Seit über drei Jahrzehnten gehörte Beyerdynamic zu meinem festen Inventar im gehobenen Kopfhörersegment, nicht als distanzierter Testender, sondern als zahlender Enthusiast, der die Produkte im täglichen Einsatz schätzte. Über die Jahre entstanden dabei persönliche Kontakte zu Ingenieuren im Entwicklungsteam, deren technische Akribie und Offenheit mich ebenso beeindruckten wie die damals souveräne Pressearbeit des Hauses, die auf einen Dialog auf Augenhöhe setzte und fachliche Fragen ohne Umwege klärte. Diese Kontinuität bekam jedoch feine Risse, als sich die Medienarbeit allmählich von der internen Fachabteilung (Danke Frau Hinkel!) zu austauschbaren Agenturen verlagerte, die weder das technische Profil noch den traditionellen Tonfall des Unternehmens fortführten. Aus der einst seriösen, fast kollegialen Kommunikation entwickelte sich eine plakative Kampagnenlogik, die fortwährend Schlagworte statt Substanz lieferte und mit aggressiver Social-Media-Werbung jede Nische besetzte, in der sich potenzielle Kunden aufhielten.
Parallel dazu traten immer häufiger Produkte in den Vordergrund, die an Beliebigkeit kaum zu überbieten waren, fernab jener klanglichen Handschrift, für die Beyerdynamic lange stand. Die Marke, einst Synonym für ingenieurgetriebene Weiterentwicklung, verwandelte sich so Stück für Stück in einen Lautsprecher für Marketingfloskeln, der mit jedem neuen Release den eigenen Ruf weiter demolierte. Dieser Abstieg ließ sich nicht nur an Testgeräten nachvollziehen, sondern spiegelte sich auch in der veränderten Außendarstellung des Unternehmens, das schlussendlich mehr Schein als Sein kommunizierte und damit seine bislang treuesten Unterstützer vor den Kopf stieß.
Die sogenannte Chi-Fi-Welle rollt weiter, macht auch vor Beyerdynamic nicht Halt und sie schert sich wenig um Markenkern, Herkunft oder Ingenieurskunst. Wo früher „Made in Germany“ nicht nur ein Label, sondern ein technisches Versprechen war, regiert inzwischen der Reißbrett-Pragmatismus fernöstlicher Massenfertigung. Beyerdynamic ist damit nun offiziell und endgültig in die Riege jener ehemals eigenständigen Hersteller abgestiegen, die fortan nur noch als Markenhülle dienen. „Chi-Fi“ war einst ein Spottbegriff für billig zusammengeschusterte Aliexpress-Wunderwerke mit Marketing-Englisch und Goldschrift auf glänzenden Kartons. Heute steht der Begriff sinnbildlich für die vollständige Entkernung audiophiler Markenidentität, bei der Hochglanzbroschüren und Buzzwords das ersetzen sollen, was man früher durch Präzision, Materialqualität und langfristige Ersatzteilversorgung belegen musste.
Dass Beyerdynamic sich diesem Trend nicht widersetzt, sondern ihn aktiv mitgetragen hat, zeigt sich nicht erst mit dem Verkauf, sondern in der auffälligen Umgestaltung des Portfolios der letzten Jahre. Man kann es Modernisierung nennen, oder ehrlicher: Vereinheitlichung im Namen der Margen. Ein DT 770 Pro X klingt halt nicht automatisch besser als ein normaler DT 770, nur weil das Gehäuse plötzlich aus Polycarbonat besteht und an ein Innengewinde aus dem Spritzgussautomaten erinnert. Wer künftig Beyerdynamic kauft, bekommt vielleicht noch deutsches Influenzer-Marketing, aber nicht zwangsläufig deutsche Wertarbeit. Chi-Fi bedeutet heute: Außen Hui, innen Alibaba.
Fast ein Jahrhundert lang blieb Beyerdynamic unabhängig und in Familienbesitz. Doch diese Ära endete am 5. Juni 2025 mit der Unterzeichnung eines Übernahmevertrags im Umfang von 122 Millionen Euro durch Cosonic International, eine in Singapur registrierte Firma, die ihrerseits vollständig vom chinesischen Konzern Jiahe Intelligent Technology Co., Ltd. gehalten wird. Mit dem Übergang wechselt die Kontrolle über sämtliche Vermögenswerte, Unternehmensschulden und Managementstrukturen zu einer asiatischen Holding.
Cosonic ist bislang vor allem als Auftragsfertiger bekannt und produziert unter anderem für Marken wie Philips, JBL, Beats, Honor, Huawei, 1More und Soundcore. Im Jahr 2024 stammten rund 77 Prozent des Umsatzes aus dem Kopfhörersegment, was etwa 343 Millionen US-Dollar entspricht. Der wirtschaftlich dominierende Eigentümer ist jedoch der in Shenzhen börsennotierte Mutterkonzern Jiahe, der mit dieser Übernahme nicht nur Produktionskompetenz, sondern auch Zugang zu westlichen Absatzmärkten konsolidieren möchte.
