Wer seit heute meine Wärmeleitpasten-Datenbank aufmerksam betrachtet, wird eine kleine Erweiterung sicher nicht übersehen haben. Bei meiner vergleichenden Charakterisierung von Wärmeleitpasten (TIM) wurde bisher bewusst (rein grafisch) eine einheitliche Untergrenze der Bond Line Thickness (BLT) von 25 µm gewählt. Diese Entscheidung basiert auf physikalischen Überlegungen hinsichtlich der thermischen Widerstandsanteile sowie auf praktischen Erfahrungen aus realen Montageszenarien von GPU- und CPU-Systemen. Warum ich das so gemacht habe und in den Bewertungen der Chartsreihenfolge immer noch so handhabe, werde ich heute einmal ausführlich und transparent darlegen und belegen. Leider ist das Thema zu komplex, um es plakativ auf ein eher niedriges Level herunterzubrechen, aber ich habe versucht, die wichtigsten Aussagen noch einmal zusammengefasst als Zitat hervorzuheben und keinen mit zu viel an Theorie zu langweilen.
Vorbemerkung
Im heutigen Artikel möchte ich meine persönliche Sichtweise zu diesem Thema schildern, die ich anlässlich eines kürzlich veröffentlichten Videos noch einmal bewusst reflektiert und neu eingeordnet habe. Es handelt sich dabei ausdrücklich um meine eigene, subjektive Einschätzung, die ich jedoch bemüht bin, sachlich und fachlich zu begründen und – soweit möglich – mit technischen Hintergründen, praktischen Erfahrungen und Rückmeldungen aus Gesprächen mit Herstellern, Entwicklern und Anwendern zu untermauern, auch wenn es vielleicht eine etwas schwerere Kost wird.
Dabei geht es mir nicht darum, zu klären, wer in einzelnen Punkten „recht“ hat oder nicht. Vielmehr zeigt die Erfahrung, dass die relevanten Einflussgrößen und Rahmenbedingungen so vielfältig und komplex sind, dass es selten eine einfache Antwort oder pauschale Lösung gibt. Entscheidend ist aus meiner Sicht vielmehr die Frage, mit welchem Aufwand und welcher Methodik man für eine gegebene Zielsetzung zu belastbaren, praxisrelevanten Ergebnissen kommt – sei es in der Materialentwicklung, bei Alterungstests, in der Serienfreigabe oder im anwendungsnahen Vergleich. Genau diese Abwägung verdient eine differenzierte Betrachtung.
Doch worum geht es mir heute eigentlich? Bei der thermischen Charakterisierung von Wärmeleitmaterialien (TIM) wird pauschal angenommen, dass eine Verringerung der Schichtdicke – insbesondere eine Halbierung der sogenannten Bond Line Thickness (BLT) – auch stets zu einer proportionalen Halbierung des Wärmewiderstandes führt. Diese Annahme ist jedoch im Bereich sehr dünner Schichten, insbesondere unterhalb von etwa 25 µm, nicht korrekt, sondern sogar grundlegend falsch. Der Grund liegt in der zunehmend dominanten Rolle des Interface-Widerstands, also des thermischen Kontaktwiderstands an den Grenzflächen zwischen TIM und den angrenzenden Festkörpern (z. B. Kühlkörper und Chipoberfläche). Das ist ja auch einer der Gründe, warum ich die sogenannten “Eimer”-Messungen gewisser Hersteller zum Erreichen utopischer W/mK-Werte ablehne.
Der gesamte Wärmewiderstand einer realen TIM-Schicht setzt sich aus zwei Hauptanteilen zusammen: dem Volumenwiderstand (Bulk) des Materials selbst und dem Interface-Widerstand an den Grenzflächen. Der Volumenwiderstand ist dabei tatsächlich proportional zur Schichtdicke und zur Wärmeleitfähigkeit des Materials. Der Interface-Widerstand hingegen ist in erster Näherung unabhängig von der Schichtdicke und wird durch die physikalische Beschaffenheit der Oberflächen (Rauigkeit, Benetzung, mechanischer Kontakt) sowie die Materialeigenschaften des TIM bestimmt.
