz, DC)
4x Rohde & Schwarz HZ355, probe (10:1, 500 MHz)
1x Rohde & Schwarz HMC 8012, HiRes digital multimeter with memory function

MCU-based shunt measuring (own build, Powenetics software)
Up to 10 channels (max. 100 values per second)
Special riser card with shunts for the PCIe x16 Slot (PEG)

Thermal Imager:
1x Optris PI640 + 2x Xi400 Thermal Imagers
Pix Connect Software
Type K Class 1 thermal sensors (up to 4 channels)
OS: Windows 10 Pro (all updates, current certified or press drivers)

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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