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Warum sich Hersteller mit AMD-Notebooks schwer tun, AMD sich gern selbst ein Bein stellt und die blaue Verschwörung gar keine ist | Editorial

Ich musste das Folgende jetzt einfach einmal aufschreiben, denn ich mag weder die üblichen Verschwörungstheorien um angebliche Zwänge (obwohl Intel in der Vergangenheit genügend Gründe dafür geliefert hat), noch finde ich viele Forendiskussionen fair, die einmal mehr zeigen, dass es unter vielen Foristen mehr Fachleute zu geben scheint als fähige Ingenieure in den Entwicklungsabteilungen. Das liegt überwiegend natürlich auch am Mangel an echten Informationen, die man dann gern und mangels echter Substanz mit bröseligem Spekulatius ersetzt, bis es jeder glaubt.

Ja, ich gebe zu, AMD und Notebooks. das ist so ein Ding für sich und immer eine heiße Diskussion wert. Deswegen wird es gern genommen, wenn sonst kein Click-Bait-Thema greifbar ist. Aber es gibt so viele Faktoren und Ursachen, die sich zudem noch untereinander beeinflussen, dass man das wirklich einmal emotionslos aufdröseln muss. Für Manches kann AMD nämlich wirklich nichts, für Anderes dafür umso mehr. Und Intel? Historisch gesehen ist Intel der ideale Buhmann für die Alu-Hut-Fraktion und am Ende doch nur meist indirekt oder passiv beteiligt. Und dann sind da ja auch noch die eigentlichen Hersteller, gefangen in komplexen Lieferketten, Lagerbeständen, hohen Tooling-Kosten, mangelnder Risikobereitschaft und sonstigen Bremsen wie z.B. eine vorvorgestrigen Befehlshierarchie.

Das Herzstück der ganzen Notebook-Industrie sind heute die großen OEM und ODM wie Pegatron, Clevo, Tongfang, Quanta, Compal, BYD und viele andere und selbst so mancher vermeintliche Hardware-Produzent nutzt bei Dingen wie Notebooks lieber Drittfirmen für die eigentliche Produktion als eigene Ressourcen. Nur ist so ein OEM bzw. ODM ja auch nur ein Mensch und als solcher ein Gewohnheitstier, insbesondere ein meist asiatisches. Wer dann noch effizient produzieren möchte, braucht einen gesunden Mikrokosmos ohne Aktionismus und hektische Betriebsamkeit sowie glasklare Aus- und Ansagen verbunden mit einer verlässlichen, längerfristigen Strategie samt solventer Partner.

Historische Gründe?

AMD hatte viele Jahre einfach keine konkurrenzfähigen Produkte, die man in Notebooks auch in Massen für die Masse hätte einsetzen können. So ist über Jahre folgerichtig eine Art Intel-Nvidia-Monokultur gewachsen, die Intel zwar sehr gern sieht und mitnimmt (Nvidia natürlich auch), aber für die außer AMD eigentlich niemand etwas so recht kann. Noch nicht einmal Intel, denen man eigentlich nur vorwerfen kann, über Jahre einfach zu gut gewesen zu sein. So eine Monokultur ist aber hochgefährlich, denn sie verhindert plötzliche Wendungen und ein flexibles Umdenken. Gefangen im eigenen Körper trifft es sicher ganz gut.

Und warum dauert das alles so lange?

Dass AMD sich vielleicht wundert, warum trotz aller technischen Eckdaten nicht jeder euphorisch zu den neuen Ryzens greift und die Produktion umstellt, liegt an vielen Dingen. Denn man muss wissen, dass die großen Produzenten mit monatelangem Vorlauf arbeiten müssen, Plattformen entwickeln und dann auch noch die ganze Palette der Tests durchlaufen müssen, seien es nun Environmental-, HALT- oder einfach nur MTBF-Baugruppen-Tests, Zertifizierungen und vieles mehr.

Kann man sich dabei auf nur jeweils einen Anbieter für CPUs und GPUs konzentrieren, wo über Jahre sehr ähnliche Produkte geliefert werden, vereinfachen sich Abläufe und Tests erheblich, denn vieles kann immer wieder übernommen oder muss nur leicht modifiziert werden. Elektrisch und mechanisch bleibt also vieles gleich. Man darf nicht vergessen, dass ein PC nur die Pflicht ist, ein Notebook aber die Kür. Das ist ein sehr fragiles thermisches und elektrisches Gebilde, dessen Gleichgewicht schneller aus dem Tritt kommen kann, als ein eher grobschlächtiger PC. AMD macht viele Dinge anders als Intel, das stellt jeden vor neue Herausforderungen.

Neben den technischen Befindlichkeiten gibt es Dinge wie Bevorratung / Lagerhaltung, Markt und Beschaffung sowie die große Unbekannte mit Preisen und Verfügbarkeiten. Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um echte Großbetriebe mit vielen Tausenden Beschäftigten handelt, die man nicht mal einfach eben so neu auf Spur prügeln kann. Und so groß sie auch aussehen mögen – finanziell sind auch diese Konstrukte meist fragil und auf eine solide Kontinuität angewiesen. Tja, und dann kam Ryzen.

