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Shin Etsu MicroSi X-23-8195-4 Wärmeleitpaste im Test – In China-Tests gehypt und in der Realität gelandet

Analyse der Materialbasis

Bevor thermische Kennwerte in ihrer isolierten Form bewertet werden können, ist eine präzise Einordnung der Materialbasis notwendig. Denn Wärmeleitfähigkeit allein sagt wenig über Applizierbarkeit, Alterungsverhalten oder Grenzflächenstabilität aus, solange nicht bekannt ist, was sich in der Paste befindet und wie es sich unter mechanischer oder thermischer Belastung verhält. Die hier analysierte Wärmeleitpaste wurde daher umfassend charakterisiert – nicht nur im Hinblick auf ihre Fließeigenschaften, sondern auch hinsichtlich der inneren Struktur und Zusammensetzung. Die Bewertung stützt sich auf mehrere methodisch kombinierte Ansätze, die nun Absatzweise abgehandelt werden.

Die Bewertung stützt sich auf mikroskopische Streiflicht- und Abrissbilder, um das rheologische Verhalten beim Verstreichen und die Homogenität der Partikelverteilung zu beurteilen und welche die vertikale Schichtstruktur, eventuelle Sedimentation und Füllstoffdichte sichtbar machen, auf eine quantitative Partikelgrößenvermessung, um Rückschlüsse auf die mechanische Kompressibilität und Packungseffizienz zu ziehen, sowie auf eine LIBS-gestützte Elementaranalyse, die Aufschluss über die chemische Zusammensetzung gibt, insbesondere über Art und Anteil der funktionalen Füllstoffe sowie der Matrixkomponenten. Erst wenn Klarheit über Morphologie, chemische Identität und Fließverhalten besteht, lassen sich Messwerte zur Wärmeleitfähigkeit oder thermischem Widerstand sinnvoll einordnen. Genau mit dieser Herangehensweise beginnen wir nun.

Fließverhalten und Verarbeitung

Die Paste zeigt im Streiflichtbild ein charakteristisches Abrissverhalten mit Inselbildung und filamentösen Strukturen beim Verstreichen. Diese Muster deuten auf eine mittelviskose, thixotrop eingestellte Rheologie hin, wie sie für hochgefüllte, silikonbasierte Systeme üblich ist.

Die Viskosität erlaubt eine kontrollierte Applikation ohne sofortiges Zerfließen, erfordert jedoch einen mechanischen Beitrag (z. B. Aufpressen oder Rakeln), um eine homogene Schichtverteilung ohne Lufteinschlüsse zu erzielen. Die Formulierung ist somit für strukturierte oder leicht unebene Kontaktflächen geeignet, solange eine definierte Verpressung gewährleistet wird. 

Die Partikel liegen überwiegend im Bereich von 5 bis 12 µm und weisen eine sphärische bis leicht elliptische Form auf. Diese Morphologie spricht für schmelzbasierte Herstellverfahren wie Gasverdüsung (bei metallischen Phasen) oder Flammensynthese (bei oxidischen Füllstoffen). Die nahezu isotrope Geometrie ermöglicht eine effiziente Packung ohne signifikante interpartikuläre Reibung und unterstützt ein gleichmäßiges Einschwingverhalten der Paste unter Druck.

Die Aufnahmen ohne Laser-Abtrag der obersten schicht zeigen eine gleichmäßige Verteilung der Füllstoffe ohne erkennbare Agglomerationen, Sedimentationszonen oder strukturelle Gradienten. Die homogene Einbettung sowohl der mikroskaligen als auch der nanoskaligen Partikel spricht für eine geeignete Dispergiertechnik während der Herstellung. Die thixotrope Rückstellung der Paste verhindert eine Entmischung während des Applikationszeitraums und sorgt für langfristige strukturelle Stabilität.

Die Komprimierbarkeit auf eine minimale Schichtdicke von 16 µm ist angesichts der Partikeldimensionen mechanisch unkritisch. Das Bestreben, Wärmeleitpasten auf möglichst geringe Bond Line Thickness (BLT, also Schichtdicke) zu optimieren, ist (marketing)technisch nachvollziehbar, da der thermische Kontaktwiderstand maßgeblich vom Verhältnis zwischen Wärmeleitfähigkeit (λ) und Schichtdicke (d) abhängt. Jedoch existiert eine physikalisch-technische Untergrenze, ab der weitere Reduktion der Schichtdicke nicht mehr zu einer verbesserten Wärmeübertragung führt – oder sogar kontraproduktiv sein kann. Im Bereich unterhalb von etwa 15 µm treten dabei bei den üblichen Körnungsgrößen (2 bis 10 µm) mehrere limitierende Effekte auf, die sowohl materialphysikalischer als auch prozesstechnischer Natur sind.

