Audio Audio/Peripherie Headsets Kopfhörer Testberichte

So muss Headset! Beyerdynamic MMX 300 der 2. Generation im Langzeit-Test | igorsLAB

Vom Piloten-Headset direkt in die Gaming-Hölle? Beyerdynamic macht es sich mit dem MMX 300 in der zweiten Generation nicht leicht, liefert aber im Gegenzug ein sehr solides Stück Technik ab, das seinen Preis auf jeden Fall wert ist. Passform, Sitz und Klang sind natürlich auch subjektiv, aber die Voraussetzungen ab Werk könnten besser kaum sein. Ich habe deshalb auch genauer hingesehen und hingehört.

Messung des Mikrofons

Kommen wir zunächst zum Mikrofon und dessen Qualität. Von der Charakteristik her ist es eine Niere, was seitliche und vor allem rückwärtige Geräusche minderst. Man muss allerdings aufpassen, in welche Richtung man das Schwanenhalsmikrofon ausrichtet. Aber das lässt sich auch durch den Pop-Schutz ertasten, denn die Front der eingesetzten Elektret-Kondensator-Mikrofonkapsel ist mit einem Gitter geschützt.

Der Low-Cut greift unterhalb der Oberbasses wirklich vorbildlich, wobei die Kurve ab ca. 80 Hz richtig steil abfällt. Gleiches gilt für den Hochton, denn ab ca. 8 KHz fällt auch hier die Kurve als steile Flanke ab ins Nichts. Das gefällt und ist auch kaum besser zu lösen. Die Empfindlichkeit reicht ebenfalls, sogar am Onboard-Sound.

Das Eigenrauschen wird wohl fast immer vom Rest der Übertragungskette übertroffen und somit nichts, was hörbar auffallen würde.

 

Messung des Kopfhörer-Frequenzverlaufs

Kommen wir nun zur Messung der Kopfhörer-Qualität. Ich habe den Frequenzverlauf wiederum bei 1 KHz auf 0 dB normiert, so dass man einerseits gut den Gesamtverlauf mit allen Zugaben und Frequenzabfällen bewerten kann und andererseits auch nicht ganz die Vergleichsmöglichkeit zu vorangegangenen Messungen verliert. Aber es ist trotzdem anders, weil ja die Glättung (1/1 Oktave) durch die nahezu ungeglättete Darstellung (1/24 Oktave) ergänzt wird. Das alles sieht dann natürlich deutlich „hibbeliger“ aus, passt aber auch wesentlich besser zur Realität. Denn eines ist auch klar: es gibt sie nicht, die ideale Kurve.

Die geglättete Kurve sieht wirklich gut aus und ist zwischen ca. 50 Hz und 4 KHz sogar annähernd linear (+/-3dB Toleranz). Der Bass ist bis 20 Hz (und darunter) noch gut mess- und hörbar. Was aber auffällt, ist der Beyer-typische Peak im Hochtonbereich. Um diesen zu verstehen, sollten wir aber besser die ungeglättete Kurve betrachten.

Die „Flatterhaftigkeit“ im Superhochton ist normal, allerdings sind hier gewisse Spitzen (absichtlich) ausgeprägter als bei anderen Headsets. Statt dumpfer Wiedergabe ist das MMX 300 im Hochton eher crispy, also partiell höhenbetont. Das trifft uns bei ca. 5.5 und später auch bei 8 bis 9 KHz, schiebt also Zischlaute (Sibilanten) und diverse Ausblasgeräusche von Instrumenten etwas nach vorn. Diese Spielart kann man mögen, muss es aber nicht. Doch dazu gleich mehr.

Kumulative Spektren (CSD und SFT)

Das kumulative Spektrum bezeichnet verschiedene Arten von Diagrammen, die Zeit-Frequenz-Eigenschaften des Signals zeigen. Sie werden durch die aufeinanderfolgende Anwendung der Fourier-Transformation und geeigneter Fenster auf überlappende Signalblöcke erzeugt. Diese Analysen basieren auf dem bereits oben dargestellten Frequenzgangdiagramm, enthalten aber zusätzlich noch das Element Zeit und zeigen nun als 3D-Grafik („Wasserfall“) sehr anschaulich, wie sich der Frequenzgang über die Zeit hin entwickelt, nachdem das Eingangssignal gestoppt wurde. Umgangssprachlich wird so etwas auch „ausklingen“ oder „ausschwingen“ genannt.

