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NVIDIAs Rules und AMDs Protektionismus – Cleveres Qualitätsmanagement, Gewinnmaximierung und Nischenhersteller – Einblicke hinter die Kulissen

Um NVIDIAs GLP zu verstehen und richtig einordnen zu können, stelle ich mal ein kleines Beispiel voran, wie man es besser nicht machen sollte, wenn einem die strikten Vorgaben des Chip-Lieferanten nicht passen. Diese wiederum ergeben nämlich durchaus einen Sinn, auch wenn es von vielen als pure Gängelung ausgelegt wird und jeder selbsternannte König der Heim-Übertakter unüberlegt nach mehr Spannung schreit. Doch genau diese kann sich bitter rächen und ich gehe mal davon aus, dass ein Chip-Hersteller, sei es nun NVIDIA oder AMD und meinetwegen auch noch Intel, das Ganze doch am besten wissen muss.

Außerdem zeigt dieses Beispiel exemplarisch, welche Nebenwirkungen auftreten können und warum man gewissen Dinge doch besser lässt, auch wenn sie einem augenscheinlich erst einmal einen Vorteil verschaffen. Was ich damit sagen will ist, dass man immer aller Aspekte betrachten muss, wenn es um gute, fehlerfreie und langzeitstabile Produkte geht, die in allen Systemen gleichermaßen funktionieren.

Doch zurück zur Spannung. Elektromigration ist eine der wichtigsten Gegnerinnen im Kampf um Haltbarkeit und Langzeittauglichkeit. Deshalb gab und gibt es intern festgelegte Spannungsobergrenzen, an die sich jeder zu halten halt. Vorgaben werden vertraglich geregelt und sind faktisch heilig. Doch mir fielen bereits 2012 in einem Test der überdurchschnittlich hohe Boost-Takt der MSI GTX 660 Ti Power Edition und der Umstand auf, dass diese sehr hohen Taktraten selbst unter Last auch dann noch gehalten werden konnten, wenn alle anderen (zum Teil viel höher getakteten Karten) bereits die Segel streichen mussten.

Cheating NVIDIA? MSI hatte es mal probiert…

Wunder der Technik oder doch nur irgendein Trick? So ganz von allein kann ja ein derartig großer Unterschied kaum zustande kommen, also habe ich mich neugierig auf den Weg der Erkenntnis begeben. Das damalige Testobjekt war interessant und dann hatte diese Karte ja auch noch andere Eigenheiten, die sich in instabilen Starts auf manchen Systemen und mit bestimmten Netzteilen ergab.  Das schrie geradezu nach einer näheren Untersuchung! Nun muss man dazu wissen, dass bereits 2012 strikte Vorgaben zur Spannungsversorgung existierten und man seitens NVIDIA diese Umsetzung auch sehr penibel kontrollierte.

Auf dem nachfolgenden Bild sind im gelben Kreis niederohmige Widerstände („shunts“) zu sehen, die in der Spannungszufuhr zum Spannungsregler in Form eines damals populären Richtek RT8802A liegen. Je nach Netzteil konnte ich an dieser Stelle bis zu 9.3 Volt messen! Wenn man nun noch weiß, dass die eigentliche PWM-Spannung an diesem Messpunkt nur 5 Volt betragen sollte, dann dürften spätestens jetzt die Alarmglocken schrillen. Ich habe nämlich auch herausfinden können, worin diese extreme Spannung ursächlich zu begründen ist.

Dann habe ich mir das Datenblatt des RT8802A geschnappt und war reichlich baff.