Eine Ziel-BLT unterhalb von 15 µm würde bei dieser Paste un den Körnungen bedeuten, dass sich in der vertikalen Achse nur noch eine bis maximal zwei Partikelschichten ausbilden können. Dies führt zum Verlust an mechanischer Stabilität, denn einzelne größere Partikel oder leichte Agglomerate erzeugen punktuelle Überhöhungen und wirken wie Stützpunkte. Dies führt zu lokaler Überkompression oder Inhomogenität der Kontaktfläche. Dazu kommt ein potentieller Perkolationsverlust: Bei zu geringer vertikaler Schichtdicke können sich die Partikelkontakte entnetzen, wodurch durchgängige Wärmeleitpfade unterbrochen werden.

Eine Reduktion der Bond Line Thickness unter 15 µm führt in den meisten praxisrelevanten Fällen auf Dauer zu einem Anstieg des effektiven thermischen Widerstands, nicht zu dessen Reduktion. Ursache sind mechanisch-physikalische Grenzen durch Partikelgröße, Elastizität der Matrix und eingeschränkte Flächenanpassung. Die Viskoelastizität spielt dabei eine doppelte Rolle: Sie verhindert Sedimentation und stabilisiert das Material langfristig, limitiert aber zugleich die Fähigkeit zur vollständigen Spaltausfüllung in extrem dünnen Schichten. Eine optimale BLT für wärmeleitfähige Pasten mit sphärischer Füllstofffraktion und polymerer Matrix liegt laut Indistrie typischerweise im Bereich von 20 bis 50 µm, abhängig vom verwendeten Partikelsystem und der Oberflächenqualität der Kontaktpartner.

Chemische Zusammensetzung (LIBS-Analyse)

Die LIBS-Auswertung belegt ein hybrides Füllstoffsystem mit folgenden Hauptbestandteilen: Aluminium (41,2 Gew.-%) in Kombination mit Sauerstoff (25,1 %) weist eindeutig auf den Einsatz von Aluminiumoxid (Al₂O₃) hin. Diese keramische Phase ist elektrisch isolierend, chemisch stabil und thermisch leistungsfähig. Zink (7,8 %) liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit vollständig als Zinkoxid (ZnO) vor. Da entsprechende Partikel im optischen Schnittbild nicht eindeutig aufgelöst werden, ist von einer nanopartikulären Dispersion auszugehen. 

Die ZnO-Nanopartikel füllen Zwischenräume im mikroskaligen Füllstoffgerüst und tragen zur Perkolationsvernetzung der Wärmeleitpfade bei.Silizium (11,4 %), Kohlenstoff (11,7 %) und Wasserstoff (2,8 %) sind der Polymermatrix zuzurechnen. Es handelt sich um ein silikonbasiertes Bindemittel, wie es für thermisch stabile, elektrisch isolierende Systeme im Elektronikbereich typisch ist. In Summe ergibt sich eine funktional abgestimmte Kombination aus sphärischen Aluminiumoxidpartikeln und fein verteilten ZnO-Nanopartikeln in einer thermisch beständigen silikonhaltigen Matrix.

Kommentar

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konkretor

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381 Kommentare 405 Likes

Vielleicht kommt ja der Hype daher, wer vorher was schrottiges hatte und nun mal was besseres benutzt, den Unterschied merkt 😅

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Midnight Angel

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Hui, eine recht gute Paste mit etwas niedriger Viskosität, also leichter zu verarbeiten...

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D
Daniel#

Veteran

260 Kommentare 89 Likes

Der Preis für die Paste bei moddiy ist aber sehr hoch. 3g für >23€ wenn man 1 Stück bestellt.
Eine grobe Einstufung der Preis/Leistung und der Verfügbarkeit für den Privatkunden wäre vielleicht ganz gut für die Datenbank.
Hier werden durchaus öfter Exoten bzw. sehr teure Pasten getestet.

