Der 12VHPWR-Stecker mit und ohne Sense-Pins
Zunächst werfen wir einmal einen Blick auf die neuen Stecker für die externe Stromversorgung (Auxiliary Power), den man auch als 12VHPWR Anschluss bezeichnet. Über den 12+4 Pin Stecker hatte ich ja bereits vor Monaten ausführlich berichtet, aber es gibt auch einen „normalen“ 12-Pin ohne die 4 Sense-Pins, wie er auf der GeForce RTX 3090 Ti verwendet wird und der auch bis zu 600 Watt liefern kann. Hier darf man sich nicht täuschen lassen, dass auf den Karten meist bereits eine 12-4 Pin Buchse verbaut wurde (wegen der späteren Netzteilkompatibilität). Der passende Stecker der Adapter auf 3x 6+2 Pin ist nur ein 12-Pin Stecker ohne Sense-Pins und die 4 Sense-Pins an der GeForce 3090 Ti sind nicht angeschlossen. Aber eines haben beide Anschlüsse gemeinsam, denn sie definieren aktuell auch die Grafikkarten mit mehr als 300 und bis zu 600 Watt Leistungsaufnahme.
Bei der von mir getesteten MSI RTX 3090 Ti ist bereits eine 12+4 12VHPWR-Buchse verlötet und partiell auch mit den zwei mittleren Sense-Pins verschaltet. Der gelb markierte Pin S2 ist für CARD_CBL_PRES# (Kabel angeschlossen) und der rot markierte Pin S3 ist für Sense 0, wobei in diesem Fall nur dann 600 Watt spezifiziert sind, wenn der Pin gegen Masse (ground) geführt wird. Doch ist er das eigentlich?
Der Leiterzug endet interessanterweise nicht direkt auf Masse (wie vermutet), sondern an einem vorbereiteten, jedoch nicht bestückten Power Jumper (PJP 1) auf der Oberseite des PCB. Folgt man den Specs der PCI SIG für PCIe 5.0, dann sind hier somit eigentlich nur 450 Watt freigegeben. Die Karte schluckt jedoch bis zu 500 Watt, würde die Norm also um 50 Watt permanent überschreiten. Jetzt könnte man sich natürlich die Gegenfrage stellen, was eigentlich passiert, wenn man in zwei Jahren diese Karte dann an ein spezifiziertes Netzteil anschließt, dass die Grafikkarte nur noch als 450-Watt-Modell erkennen könnte. Wobei der Pin 1 für CARD_PWR_STABLE auch nicht belegt ist, so dass eine smarte Kommunikation mit einem Netzteil über das Power Budget gar nicht möglich wäre. So richtig endgültig ist der aktuelle Zustand also nicht, was wiederum eher auf die bereits so oft erwähnte Spielwiese hindeutet.
Grafikarten mit 300 bis 600 Watt: neue Toleranzbereiche für Lastspitzen und die Ratio
Das wichtigste bei der aktuellen Normierung bis zu 600 Watt ist erst einmal die sogenannte Combined Power, die genau festlegt, dass in der Summe von externer PCIe-Stromversorgung (Aux) und dem PCIe-Motherboardslot (PEG) nicht mehr als 600 Watt als durchschnittliche Dauerlast abgerufen werden dürfen. Da spielt es auch keine Rolle, welche Schiene wie viel Leistung im Einzelnen liefert und das bisher übliche Addieren der Teilwerte aller Rails ist obsolet.
Außerdem gelten diese nachfolgend aufgeführten und von NVIDIA und AMD zusammen eingeforderten Normen nur für die Grafikkarten in den Bereichen von 300 bis 600 Watt, die Bereiche darunter verbleiben wie gehabt. Dass Intel hier aktuell schweigt, kann natürlich auch den Grund haben, dass man dort gar keinen Grund sieht, sich über diese Lastbereiche überhaupt Gedanken machen zu müssen, weil die neue Arc-Generation darunter liegt. Ich werde in einem späteren Artikel auch noch auf das PCI Power Management und die Power Budgetierung eingehen, aber würde hier erst einmal zu weit führen, zumal es offiziell noch keine wirklich passenden Netzteile gibt. Um die weiteren Ausführungen zu verstehen, müssen wir jedoch noch drei Begriffe klären bzw. richtig stellen, die im weiteren Verlauf immer wieder verwendet werden. Dann klappts auch mit den Spannungsspitzen.