Normalerweise sollte der Treiber nach dem Wegfall des Eingangssignals ebenfalls möglichst schnell anhalten. Einige Frequenzen (oder sogar ganze Frequenzbereiche) werden jedoch immer langsam(er) abklingen und dann in diesem Diagramm als länger anhaltende Frequenzen auf der Zeitachse auch weiterhin erscheinen. Daran kann man gut erkennen, wo der Treiber eklatante Schwächen aufweist, vielleicht sogar besonders „scheppert“ oder wo im ungünstigsten Fall Resonanzen auftreten und das Gesamtbild stören könnten.

Zwei Arten eines kumulativen Spektrums werde ich nun testen:

Cumulative Spectral Decay (CSD)
Der kumulative spektrale Zerfall (CSD) verwendet die FFT und ein modifiziertes Rechteckfenster, um den spektralen Abfall der Impulsantwort zu analysieren. Es wird hauptsächlich zur Analyse der Lautsprecher-Antwort verwendet. Der CSD verwendet normalerweise nur eine kleine FFT-Blockverschiebung (2-10 Samples), um Resonanzen im gesamten Frequenzbereich besser sichtbar zu machen und ist somit ein nützliches Werkzeug zur Erkennung von Resonanzen des Wandlers.

Das Bild beim MMX300 ist gut bis sehr gut, aber leider nicht ganz perfekt. Man sieht sehr deutlich, dass im Bereich von ca. 800 Hz leichte Resonanzen bzw. Nachschwingungen auftreten. Das ließe sich sicher noch etwas stärker bedämpfen, fällt aber subjektiv später beim Hören kaum noch ins Gewicht. Bei ca. 5.5 KHz gibt es ebenfalls leichte Nachschwinger im „Beyer-Peak“, die aber nach ca. 1,5 ms ebenfalls Geschichte sind. Messbar ist das zwar, störend aber eher weniger.

Short-time Fourier Transform (STF)
Die Kurzzeit-Fourier-Transformation (STF) verwendet das FFT- und Hanning-Fenster, um das zeitlich variierende Spektrum der aufgezeichneten Signale zu analysieren. Hier nutzt man im Allgemeinen eine größere Blockverschiebung (1/4 bis 1/2 der FFT-Länge), um einen größeren Teil des zeitvariablen Signalspektrums zu analysieren, wobei man besonders den Einsatzgebieten wie Sprache und Musik näherkommt.

Im STF-Spektrum sehen wir nun auch sehr schön die eher ausgewogene Arbeit der Treiber, die sich in keinem Frequenzbereich echte Schwächen leisten. Wir sehen übrigens erneut, dass der Ton bei ca. 5.5. und 8 KHz, sowie auch knapp unterhalb von 18 KHz etwas länger „stehenbleibt“, was auch noch einmal für den Bereich knapp unter 1 KHz gilt. Damit produziert man im Fundament ein recht weiches und mit den kleinen, zackigen Hochtonpeitschen trotzdem auch knackiges Feeling, welches nicht nur aus Sicht eines Mainstream-Hörers gut gefallen kann.

Was als Resümee bleibt, ist ein gutes Einschwingverhalten, eine gute Performance und die Tatsache, dass man nur leichte Resonanzen vorfindet. Das ist für ein Gaming-Headset schon einmal keine schlechte Voraussetzung und man kann zudem sichergehen, dass auch Musik recht gut gelingen wird. Um abschätzen zu können, wie viel Verstärkerleistung man für eine echte Vollaussteuerung braucht, habe ich die nachfolgende Kurve eingefügt. Das MMX 300 benötig ca. 1 mW für 96 dB Schalldruck (SPL = Sound Pressure Level) bei 1 KHz.

Denn Eines ist ja auch klar: wir brauchen ja auch die Peak-SPL für eine gute Dynamikwiedergabe ohne Verzerrungen! Um z.B. die gern angepriesenen 115 dB (85 dB Durchschnitt + 30 dB Peak-Aufschlag) hinzubekommen, bräuchte man mit dem MMX 300 schon um die 70 mW, die der Onboard-Sound meist nicht liefern kann. Mehr dazu findet Ihr auch im Grundlagenartikel „Nachteile des Onboard-Sounds – Einfluss von Grafikkarte, Kopfhörerempfindlichkeit und Motherboardlayout „.