Military Class (Nette Idee vom MSI Marketing, später abgekupfert von Gigabyte als „Ultra Durable“) bei so einer GTX 660 Ti hin oder her, es ist logischerweise in keinem Falle ratsam, Bauelemente derart außerhalb der Spezifikationen zu betreiben. Mit bis zu 88% Überspannung ist dieses Bauelement garantiert nicht mehr das, was man im grünen Bereich nennt. Ich hatte damals MSI mit genau diesen Werten konfrontiert und möchten den betreffenden Teil der Antwort aus dem MSI-Headquarter an dieser Stelle mal zitieren:

Da MSI seine angepassten Produkte von vornherein auf Overclocking auslegt, spendieren wir diesen Karten ab Werk eine zusätzliche Leistungsreserve, weil wir erwarten, dass Enthusiasten sie übertakten werden. Aufgrund dieser Design-Entscheidung und der höheren Qualität der Komponenten sind wir in der Lage, den Boards mehr Leistung zuzuführen. Das ermöglicht ein höheres GPU-Boost-Niveau, das wir zudem länger aufrechterhalten können, ohne dabei die Lebenserwartung der Grafikkarte oder ihre Garantiedauer zu verkürzen. Bei Problemen können sich Kunden innerhalb der 3-jährigen Garantiezeit jederzeit an MSI wenden.

Au weia… Schön, dass es 3 Jahre Garantie bei MSI für diese Karte gibt. Viel bemerkenswerter ist aber, dass Richtek bereits für Spannungen oberhalb 5,5 Volt nicht mehr für die Funktionstüchtigkeit des Chips garantieren will (wozu auch genaue Kurvenverläufe der Regelkreise gehören) und ab 7 Volt sogar vor der endgültigen Zerstörung warnt. Nun ja.

Was aber macht genau diesen Chip so interessant, und was kann einen Hersteller letztendlich dazu bringen, überhaupt ein solches Risiko einzugehen? NVIDIA gibt für jeden der Grafik-Chips gewisse Rahmenbedingungen für den Betrieb vor, zu denen vor allem auch die eingesetzten Spannungen gehören. Außerdem kennen wir bereits das Drooping bei den CPUs, wo unter Last die Spannung abgesenkt wird, um die TDP-Grenzen einzuhalten. Warum aber ausgerechnet der RT8802A? Dieser recht einfache und preisgünstige Spannungsregler wird lediglich über die jeweilige Pin-Verschaltung für eine bestimmte GPU-Kernspannung faktisch fest vorverdrahtet und er besitzt zudem keinerlei Monitorfunktion oder die Möglichkeit einer softwarebasierten Spannungsregelung. Aha! Das Ganze sieht dann so aus:

Durch die Vorgabe der Pins wird eine Spannung von 1.175 Volt fest eingestellt. Unter Last regelt der Chip dann diese Spannung herunter, im Normalfall wären dies dann noch ca. 1.165 Volt. Nach außen hin sieht also alles perfekt aus. Sogar für NVIDIA, die letztendlich über die Spezifikation und Ausführung der Boardpartnerkarten wachen. Betreibt man den RT8802A mit den vorgegebenen 5 Volt, dann erhält man genau diesen Spannungsverlauf. Was aber passiert bei solch extremen Betriebsspannungen? Zum einen kann man eine um 20 mV(!) höhere Spannung von 1.195 V messen, wobei auch die Kurve (load line calibration) der lastbedingten Spannungsabsenkung (droop) nicht mehr den Spezifikationen entspricht!

Die Folge sind stets erhöhte Spannungswerte an der GPU (die jedoch ohne direkten Zugriff auf das PCB gar nicht ausles- und nachweisbar sind) und ein fast durchgängiger Dauer-Boost, der erst bei extremer Last ins Stottern kommt. Da dieser Schaltkreis jedoch noch eine Menge mehr kann (und es auch tut), treffen sich genau an dieser Stelle auch die Boost-Thematik und die-Problematik wieder. Etwas, das MSI im ganzen Eifer des Gefechtes nämlich komplett ausgeblendet hatte! Schauen wir uns mal das Blockschaltbild an:

So kann es bei Netzteilen, deren Spannung beim PC-Start auf der betreffenden 12-Volt-Schiene bereits ein wenig oberhalb von 12 Volt liegt (jedoch noch innerhalb der ATX-Spezifikationen) zu den bereits geschilderten Startproblemen kommen, denn oberhalb von ca. 9.3 Volt am VDD-Eingang des Chips ist Schluss mit lustig und er verweigert die korrekte Funktion. Das Netzteil erhält dann keine oder nur falsche Informationen und schaltet erst gar nicht ein (Power Good loss). Unverhofft kommt und man man fragt sich ernsthaft, wer sich solchen Unfug ausdenkt.