Mit der Transaktion gehen 93,63 Prozent der Kommanditanteile der Beyerdynamic GmbH & Co. KG, sämtliche Geschäftsanteile der geschäftsführenden Verwaltungs-GmbH sowie Darlehensforderungen in Höhe von rund 14 Millionen Euro auf Cosonic über. Auch die vier Tochtergesellschaften in den USA, China und Indien werden übernommen. Letztere war bislang inaktiv, soll jedoch vollständig eingegliedert werden. Neben der Infrastruktur und bestehenden Vertriebsnetzen geht es Cosonic offenbar gezielt um technische Alleinstellungsmerkmale wie die Tesla-Magnettreiber und Beyerdynamics Funkübertragungstechnologien für hochwertige Audioanwendungen. Der Konzern plant den Direktvertrieb unter eigenem Namen, die Ausweitung der Margen sowie die stärkere Verzahnung von Fertigung und Markenstrategie.
Finanzanalysten bewerten die Übernahme ambivalent. Die Bewertungsmultiplikatoren liegen mit dem 14-Fachen des Nettogewinns über dem Branchendurchschnitt, was angesichts eines Nischenmarkts als riskant gilt. Zudem fehlt Cosonic bislang jede Erfahrung im Endkundengeschäft, was mittelfristig zu Reibungsverlusten führen könnte. Kulturunterschiede, unterschiedliche Arbeitsweisen und mögliche Konflikte in der Markenausrichtung bergen weitere Risiken. In der Audiophilen-Szene überwiegt die Skepsis. Klassiker wie der DT880 oder der T1 gelten als Inbegriff deutscher Ingenieurskunst, und viele fürchten, dass die Marke ihren Charakter verliert. In einschlägigen Foren kursiert bereits der Begriff „Chi-Fi’d“, eine zynische Kurzform für den schleichenden Identitätsverlust renommierter Marken nach einer chinesischen Übernahme. Die Sorge: künftige Produkte könnten beliebiger, billiger oder nur noch oberflächlich mit dem bekannten Markennamen etikettiert sein.
Die Diskussion rund um Chi-Fi ist übrigens kein neues Phänomen, sondern Ausdruck einer grundlegenden Verschiebung in der globalen Elektronikindustrie. Gemeint ist damit die Tendenz, ehemals hochwertige westliche Marken durch kostensparende, aber qualitativ fragwürdige Massenproduktion aus China zu ersetzen, oft bei gleichzeitigem Erhalt des ursprünglichen Markenimages. Viele beobachten mit Sorge, dass genau dieser Prozess bei Beyerdynamic schon vor der Übernahme begonnen hatte.
Zahlreiche in den letzten Jahren eingeführte Produkte, die sich durch ein „X“ im Namen kennzeichnen, stehen exemplarisch für diesen Strategiewechsel. Modelle wie der DT 770 Pro X oder der MMX 150 setzen zwar auf moderne Features und vermeintlich frisches Design, doch in Wahrheit offenbaren sich hier bereits erste Schritte hin zu vereinfachter Bauweise, geänderten Materialien und einem spürbaren Bruch mit der bisherigen Fertigungstradition in Heilbronn. Einzelne Bauteile und Komponenten stammen längst aus chinesischer Auftragsfertigung, was sich nicht nur akustisch, sondern auch in der Materialanmutung bemerkbar macht. Der Vorwurf liegt nahe, dass Beyerdynamic sich bereits vor der offiziellen Übernahme schrittweise in eine chi-fi-kompatible Marke transformiert hat.
Einige Beobachter zeigen sich dennoch vorsichtig optimistisch. Cosonic verfüge über große Ressourcen und Erfahrung in der Großserienfertigung, und unter der Voraussetzung, dass Beyerdynamics Entwicklungsteam erhalten bleibe, könnten Synergien entstehen, insbesondere im Bereich moderner Wireless-Technologien. Andere hingegen sehen in der Übernahme eher den letzten Schritt einer bereits länger anhaltenden Entwicklung: Der Wandel von einem Premiumhersteller zu einem beliebigen Markenträger mit chinesischer Lieferkette, bei dem Qualität, Eigenständigkeit und Kundenbindung zunehmend auf dem Altar der Kostenoptimierung geopfert werden.
Zahlreiche ehemals deutsche Traditionsmarken existieren heute nur noch als Markenfassade, während Entwicklung, Fertigung und strategische Führung vollständig in asiatischer Hand liegen. Namen wie Blaupunkt, Telefunken, Dual, AEG oder Grundig werden von Lizenzverwertern oder chinesischen Konzernen genutzt, um mit deutscher Markenoptik Vertrauen zu suggerieren, obwohl die Produkte überwiegend aus chinesischer Billigproduktion stammen. Selbst Hersteller wie Loewe, Metz oder Rollei wurden von asiatischen Investoren übernommen und zunehmend entkernt. Der Kunde wird dabei gezielt über die wahre Herkunft getäuscht, während nostalgische Markenidentitäten das Qualitätsversprechen vergangener Jahrzehnte nur noch vortäuschen.
Die Übernahme von Beyerdynamic durch Cosonic mag rein wirtschaftlich sinnvoll erscheinen, birgt aber das Risiko, dass eine der letzten unabhängigen Traditionsmarken im High-End-Audiosegment ihre technische Eigenständigkeit und kulturelle Identität verliert. Der Weg vom schwäbischen Mittelständler zum globalisierten Sub-Brand ist bereits geebnet und sicher nicht mehr umkehrbar. Schade drum.
Source: Gearspace.com, production-expert.com
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