Quelle: AMD

Vieles ist bei AMD anders

Genau jetzt wird es leider kleinteilig und ich werde mich wohl ein wenig in herausgepickten Details verlieren müssen, die den täglichen Alltag so einer Entwicklung ganz gut beschreiben. Natürlich muss ich dabei auch die Quellen schützen, um nicht von einer vermeintlich belanglosen Anekdote Rückschlüsse auf den Urheber zuzulassen. Beginnen wir deshalb bei der Entwicklung und dem Support durch die Chipanbieter, ohne den erst einmal gar nichts geht. Blaupausen gibt es keine, hier muss basierend auf den Unterlagen der Chipanbieter immer wieder Neuland betreten werden.

AMDs Ressourcen, vor allem bei der Manpower, sind im Hinblick auf die vielen Produzenten und den großen Markt arg limitiert, immer noch. Wenn AMD ein neues Produkt nicht (sofort) erklären kann und bei den ersten Gehversuchen hilft, ist die Hürde schon recht hoch. Auch im Nachfeld, bis hin zur laufenden Massenproduktion und den Folgeaufgaben wie einer funktionierenden RMA, muss kontinuierlich und partnerschaftlich kommuniziert werden können. Das ist wie betreutes Wohnen, nur halt mit Technik. Womit wir bei den Befindlichkeiten angekommen wären. Spricht man mit den Herstellern, dann hört man immer wieder die gleichen Argumente, was sich auf die wichtigsten Punkte herunterbrechen lässt.

Generelles
– Unklare Versorgungs- und Zuteilungssituation bei Schlüsselkomponenten
– Eigene Lagerbestände und Verfügbarkeit neu zu beschaffender Komponenten
– Das Fehlen langfristiger Strategien und damit mangelnde Planungssicherheit
– Kaum eigene Markterfahrung, dafür Vorurteile bei den Entscheidungsträgern vieler Kunden

Im technischen Zusammenhang:
– Begrenzter Support durch AMD (kaum oder nicht genug geeignetes Personal)
– Lizenzen und Mehrkosten
– Kaum Erfahrung im Umgang mit dem Energiemanagement von AMD
– Konflikte von NVIDIA- und AMD-Technologien (siehe unten)
– Kaum Erfahrung im Umgang mit der Speicherunterstützung
– Firmware- und Kompatibilitätsprobleme
– Probleme mit Treibern für verschiedene Betriebssysteme

Das war natürlich bisher alles nur sehr pauschal oder grob umrissen, womit wir bei den Details angelangt wären, die die täglichen Probleme sicher auch noch etwas besser veranschaulichen können.

NVIDIAs Last und AMDs Leid

Doch AMD allein die Schuld zuzuschieben wäre auch unfair. Nehmen wir mal NVIDIA und die Kombination mit einem AMD-Unterbau, auch um zu zeigen, mit welch harten Bandagen da am Markt gekämpft wird. Man wundert sich gern, warum es denn so schwierig sein soll, AMDs CPUs mit integrierter Grafik sinnvoll mit den besseren Nvidia-Chips zu kombinieren. Nvidias Optimus funktioniert ja durchaus, das beweisen die aktuellen Notebooks von z.B. Schenker. Nur dass hier der wichtige MUX-Umschalter fehlt, so dass  sich Optimus bei AMD-Hardware nicht bedarfsweise deaktivieren und das Display intern umschalten lässt.

Das muss ich jetzt einmal doch ganz kurz erklären. Zunächst einmal haben wir das, was NVIDIA blumig Dynamic-Boost-Technologie nennt. Dies ist im Wesentlichen NVIDIAs hauseigenes Gegenstück zur neuen SmartShift-Technologie von AMD, die man in den Ryzen Mobile 4000 APUs findet. Wie SmartShift wurde NVIDIAs Dynamic Boost entwickelt, um die Tatsache auszunutzen, dass in vielen Laptop-Designs die GPU und die CPU ein gemeinsames Wärmebudget haben, typischerweise weil beide über den gleichen Satz von Heatpipes gekühlt werden. In der Praxis geschieht dies in der Regel, um es OEMs zu ermöglichen, relativ dünne und leichte Systeme zu bauen, bei denen die Kühlkapazität des Systems mehr als die TDP entweder der CPU oder des Grafikprozessors allein, aber weniger als die gesamte TDP dieser beiden Prozessoren zusammen beträgt.

Auf diese Weise können OEMs für unterschiedliche Szenarien angepasste Profile entwickeln, wo man jeweils der einen oder anderen Komponente mehr Spielraum zubilligt. Wenn sich also beide Prozessoren ein gemeinsames Kühlsystem teilen, warum also nicht ihre Leistungsgrenzen erhöhen und dann das Wärmebudget des Systems auf intelligente Weise aufteilen? Dass das außerhalb von SmartShift mit den gemeldeten Temperaturwerten problematisch werden kann, sehen wir gleich noch.

