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Shin Etsu MicroSi X-23-7921-5, X-23-7783D und G7762 Wärmeleitpaste im Test – Große Partikel für große Zahlen und große Probleme

Heute teste ich die Shin Etsu MicroSi X-23-7921-5 , die MicroSi X-23-7783D und die die MicroSi G7762. Mein Dank geht hier mal wieder an die Community für die nette Beschaffung. Alle drei Pasten sind eigentlich gar nicht so schlecht, aber sie zeigen das typische Problem, wenn der Hersteller versucht, tolle Werte zu generieren. Deshalb nehme ich das Ganze heute einmal exemplarisch als Beleg dafür, dass die Realität durchaus eine andere ist, wenn man GPUs oder auch CPUs möglichst gut kühlen möchte.

Problemstellung und Erklärung

Wärmeleitpasten mit nominell hohen Wärmeleitfähigkeiten verwenden häufig große Wärmeleitpartikel, wie zum Beispiel Aluminiumoxid. Diese Partikel sind in ihrer Leitfähigkeit oft den feineren Varianten überlegen, jedoch entstehen durch ihre physikalischen Eigenschaften auch spezifische Nachteile, insbesondere bei Anwendungen auf flachen und empfindlichen Oberflächen wie denen von CPUs und GPUs. Ein zentraler Aspekt ist die dabei sogenannte „Bond Line Thickness“ (BLT), also die effektive Schichtdicke der Wärmeleitpaste zwischen dem Heatspreader (IHS) und dem Kühlerboden.

Diese sollte im Idealfall möglichst gering ausfallen, um den Wärmeübergangswiderstand zu minimieren. Große Partikel verhindern jedoch oft, dass eine ausreichend dünne Schicht erreicht wird, da sie eine bestimmte Mindestdicke erzwingen: Sie agieren gewissermaßen als Abstandshalter. Selbst bei hohem Anpressdruck verbleibt häufig eine Schichtdicke von deutlich über 25 µm, was bereits zu einer signifikanten Verschlechterung der thermischen Leistung führen kann.

Hinzu kommt, dass hohe mechanische Drücke erforderlich sind, um überhaupt eine annähernd geringe BLT zu erreichen. Das kann insbesondere bei empfindlichen Strukturen wie bei vielen modernen GPUs problematisch sein. Diese besitzen oft ungeschützte Dies oder sehr asymmetrische Kühllösungen, bei denen eine zu hohe Kraft zu Spannungen oder gar zu physikalischen Schäden führen kann. Selbst bei CPUs mit IHS kann ein hoher Anpressdruck zu mechanischen Verformungen des Substrats oder zu Mikrorissen im Lot unter dem Die führen, insbesondere bei wiederholter Montage.

Ein weiteres Problem ist die gleichmäßige Verteilung solcher Pasten. Große Partikel neigen dazu, sich beim Auftragen oder unter Druck ungleichmäßig zu verteilen, was zu lokalen Dickenschwankungen und Lufteinschlüssen führen kann. Letztere wirken stark wärmeisolierend und verschlechtern das thermische Verhalten zusätzlich, selbst wenn die Paste an sich einen hohen nominellen Leitwert besitzt. Im Vergleich dazu schneiden Pasten mit feineren Partikeln und besserer Dispergierung oft trotz niedrigerem theoretischem Wärmeleitwert in der Praxis besser ab, da sie eine dünnere, homogenere und mechanisch verträglichere Schicht erlauben. Die effektive Wärmeleitfähigkeit im realen Kontakt ist daher oft höher, obwohl der Materialwert der Paste selbst geringer ist.

Ich will damit heute natürlich auch zeigen, dass eine rein auf die nominale Wärmeleitfähigkeit bezogene Bewertung von Wärmeleitpasten zu kurz greift. Die Partikelgröße, die resultierende minimal mögliche BLT und die mechanischen Anforderungen an die Anwendung spielen eine zentrale Rolle und können selbst bei theoretisch exzellenten Pasten in der Praxis zu suboptimalen Ergebnissen führen. Genau darum geht es heute auch.

Shin Etsu MicroSi X-23-7921-5, MicroSi X-23-7783D und die MicroSi G7762

Die X-23-7921-5 weist eine Viskosität von 360 Pascal-Sekunden bei 25 °C auf und besitzt eine spezifische Dichte von 2,8. Ihre Wärmeleitfähigkeit beträgt 6,0 W/m·K, und der thermische Widerstand liegt bei 5,0 mm²·K/W. Bei einem Anpressdruck von 20 psi erreicht sie eine Schichtdicke (Bond Line Thickness, BLT) von 25 µm. Diese Paste eignet sich besonders für Anwendungen, bei denen eine dünne Schicht und ein niedriger thermischer Widerstand erforderlich sind.