- Dauerleistung (Sustained Power) – Durchschnittliche Leistung in einem Zeitrahmen von 1 Sekunde oder mehr
- TDP – Thermal Design Power ist die maximale Dauerleistung
- Leistungsüberschreitung (Power Excursion) – Ein vorübergehender Zustand, in dem die Leistung die maximale Dauerleistung überschreitet
Im Allgemeinen kann man TDP und Sustained Power gleichsetzen, so dass ich hier in den folgenden generell den Begriff Sustained Power verwenden werde. Ich hatte es ja auch der ersten Seite schon erwähnt, dass man in den einzelnen Überlastbereichen für verschiedene Zeit-Intervalle auch unterschiedliche Leistungen definiert. Da dies im Bereich zwischen 300 und 600 Watt für alle Grafikkarten unabhängig von deren Sustained Power (auch TBP bei NVIDIA bzw. TDP bei AMD) gilt, kann man nicht mit absoluten Wattzahlen arbeiten, sondern muss ein Verhältnis (Ratio) zwischen der im jeweiligen Intervall gemessen Durchschnittslast zur Sustained Power definieren.
Das nachfolgende Diagramm zeigt nun sehr deutlich, wohin die Reise für die einzelnen Intervalle geht. Ab einer Sekunde und mehr gilt die Ratio von 1, weshalb die durchschnittliche Leistungsaufnahme die TDP dann nicht mehr überschreiben darf. Die andere Grenze liegt bei 100 µs, wo die eine Ratio von 3 sogar das Dreifache gestattet. Bei den von vielen Netzteilen für den Supervisor genutzten Intervall bei der Überwachung von 20 ms liegt die Ratio bei 1.25. Und spätestens jetzt fällt uns auch auf, dass die getestete MSI RTX 3090 Ti SUPRIM eine Ratio von 1.2 aufwies, was sicher alles andere als ein Zufall ist. Man kalkuliert also bei 300 Watt mit einer Überlast von maximal 375 Watt, um hier einen sicheren Betrieb zu garantieren. Bei 10 ms läge man dann schon wieder bei 600 Watt und den abnormen Werten die die älteren Karten auch noch erreichen. Wobei sich die Frage stellt, was die Netzteilhersteller dann wirklich implementieren.
In bei nicht wirklich so seltenen Lastspitzen um die 1 ms wäre dann sogar eine Ratio von 2.5 erlaubt, was bei den exemplarisch verwendeten 300 Watt TDP auf 750 Watt herausliefe. Wir sehen schon: die Lastbereiche, die Intel seinerzeit in einem Briefing als Richtlinie an die Netzteilhersteller kommuniziert hat, liegen gar nicht so weit davon entfernt. Das mal an die Personen, die mir hier Unfug und Click-Bait unterstellt haben, weil sie es einfach nicht besser wussten. Hier noch einmal die kleine Auffrischung:
Leistungsaufnahme und Lastspitzen als extremer Mix
Wer nicht noch einmal alles durch blättern möchte, dem zeige ich nun den kleinen Auszug, dessen, was Intel den Herstellern für 2022 mit auf den Weg gegeben hat und wir staunen immer noch über die Zahlen. Wer es nicht weiß: Mit CEM meint die PCI SIG Card Electromechanical, also die eingesteckten Add-In Karten. Der CPU-Hersteller veranschlagt für die CPU zwischen 275 und 300 Watt, was allerdings reichlich großzügig ist. Allerdings ist es auch mir schon gelungen, in einen Core i9-12900KF weit über 300 Watt hineinzupressen, was dann die großzügige Bemessung schnell wieder relativiert.