 

Subjektives Hörerlebnis

Testen wir nun auch subjektiv, was man im Original geboten bekommt. Ich habe das Headset übrigens fast 7 Monate immer mal wieder über einen ganzen Abend hin genutzt und vor diesem Test noch einmal 4 Tage im Messraum eingesperrt, sowie mit einem ausgewählten Sound-Loop gequält, um noch einmal Betriebsstunden zu schrubben. Was tut man nicht alles für unsere eingefleischten Einspielfanatiker unter den Lesern? 🙂

Basswiedergabe

Den Tiefstbass in der Subkontraoktave (16,4 Hz bis 32,7 Hz) testen mit einer Aufnahme von Bachs Toccata und Fuge D-Moll (19 und 25 Hz) sowie der Festival-Ouvertüre 1812 von Tschaikowsky (10 Hz und 12,5 Hz). Das gleiche gilt auch für die unteren Bereiche der Kontraoktave (32,7 bis 65,4 Hz). Die große Basstrommel (Kick Drum), die in der U-Musik ein gern gesehener Begleiter und meist auf ca. 55 bis 60 Hz abgestimmt ist, wird diese Beurteilung dann abrunden.

Der Bass ist voluminös, aber auch ohne zu überpacen, und spielt angenehm tief. Die Basstrommel steht sehr gut im Futter, aber es dröhnt nichts, sondern alles bleibt in der Summe ausgewogen, einigermaßen trocken und differenziert genug. Beim Gaming und in Filmen mit guter Effektspur werden z.B. Explosionen grandios abgebildet, ohne die Grenzen der Pegelfestigkeit zu sprengen. Reserven sind stets vorhanden. wobei die Angabe von 96dB bei einem mW Ausgangsleistung auch klarstellt, dass man hier deutlich mehr Leistung benötigt, um dieses Headset voll auszusteuern (siehe oben).

Der Oberbass bis 150 Hz, in dem auch die Große Oktave (65,4 bis 130,8 Hz) liegt, beherbergt die Sprachgrundfrequenz der männlichen Stimme und entscheidet sehr stark über die naturgetreue Wiedergabe männlicher Vocals.

Männlichen Vokals wirken sehr großvolumig, aber Gott sei Dank nicht dominant. Die Stimmen harmonieren sehr gut mit dem Gesamtbild und insgesamt wirkt das gesamte Fundament grundsolide, aber auch etwas langweilig. Bis hierher ist es ein eher strebsamer Geselle, der um keinen Preis der Welt auch nur irgendwie negativ auffallen möchte. Das kann man durchaus auch positiv sehen und werten.

Mitteltonbereich

Die unteren Mitten (auch Grundtonbereich) liegen bei ca. 150 bis 400 Hz. Zusammen mit dem bereits erwähnten Oberbass spielt dieser Bereich eine sehr wichtige Rolle für die subjektiv empfundene Wärme bzw. Fülle des Klangbildes. Die Sprachgrundfrequenz weiblicher Stimmen ist in diesem Bereich zu finden.

Weibliche Vocals klingen ebenfalls angenehm und satt. Sie harmonieren zudem absolut konfliktfrei mit den männlichen Vocals und bilden so ein sehr gut ausbalanciertes Gespann. Auch die Grundtöne vieler Instrumente fallen in diesen Bereich. Da ist das Headset sogar fast schon gnadenlos ehrlich, denn es wird alles das wiedergegeben, was auch nur irgendwie da ist. Genau diese Art Kontroll-Beflissenheit ist es aber auch, die beim Gaming nicht ungelegen kommt.

Die oberen Mitten zwischen 400 Hz bis etwa zwei KHz beinhalten bei einem KHz eine Marke, die immer noch als Referenz für viele Messungen gilt. Das merkt man leider auch oft bei günstigeren Geräten, da die Hersteller oft versuchen, gerade diese Frequenz etwas überzubetonen. Auch beim Gaming spielt dieser Bereich keine unbedeutende Rolle und eine ausgewogene Wiedergabe trägt nicht unwesentlich zu einer guten räumlichen Auflösung bei.

Die Tiefenstaffelung ist gut, was mich nicht wirklich überrascht, denn dieses Headset ist ja eigentlich eher ein Studio-Kopfhörer mit Mikrofon-Appendix. Das Headset zeigt, dass es nicht zu Unrecht oberhalb der 200-Euro-Marke nach Kunden fischt. Im Gegensatz zu so manchem Bling-Bling-Genossen, ist hier die monetäre Forderung auch durch echte klangliche Performance begründet und nicht nur durch vermeintliche Gaming-Optik. Die Auflösung ist jedenfalls brillant und alles wirkt auch schön luftig aneinandergereiht und nicht mal im Ansatz gepresst. Die oft vorzufindende Delle des Grauens sucht man hier jedenfalls vergebens.