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M
Mudsee

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83 Kommentare 60 Likes

Nun der Preis wundert mich nicht, denn so im Handel ist sie wohl nicht zu bekommen. Den ein anbieter ist ja nichts und der wird es sich wohl nicht nehmen lassen, kasse zu machen. Vor allem wenn sie gerade gehypt wird.

Ansonsten ist sie an sich unspektaluär, Eine solide Arbeitspaste wo aber wenn man nicht auf das letzte Crad es abgesehen hat, und alle 4 Wochen den Rechner umbaut usw, ruhig ihren Dienst macht.

Eigendlich sogesehen in meinen Augen die richtige Paste für die meisten PCs.

Ich finde es schade bzw auch frustierend das es so viele Pasten gibt sie zwar tolle werte aufzeigen aber halt fix abbauen und dann wenn doof läuft schäden verursachen. Und diese Gibt es so viele Im Einzelhandel, aber solide Pasten sind da echt rar bzw gar nicht erhältlich.

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O
OCmylife

Neuling

6 Kommentare 4 Likes

Danke für den Test Igor. Nachdem ich auf meinem 14900K gute Erfahrungen mit der Shin-Etsu sammeln konnte, habe ich die KOLD auf der 4080 Super gestern auch gegen die Shin-Etsu getauscht. Ich bin auch hier wirklich zufrieden.

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Härle'sBöckle

Veteran

378 Kommentare 268 Likes

Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass die Einschätzung auf Seite 2 (z.B. zur minimale Schichtdicke) und Seite 4 ausführlicher ausgefallen sind (y). Auch für den Laien verständlich erklärt.

Der Preis ist happig. Mein Favorit bleibt weiterhin die TC-5550.

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R
Rooter

Veteran

233 Kommentare 84 Likes

Mit der Haltbarkeit und leichten Verarbeitung ist das eine ordentliche Paste. Angeblich wurde die speziell für Server entwickelt. Wegen der Haltbarkeit und leichten Verarbeitung oder warum?

Das ist ein starker Kontrast zur X-23-7921-5, die trotz der enormen Viskosität auch nicht besser lief. Sogar den W/m·K Wert hat Shin-Etsu ehrlich angegeben. Vielleicht geht sie in der Praxis noch ein wenig besser, siehe TC-5550. Ob ich die selber ausprobiere, weiß ich noch nicht. Ich könnte die immerhin mit der 8117 vergleichen.

Ob man von Hype sprechen kann, weiß ich nicht. Das sind Tests von 2-3 Accounts gewesen. Insgesamt gibt es sehr wenig zur 8195 (oder auch 8225). Bei Pasten von größeren Herstellern wird man schnell hellhörig. Shin-Etsu sollte mal ihre Webseite aktuell halten, weil deren neuesten Pasten nie zu finden sind. Die neueren tauchen zuerst bei irgendwelchen China Händlern auf. Wenn man Glück hat, werden solche Pasten dann später bei Moddiy angeboten. Ansonsten wird es schwer ranzukommen.

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Igor Wallossek

1

12,235 Kommentare 24,262 Likes

Das war auch der Sinn dahinter. Ich muss ja immer viele Mails und Nachfragen beantworten, was in der Summe dann meist aufwändiger ist :D
Eine Schlumperpaste muss man nicht verbal beweihräuchern, aber wenn etwas was taugt, muss man es auch erklären, warum :D

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R
RazielNoir

Urgestein

657 Kommentare 305 Likes

Eigentlich genau das richtige für die Renovierung/Aktualisierung eines günstig gebraucht gekaufen Certon Systems Integrita C4.
Passivkühllösung a'la Streacom/HDPlex/HFX übers Gehäuse. Den schraub ich genau 2x auf: Einmal um Bestandsaufnahme zu machen, 1x um zu Renovieren/upzugraden. Dann Daphile drauf statt dem Proprietären OS und wieder Ruhe für die nächsten 10 Jahre.

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R
Rooter

Veteran

233 Kommentare 84 Likes

Zum Thema " entwickelt für Server" habe ich tatsächlich ein aktuelles Beispiel gefunden.

Granite Rapids AP Shin-Etsu X-23-8195-4 Pre-Printed: https://www.dynatron.co/product-page/cp-7529al

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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