Die Leistungsaufnahmewerte der Grafikkarten sind auch alles andere als utopisch, denn auch ohne OC kolportiert man für AMDs und NVIDIAs neue Flaggschiffe um die 500 bis 600 Watt echte Board-Power. Wehe, wenn dann noch Übertaktungsspielraum besteht. Die Veranschlagung für den Rest des Systems ist ziemlich inkonsequent, denn der Ansatz mit 100 Watt ist bei Mainboard-Leistungsaufnahmen von bis zu 50 Watt auch im unteren Bereich schon etwas eng, während die 300 Watt beim größten System etwas übertrieben sind. In der Summe dürfte das aber trotz allem irgendwie hinkommen, denn es deckt sich vieles mit dem, was ich schon zur Ratio schrieb. Die hier abgebildete Tabelle ist auch nicht meine Erfindung, sondern stammt im Original aus den Briefing-Unterlagen von Intel:
Die veranschlagten Werte für die PSU-Bemessung („PSU Size“) sind damit geklärt, doch was hat es bitte schön mit der Total Power auf sich? Genau darüber müssen wir jetzt einmal reden, denn es ist genau der Part, der mir (und den Netzteilherstellern) die meisten Sorgen bereitet! Auch dafür gibt es von Intel eine definierte Vorstellung und gleichzeitige Ansage an die Produzenten der Stromversorger. Schauen wir uns das jetzt einmal an und bekommen große Augen. Auch wenn die Länge der höchsten Lastspitzen-Intervalle auf jeweils 100 μS begrenzt ist, ist der zulässige Gesamtanteil von bis zu 10% am Gesamtaufkommen geradezu abstrus. Das heißt, das Netzteil muss über 10% der Betriebsdauer eigentlich 200% der Leistung abliefern!
Damit wird aus dem 1,2 kW-Netzteil eigentlich ein verkapptes 2,4 kW-Netzteil. Denn man definiert so auch, dass der Normalbetrieb ohne Aufschlag bei gerade mal 50% liegen kann und die restliche Zeit munter überlastet werden darf. Natürlich wird dies alles mehr oder weniger auch auf eine reine Single-Rail-Lösung hinauslaufen, aber rein elektrotechnisch ist dies glatter Wahnsinn. Welche Supervisor-Chip soll hier noch in einem fest definierten Intervall eine zuverlässige Schutzschaltung für OCP/OPP realisieren können? Was ist dann noch eine zulässige Last und wo beginnt der Notfall?
ATX v3.0 – Grenzwerte aufweichen, Augen zu und irgendwie durch!
Denn auch wenn vielleicht einige der Hersteller mit entsprechend aufzubringenden Kosten in der Lage wären, solche Netzteile auch unter den aktuell geltenden ATX-Spezifikationen zu realisieren, liegt die Messlatte an die Qualität der Netzteile und die einzuhaltenden Grenzwerte für die meisten der Billigproduzenten doch viel zu hoch. Oder die Produkte wären dann zumindest wieder so teuer, dass die Akzeptanz komplett gegen null ginge. Also biegt man sich das Ganze etwas zurecht und riskiert damit sogar noch die Abwärtskompatibilität. Beginnen wir aber wieder bei der PCI SIG und schauen, was man dort vorgibt:
Soweit, so klar. Und nun schließt sich der Kreis des energetische Schaulaufens, wenn wir noch die Transienten mit einbeziehen. Ich weiß, es war wieder mal eine Menge Theorie, aber ich hoffe, es ist trotz oder besser auch wegen des bewussten Herunterbrechens auf allgemeinverständlichere Formulierungen noch gut rübergekommen. Wie bereits mehrmals geschrieben, es bezieht sich auf die obere Leistungsklasse, die natürlich auch besonders durstig ist. Ob man das Spiel als Endkunde dann wirklich mitspielen wird, ist jedem selbst überlassen. Es ist am Ende ja auch eine Gewissensfrage.
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