Hochtonbereich

Zwischen zwei bis etwa 3,5 KHz ist das menschliche Gehör am empfindlichsten, zumal dieser Bereich der unteren Höhen für die gute Oberton-Wiedergabe der menschlichen Stimme zuständig ist. Dieser Frequenzbereich ist nämlich entscheidend für die Wiedererkennung einer Stimme oder eines Instrumentes; man spricht in diesem Zusammenhang auch von der jeweiligen Klangfarbe.

Beyerdynamic entscheidet sich gegen eine sonst übliche Überbetonung und setzt stattdessen auf die guten Gene der verbauten Treiber und deren Abstimmung. Es reicht für eine sehr gute und breite Bühne, sowie eine vorzügliche Ortung einzelner Quellen, auch wenn die Pegel stellenweise hoch sind und so manches Detail sonst unterzugehen drohte. Das MMX 300 schafft es, das gesamte Klangmaterial vor dem Ertrinken zu retten und über Wasser zu halten. Auch das muss erst einmal geschafft werden.

Die mittleren Höhen (3,5 bis sechs KHz) entscheiden über das Ge- oder Misslingen der Sprachwiedergabe als Gesamtbild, denn die S- und Zischlaute (Sibilanten) fallen in diesen Bereich. Die oberen Höhen reichen dann bis ca. zehn KHz, um in den Superhochton überzugehen.

Die Hochton-Auslegung ist ab ca. 5 KHz eher Interpretations- und Gewöhnungssache. Die bereits angesprochenen Hochton-Peaks sind nicht ohne Charme, könnten aber schwache Gemüter auch schnell mal überfordern. Sibilanten kommen sehr deutlich, aber ohne gleich alles ins Metallische abgleiten zu lassen. Dazu ist der Peak zu spitz und schmal. Das gilt auch für den Bereich zwischen 8 und 9 KHz. Das sind zwei sehr konträre kleine Eiskristalle als Gegenpol zur fast schon zu warmen Wohlfühl-Wohnstube.

 

Zusammenfassung und Fazit

Lassen wir mal den sicher auch berechtigten Preis beiseite und konzentrieren uns auf das Wesentliche, dann hat das Beyerdynamic MMX 300 in der zweiten Generation noch einmal schön zulegen zu können. Und dies ohne irgendwelchen übertriebenen Aktionismus, der auf Teufel komm raus mit allem Alten und Gewohnten bricht. Nein, es ist eine ordentliche Verbesserung etwas bereits sehr Guten. Das muss man neidlos zugestehen.

Headsets sind klanglich natürlich immer eine sehr subjektive Interpretationssache, aber das MMX 300 polarisiert nicht, sondern kann eigentlich fast jedem Gefallen, der auch den Willen aufbringt, sich einmal gründlich einzuhören. Mit Oberflächlichkeit kommt man da sicher erst einmal nicht weiter, aber wenn man nur etwas Geduld aufbringt, gefallen einem am Ende auch solche Peak-Geschichten, die eine schöne Eigenwilligkeit des sonst so unspektakulären Klanggefüges darstellen.

Was auch gefällt, ist der tadellose Sitz. Das Teil ist faktisch der perfekte Maßanzug für fast jede Kopfform und -Größe, auch wenn das Gewicht schon recht ordentlich ist. Doch die guten und vor allem auch entlüfteten Polster kompensieren fast alles, was sonst zu Druck und Schweiß führen könnten. Nachkaufen kann man sie auch, aber erst einmal hilft auch Waschen, denn sie sind abnehmbar. Das gilt auch für die Polsterung des Kopfbandes. Der Rest ist eher unspektakulär, aber auch das kann man positiv sehen.

Das Beyerdynamic MMX 300 ist in der 2. Generation genau das, was man als Kauftipp ohne schlechtes Gewissen auch fast jedem empfehlen kann: ein solides Stück Technik, dessen Langlebigkeit samt des Services und der Ersatzteilverfügbarkeit auch den etwas höheren Anschaffungspreis rechtfertigt. Denn man kann sehr lange sehr viel Spaß dranhaben. Es ist quasi der etwas teurere Dauerlutscher, der aber auch dann noch existiert, wenn der kleine und billige Drops längst gelutscht ist.

 

Danke für die Spende



Du fandest, der Beitrag war interessant und möchtest uns unterstützen? Klasse!

Hier erfährst Du, wie: Hier spenden.

Hier kannst Du per PayPal spenden.

About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

Folge Igor auf:
YouTube   Facebook    Instagram Twitter

Werbung

Werbung