Die Lösung von NVIDIA zeichnet sich vor allem daurch aus, dass sie die erste generische Lösung ist, die auch auf mehreren Plattformen funktioniert. Während AMDs SmartShift allein und proprietär für die Kombination von AMD-APUs und -Grafikprozessoren entwickelt wurde, um das AMD-Ökosystem und ihre Plattformkontrollstruktur zu pushen (und abzuschotten), musste NVIDIA als gemeinsamer Grafikprozessorlieferant für beide Plattformen eine Lösung entwickeln, die mit allen Plattformen funktioniert. Dynamic Boost kann also sowohl mit Intels Core-Prozessoren als auch mit AMDs Ryzen-Prozessoren eingesetzt werden. Klingt erst mal gar nicht so unfair, oder?

Aber jetzt kommt’s. Neben Dynamic Boost forciert  NVIDIA noch eine andere neue Laptop-Technologie, die sich Advanced Optimus nennt und mit der man sich ebenfalls etwas abschottet. Advanced Optimus ist eine Weiterentwicklung der NVIDIA Optimus-Technologie, die es ermöglicht, G-Sync mit der nötigen Energiespartechnologie zu verwenden. Da haben wir es dann auch, denn der MUX-Schalter lohnt sich nur, wenn man G-SYNC-Support bekommt! Mal abgesehen davon, dass AMDs integrierte Grafik Advanced Optimus absichtlich nicht unterstützen wird, kommen auch noch die 25 USD Mehrkosten für G-SYNC. Dazu kommt auch noch, dass der OEM dann ein Modell mit einem bestimmten Panel nicht mehr parallel ohne G-SYNC, dafür aber günstiger anbieten darf. Advanced Optimus klappt also nur, wenn der Produzent auch G-SYNC ordert. Was für ein Zufall, zumal NVIDIA mittlerweile selbst den Support von Advanced Optimus für AMD Plattformen kategorisch ausschließt. Eingeschnappt?

Doch auch Support und Schulung hinterlassen offene Fragen. So ein AMD-Webinar hinterlässt beispielsweise schon mal ein merkwürdiges Gefühl, wenn berechtigte Nachfragen nach BIOS-Möglichkeiten zum Untervolten (Intel verbietet das ja strikt in beide Richtungen) komplett ignoriert werden. Und wer sich fragt, warum in den AMD-Notebooks immer nur so merkwürdiger RAM verbaut wird, der sollte auch wissen, dass sich AMD den Nachfragen der Hersteller zu RAM-Empfehlungen und Tools zum Test der Speichercontroller ebenso komplett verweigert. Der JEDEC-konforme RAM von der untersten Stange ist somit nichts anderes als die logische Folge dieser (Nicht-)-Strategie. Bei Inkompatibilitäten stehen die Hersteller oft im Regen, zumal die Qualität der lokalen Field Application Engineers extrem schwankt und oft genug noch nicht einmal Mails beantwortet werden.

Oder nehmen wir noch mal die thermischen Belange. Wer möchte sich schon die Oberschenkel an der Unterseite eines Laptops verbrennen oder mit seinen Fingerkuppen dahinschmelzende Tastenkappen plastisch verformen? Wer als Hersteller das sinnlose Gezerre um SmartShift und Dynamic Boost vermeiden möchte, verbaut dann doch lieber einen Desktop-Ryzen. Aber auch hier lauern Stolperfallen. AMDs Rückmeldungen der internen Sensoren sind zum Teil reichlich widersinnig und für mobile Geräte somit weniger geeignet.

Allein die hibbeligen Tctl-/Tdie-Werte sind ein echtes Problem, denn die 50 Sensoren pro CCD neigen dazu, oft genug falsche Werte und kurzzeitige Hotspots zu melden, die die aktuellen Notebooks zu Lüfter-Heulbojen mutieren lassen. Intel hatte das vor Jahren auch schon mal, aber während so ein normaler 12-cm-Lüfter im PC diese Spikes galant durch seine eigene Trägheit ausbügelt, sind die kleinen und schnell reagierenden Lüfter der Notebooks mit ihrem sehr großen Drehzahlband ein williges Opfer für akustische Fehltritte. Firmware-Anpassung von AMD? Fehlanzeige.

Fazit

AMD mauert in der beidhändigen Deckung mit SmartShift (in der Hoffnung, mit RDNA2 auch endlich einmal eigene dGPUs in die Laptops zu bekommen), NVIDIA betoniert einen rechten Aufwärtshaken mit Advanced Optimus zurück zu AMD und Intel lacht sich derweil passiv ins Fäustchen und zählt die Punkte. Dieser nervige Silizium-Kindergarten führt letztendlich zur aktuellen Situation, die sich wohl nur klären lässt, wenn der Kunde mit seiner Nachfrage diese Protagonisten der elendigen Kleinkriege einmal richtig unter Druck setzt. Wunschdenken, leider. Oder?

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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