Zugegeben, in komplexen Schaltungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Jedoch ist das, was man beim Anblick der nur 3 Pins des TL431 sieht, eigentlich kaum zu glauben. Es handelt sich ja geradezu um eine Trivialschaltung, die man seit Jahren kennt und in vielen Netzteilen, Ladereglern usw. wiederfindet. Unwahrscheinlich, dass hier so erfahrenen Ingenieuren ein derart gravierender Fehler unterläuft – aber der Reihe nach. Verfolgt man die Spannung von den Shunts am RT8802A zurück, landet man nach kurzem Weg am TL431, der die 5 Volt Betriebsspannung für den RT8802A bereitstellen soll. Nehmen wir zunächst einmal die Gigabyte GTX 660 Ti Windforce 2X, welche die gleiche Beschaltung aus RT8802A und TL431 nutzt und mit korrekter Spannung arbeitet:

Jetzt vergleichen wir dieses Bild mit dem der Platine unserer MSI-Karte und richten unsere Aufmerksamkeit nun genauer auf den TL431 und seine 3 Anschlüsse, bestehend aus Anode, Kathode und dem Anschluss für die Referenzspannung, die über die zu regelnde Ausgangsspannung entscheidet, denn der Rest sieht auf den ersten Blick fürs bloße Auge komplett gleich aus (auch für das von NVIDIAs Prüfingenieuren)

Wir sehen sehr deutlich die Lage der Anode und gehen nun den nächsten Schritt, indem wir uns die nötige Beschaltung heraus suchen.  Man sieht sehr deutlich, dass die bereits erwähnte Anode an die Masse (Ground) zu führen ist. Das ist selbstverständlich und für die Regelung der Spannung auch zwingend notwendig. Was aber finden wir auf der Leiterplatte vor? Im oberen Foto erkennt man links neben der Anode ein weiteres Bauelement, welches zwischen Anode und Masse eingefügt wurde und sogar beides gleichspannungsmäßig komplett voneinander trennt, da es sich um einen Kondensator mit geringer Kapazität handelt. Selbst ein Widerstand hätte an dieser Stelle nichts zu suchen, die Anode gehört aber in so einer Schaltung direkt mit der Masse verbunden. Was jedoch wirklich verschaltet wurde, stellt sich im Schaltplan dann so dar:

Indem man einen wert- und wirkungslosen Kondensator einfügt, bleibt zwar der äußere Schein gewahrt, aber die Funktion des Regelkreises ist komplett außer Kraft gesetzt, und es kommt am RT8802A zu der bereits beschriebenen Überspannung. Die weiteren Bauelemente R1 und R2, welche als Spannungsteiler am mittleren Abgriff die Regelspannung (Referenz) vorgeben, sind übrigens auch auf diesem PCB exakt dimensioniert. Überbrückt man nämlich den Kondensator, dann funktioniert auch der TL431 wieder und es liegen exakt 5.0 Volt am RT8802A an, egal ob das Netzteil nun 11.9 oder 12.1 Volt liefert! Ohne Masseanschluss funktioniert das Ganze jedoch nur als simpler Spannungsteiler und liefert keine konstante, sondern eine viel zu hohe Ausgangsspannung, die zudem noch analog zu den Werten auf der 12-Volt-Schiene schwankt. Versehen oder Zufall? Man benötigt anhand der Umstände wirklich extrem viel guten Willen und Wohlwollen, um dies am Ende zu glauben.

MSI nutzte absichtlich eine viel zu hohe Betriebsspannung für einen der wichtigsten Schaltkreise auf der Grafikkarte, um einerseits eine höhere Spannung an die GPU liefern zu können und um diese auch unter Last geringer absenken zu müssen (Droop). Die Spezifikationen von Richtek und die Aussage zur Haltbarkeit des Regelschaltkreises sind in jedem Falle ernst zu nehmen. Als Nebeneffekt tritt ein gestörtes Power-Good-Signal auf, welches netzteilabhängig u.U. den Start des Computers verhindern kann. Busted!

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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