Die X-23-7783D hingegen hat eine geringere Viskosität von 200 Pa·s bei 25 °C und eine spezifische Dichte von 2,6. Auch sie bietet eine Wärmeleitfähigkeit von 6,0 W/m·K, jedoch liegt ihr thermischer Widerstand bei 7,3 mm²·K/W. Die BLT beträgt hier 25 µm bei 20 psi. Aufgrund der niedrigeren Viskosität lässt sich diese Paste leichter auftragen, was sie für Anwendungen prädestiniert, bei denen eine einfache Applikation im Vordergrund steht.

Bezüglich der G7762 sind spezifische technische Daten weniger zugänglich. Sie wird jedoch häufig in der Servertechnologie eingesetzt, was auf ihre Eignung für Anwendungen mit hohen thermischen Anforderungen hindeutet.

Generell gilt aber: Werden in einer Wärmeleitpaste übermäßig große Partikel eingesetzt, so wie hier bei allen drei Pasten, dann ergeben sich daraus mehrere ungünstige physikalische Effekte, die den thermischen Übergang zwischen dem zu kühlenden Halbleiterbauteil (z. B. einer CPU oder GPU) und dem Kühlkörper beeinträchtigen. Im Wesentlichen ist dies auf die Geometrie der Partikel, ihre Interaktion mit der Matrix der Paste und die mechanische Beschaffenheit der Grenzflächen zurückzuführen. Zunächst bewirken große Partikel eine Erhöhung der minimal erreichbaren Schichtdicke (Bond Line Thickness, BLT).

Da ein Partikel mit beispielsweise 15 µm Durchmesser nicht vollständig komprimierbar ist, bleibt selbst unter erheblichem Anpressdruck eine Mindestschicht erhalten, die durch den größten Partikeldurchmesser bestimmt wird. Die effektive thermische Leitfähigkeit des Systems sinkt dadurch, da die Wärme über eine größere Distanz durch ein heterogenes Material transportiert werden muss. Diese Schicht enthält nicht nur die hochleitfähigen Feststoffpartikel, sondern auch die umgebende Matrix, die vergleichsweise schlecht leitet. Doch was heißt das dann in unserer Praxis?

Test-Setup und Methoden Materialanalyse und Mikroskopie Grundlagenwissen
Hier erfahrt Ihr, warum effektive Wärmeleitfähigkeit und Bulk-Wärmeleitfähigkeit in der Praxis komplett unterschiedlich sein können, welche Rolle der Kontaktwiderstand zwischen den Flächen und der Paste spielt und wie man Wärmeleitpaste exakt messen kann. Dazu gibt es die genaue Beschreibung des Equipments, der Methodik und der Fehlertoleranzen. Ihr erfahrt hier, wie die Laser-induzierte Plasmaspektroskopie funktioniert und mit welchen Vorteilen und auch Einschränken man bei den Messungen leben muss. Dazu gibt es eine hochauflösende Digitalmikroskopie und die Analyse der Partikelgrößen. Diese Informationen dienen auch der Abschätzung der Langzeitkonstanz eine Paste. Wer schon immer einmal wissen wollte, was in so einer Paste drin ist bzw. was nicht und wie man diese Pasten herstellt, der wird hier noch einmal fündig. Der Grundlagenartikel dient zum besseren Verständnis dessen, was oft für viel zu viel Geld und mit manchmal auch abenteuerlichen Versprechen wirklich verkauft wird.

 

Kommentar

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DrDre

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Interessanter Artikel, danke Igor!
Habe hier noch ne kleine Tube (0,5g) der G7762 liegen.
Glaube ich probiere die mal gegen die orangene X Kappe.

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L
Legostein

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Danke für den aussagekräftigen Test!

Ein aufschlussreiches Merkmal möchte ich dabei hervorheben, und zwar die Problematik, dass Hersteller geneigt sind, "tolle Werte zu generieren", um sich scheinbar von der Konkurrenz abzuheben, wohingegen "die Realität durchaus eine andere ist, wenn man GPUs oder auch CPUs möglichst gut kühlen möchte" (zitiert nach Igor).
Im Verlauf der hier seit etwa einem Jahr laufenden Testserie hat Igor auch Produkte begutachtet, die bewußt auf Marketinglyrik verzichten, sehr brauchbare Eigenschaften aufweisen und auch ohne Verrenkungen kaufbar sind. Diesen Herstellern sollte der Konsument den Vorzug geben und den geschwätzigen Rest meiden.

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e
eastcoast_pete

Urgestein

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Und bei Pasten mit vielen großen Al2O3 Partikeln (über 15 um) denke ich schon an Schmirgelpasten. Denn Carborund wird schließlich auch dafür benutzt, und ist so hart, daß es auch Hartstahl problemlos abschmirgelt.
@Igor Wallossek : Danke für die wie immer sehr differenzierte Darlegung der Gründe, warum die chemische Zusammensetzung nur eine der wichtigen Kriterien für eine auch in der Praxis gut performante Paste ist.