Wenn nun die Schichtdicke stark reduziert wird, bleibt der Interface-Widerstand konstant, während der Volumenwiderstand sinkt. Bei sehr dünnen Schichten – typischerweise unterhalb von 25 µm – kann der Interface-Widerstand schnell auch den größten Anteil am Gesamtsystem einnehmen. In diesem Bereich bewirkt eine weitere Reduktion der Schichtdicke nur noch eine vergleichsweise geringe Reduzierung des Gesamtwärmewiderstands, da der dominante Interface-Anteil nicht verringert wird. Folglich führt eine Halbierung der BLT in diesem Bereich nicht zu einer Halbierung des Wärmewiderstandes.
Zusätzlich wird der Begriff der Wärmeleitfähigkeit in solchen Fällen problematisch. Die klassische Definition der Wärmeleitfähigkeit setzt voraus, dass der Wärmewiderstand durch das Volumen des Materials dominiert wird und dass ein linearer Zusammenhang zwischen Dicke und Widerstand besteht. Sobald jedoch der Interface-Widerstand signifikant wird, ist die effektive Wärmeleitfähigkeit kein reiner Materialparameter mehr, sondern ergibt sich aus einer Mischwirkung zwischen Volumen- und Kontaktwiderstand. Die Angabe einer einzigen Wärmeleitfähigkeitszahl suggeriert dann eine lineare Skalierbarkeit des Systems, die in Wahrheit nicht existiert. In extrem dünnen TIM-Schichten beschreibt die Wärmeleitfähigkeit daher nicht mehr zuverlässig das tatsächliche thermische Verhalten des Systems.
Fairerweise muss bei sehr dünnen TIM-Schichten die thermische Analyse differenzierter erfolgen: Der Interface-Widerstand muss separat berücksichtigt werden, und einfache lineare Modelle auf Basis der Wärmeleitfähigkeit greifen nicht mehr zuverlässig.
Darüber hinaus reflektiert die von mir gewählte Grenze von 25 µm einen realistischen Praxisbezug: In realen Anwendungen, insbesondere bei der Montage von GPU- oder CPU-Kühlern, treten durch mechanische Gegebenheiten wie Substratbiegung (Bending), Verwindung der Kühlerböden, sowie mikroskopische Rauigkeiten und Unebenheiten Schichtdicken auf, die häufig oberhalb von 20–30 µm liegen. Selbst bei sehr ebenen Kühlkörpern und präzise montierten Prozessoren lassen sich minimale lokale BLT-Werte unter 20 µm kaum stabil erreichen, da leichte mechanische Deformationen während der Verschraubung sowie thermische Ausdehnungen das System dynamisch beeinflussen. Die tatsächlichen Schichtdicken liegen daher üblicherweise zwischen etwa 20 und 60 µm, abhängig von Pastentyp, Auftragsmenge, Anpresskraft und Oberflächenbeschaffenheit.
Was hat sich an den Diagrammen geändert?
Eine weitere wichtige praktische Komponente betrifft zudem die Materialeigenschaften der Pasten selbst. Bestimmte hochviskose oder partikelreiche Pasten erreichen von sich aus nur eine gewisse Mindestschichtdicke, unterhalb derer sie aufgrund von Fließgrenzen, Partikelgrößen oder Dispergiereigenschaften nicht mehr homogen aufgebracht werden können. In diesem Zusammenhang wurde bei Ihren Auswertungen auch jeweils die experimentell ermittelte minimal mögliche BLT für jede getestete Paste in die Diagramme aufgenommen. Diese Werte dokumentieren, wie dünn eine Paste im besten Fall appliziert werden kann, ohne dass Lufteinschlüsse, Inhomogenitäten oder mechanische Defekte entstehen. Zur Vollständigkeit wurden in die Diagramme zusätzlich die experimentell ermittelten minimal möglichen BLT-Werte jeder getesteten Paste aufgenommen. Diese dokumentieren die technische Machbarkeit extrem dünner Applikationen unter Laborbedingungen. In der praktischen Anwendung besitzen diese minimalen Werte jedoch eine untergeordnete Bedeutung, da reale Einflüsse wie ungleichmäßige Oberflächen und Montagekräfte die erreichbaren Schichtdicken in der Regel erhöhen.
Obwohl diese minimalen BLT-Werte jetzt ebenfalls in den Diagrammen enthalten sind, werde ich gleich noch belegen, dass sie in der praktischen Anwendung eine eher untergeordnete Rolle spielen. Da in realen Systemen kaum optimale Bedingungen herrschen und weil durch unvermeidbare mechanische Effekte meist höhere effektive BLTs entstehen, haben extreme Dünnschichtwerte wenig Einfluss auf die tatsächliche thermische Leistung im Betrieb. Die eingeführte Untergrenze von 25 µm erlaubt somit einen deutlich repräsentativeren und praxistauglicheren Vergleich verschiedener Pasten unter realistischen Betriebsbedingungen .
Was bezwecke ich damit?
Eine klare Vergleichbarkeit der Pasten bei typischen Praxisbedingungen,
Eine Vermeidung irreführender Überbetonung von Effekten extrem dünner Schichten,
Und eine realistische Einschätzung der thermischen Leistungsfähigkeit der Pasten unter realen Montage- und Betriebsbedingungen.
Was beeinflusst der Interface-Widerstand im Detail?
Der Kontakt- bzw. Interface-Widerstand von Wärmeleitmaterialien (TIM) ist grundsätzlich nicht vollständig unabhängig von der Schichtstärke der TIM-Schicht, wenngleich sein Verhalten differenziert betrachtet werden muss. Zunächst muss man klar unterscheiden zwischen dem reinen Volumenwiderstand der TIM-Schicht und dem Interface-Widerstand an den Grenzflächen (etwa zwischen TIM und Kühlkörper sowie TIM und zu kühlender Komponente). Der Interface-Widerstand ist hauptsächlich durch mikroskopische Unebenheiten, Oberflächenrauheiten, Verunreinigungen sowie durch die intrinsische Benetzungsfähigkeit des Materials geprägt. Diese Faktoren bestimmen, wie gut sich die TIM-Schicht an die angrenzenden Oberflächen anlegt und somit die Anzahl und Qualität der realen Kontaktstellen.
Der Interface-Widerstand an sich ist im Idealfall weitgehend unabhängig von der Schichtdicke, da er sich auf die Qualität der Grenzfläche bezieht und nicht auf den Materialtransport durch das Volumen des TIMs. Allerdings gibt es praktische Zusammenhänge, die bei der Betrachtung nicht vernachlässigt werden dürfen. Drei wichtige Punkte sind dabei:
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Bei sehr dünnen Schichten kann sich der Interface-Widerstand stark bemerkbar machen und sogar dominieren, da die Volumenresistenzanteile der TIM-Schicht gering sind. Hier kann auch eine unzureichende Benetzung durch die zu geringe Materialmenge zu erhöhtem Interface-Widerstand führen.
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Bei dickeren Schichten wird der Einfluss des Volumenwiderstandes zunehmend wichtiger. Die Interface-Widerstände bleiben zwar grundsätzlich konstant, aber ihr prozentualer Anteil am Gesamtsystemwiderstand sinkt mit zunehmender Schichtdicke.
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Mechanische Eigenschaften des TIMs beeinflussen den Interface-Widerstand in Abhängigkeit von der Schichtstärke. Beispielsweise führen dickere viskose Pastenschichten oft zu einer besseren Anpassung an Oberflächenrauigkeiten, was den effektiven Interface-Widerstand senken kann. Umgekehrt kann bei harten Materialien eine dickere Schicht schlechteren Kontakt bewirken.
Formal betrachtet ist der Interface-Widerstand primär unabhängig von der Schichtstärke der TIM-Schicht, da er ein Phänomen der Grenzflächenkontaktqualität ist. In der praktischen Anwendung kann sich jedoch durch veränderte Kontaktbedingungen (bedingt durch zu dünne oder zu dicke Schichten) ein indirekter Einfluss ergeben, sodass sich der effektive Interface-Widerstand mit der Schichtdicke ändern kann. Dies geschieht jedoch nicht aufgrund eines grundsätzlichen physikalischen Zusammenhangs zwischen Schichtdicke und Grenzflächenwiderstand, sondern wegen veränderten physikalischen Kontaktverhältnissen.
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