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R
Rooter

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7921-5 hatte mir auch nicht gefallen, das ist Betonpaste. Deutlich geschmeidiger ist die Shin-Etsu X-23-8117, dabei lag die ein halbes Grad unter der 7921-5 bei mir im Test. Jetzt bei der neuen X-23-8195 scheint es auch andersrum zu sein. Zwar auf dem Papier ein geringer bulk Wert, aber dafür eine geringere Mindestschichtstärke und Widerstand.

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Pictus

Neuling

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(Mit Google Übersetzer)
Tolle Bewertung! Danke!!

Root, ich mag und benutze den 7921 immer noch, aber es ist Zeit, ihn auszumustern ... :(
Ich finde den 7921 am „konkretesten“ von allen, deshalb mag ich ihn! :)
Erhitzen Sie den 7921, um ihn aufzuweichen und richtig aufzutragen.
Der 7921 ist allerdings alt, von ca. 2007(?).
Der 8117 ist besser und die neueste Formel von Shin-Etsu aus von ca 2021(?).
Für GPUs mag ich den Honeywell ptm7950.

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Igor Wallossek

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For translation please use deepl.com. It’s a lot better 😉

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Rooter

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Shin-Etsu X-23-8195 ist neuer. Soll angeblich besser sein als die TC-5888.

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Igor Wallossek

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Die TC-5888 ist aber de facto schon EOL. Ersetzt durch die deutlich haltbarere 5550 und 5960.

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Rooter

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Die sind noch nicht so verbreitet. Die Performance soll auch besser sein....wird behauptet. So viel besser ist allerdings eher zweifelhaft, dann wäre es die neue Wunderpaste.

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Igor Wallossek

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Bisher holen die ganzen Shin Etsu Pasten die Performance allein über die Partikelgröße, so, wie die TFX auch. Nur sind diese Pasten mit >= 25 µm minimale Schichtstärke nie im Leben besser, also die DOWSIL mit <= 18 µm. Da träumen die nur davon. Und die Bilder zeigen einen komplett zweckfremden Pastenauftrag. Viel zu dick. Mich hat auch schon die fehlerhafte W/mK Angabe der getesteten Pasten gestört.

Die Daten zur neuen Paste sind für eine dünnflüssige Plörre plausibel, nur wird das nicht halten. Deren Testaufbau ist wirklich unzweckmäßig.

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Rooter

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Bei der 8195 gehen sie einen anderen Weg.

Die Shin-Etsu X-23-8117 ist noch dünnflüssiger beim Verarbeiten wenn ich die specs vergleiche. Die würde ich nicht als dünne plörre bezeichnen, eher so im Bereich einer TC-5550. Ohne den Direktvergleich jetzt gemacht zu haben, rein aus meiner Erinnerung der beiden Pasten. Das ist übrigens die offizielle Paste vom Framework. Aber die lag immer 2 Grad hinter den besten bei mir. Für eine Shin-Etsu X-23-8195 wäre noch Luft nach oben. Vielleicht kaufe ich mir die später im Sommer irgendwann.

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Igor Wallossek

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Ich hatte Shin Etsu angeschrieben, aber null Reaktion 🙄

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Rooter

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Die sind bei Moddiy verfügbar. Ich hatte damals jeweils zwei Dowsil und Shin-Etsu Pasten problemlos von denen bestellt.

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Rooter

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Hier ein Verstreichtest der 8195= https://www.bilibili.com/video/BV1JtBuYFE58/?spm_id_from=333.337.search-card.all.click

Eher so mittelviskos, oder? Mit einer 7921 wäre das undenkbar. Zweites Verstreichvideo bei 8:30 hier

Und hier noch ein Temperaturtest: https://www.bilibili.com/video/BV1PXPeegEbg/?spm_id_from=333.337.search-card.all.click

1. dm9
Avg 75.67 Max80

2. ptm7950
Avg 75.58 Max78

3. x-23-8225
Avg 77.52 Max 81

4. x-23-8195-4
Avg 74.04 Max 76

edit: Noch ein Test gefunden: https://www.bilibili.com/video/BV1ESBJYREPM/

Ergebnisse im Anhang. Wunderpaste?

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Igor Wallossek

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Wie kommt man da ran?

BTW: ich baue nächste Woche den TIMA um, neue Teile für noch mehr Genauigkeit. 😎

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Rooter

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Die gibt es seit ca einer Woche bei moddiy: https://www.moddiy.com/products/Shin-Etsu-MicroSi-Thermal-Interface-Material-X23-8195-4.html

Das ist mit Abstand die teuerste Shin-Etsu, aber auch die neueste.

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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