Wenn ein Projekt groß angekündigt wird, mit nationalem Pathos, technischen Superlativen und geopolitischer Schubkraft, dann ist Vorsicht geboten. Und wenn dann ein Geekbench-Test statt eines „4060-Killers“ nur das Leistungsniveau einer betagten GTX 660 Ti ausspuckt – ja, dann wird’s Zeit, den medialen Hype auf den Boden der Realität zurückzuholen. Willkommen zur ersten chinesischen 6nm-GPU, der Lisuan G100. Und willkommen zurück im Jahr 2012, leistungstechnisch zumindest.
Technik mit Stolz, aber ohne Biss
Lisuan hatte große Pläne: eine 6nm-GPU, in Eigenregie gefertigt, die auf Augenhöhe mit NVIDIAs RTX 4060 spielen sollte. Das klingt ambitioniert – und war es auch. Denn in der Praxis lieferte der G100 im Geekbench (OpenCL) magere 15.524 Punkte. Das ist nicht nur unter dem, was selbst ältere Mittelklasse-GPUs von AMD und NVIDIA stemmen, sondern kratzt hart an der Kategorie „Retro-Gaming mit Ehrenrunde“. Wohlgemerkt, das Benchmark-Ergebnis liegt unterhalb einer GTX 1050 – ja, der „Ohne-X“-Variante. Oder anders gesagt: Mehr „Graphics Capable“ als „Graphics Card“.
Der geopolitische Kontext
Man darf nicht vergessen, unter welchen Umständen diese GPU entstand. US-Embargos, Technologiebeschränkungen und Handelskrieg – all das zwingt China zur technologischen Eigenständigkeit. Die Strategie ist klar: eigene Chips, eigene Software, eigenes Know-how. Und das alles möglichst schnell. Lisuan nutzt vermutlich SMICs 6nm-Prozess – jener Fertigungsknoten, der auch Huaweis Kirin-Prozessoren neues Leben einhauchte. Das ist zweifelsohne ein beachtlicher Meilenstein. Aber ein effizienter Node allein macht eben noch keine konkurrenzfähige GPU. Vor allem nicht, wenn man bei der Software auf Treiber setzt, die eher an „Beta“ als an „bereit für den Massenmarkt“ erinnern.
Treiber – das chinesische Nadelöhr
Moore Threads, Birentech, Zhaoxin – alle eint ein Fluch: miserable Treiber. Lisuan steht also nicht allein mit dem Problem, aber auch nicht gut da. Denn ohne optimierte Software verpufft jede noch so gute Hardware wie eine Rakete ohne Steuerung. OpenCL ist nur ein Messpunkt, ja. Aber ein signifikanter. Und solange selbst Basiskompatibilität oder Speichermanagement holpern, hilft auch die schönste Architektur nichts. Übrigens: 256 MB VRAM in einem 6nm-Chip? Klingt wie ein Engineering-Fehler oder ein Placebo-Modul zum Prototyping.
Ein Hoffnungsschimmer mit Einschränkungen
Die aktuelle Leistung ist peinlich – keine Frage. Aber: Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein frühes Sample, vielleicht ein Entwicklerboard mit reduzierten Spezifikationen. Der finale Chip könnte deutlich besser performen. Vielleicht. Hoffentlich. Man darf die Lisuan G100 also nicht zu früh abschreiben. Aber sie ist eben auch (noch) nicht der technologische Befreiungsschlag, den Peking gern auf seinen Staatskanälen vermarkten würde.
Patriotismus schlägt Physik (noch nicht)
Chinas Weg zur technologischen Unabhängigkeit ist ein Marathon, kein Sprint. Die Lisuan G100 ist ein sichtbarer Schritt – aber eher symbolischer als substanzieller. Noch hinkt die Hardware, und vor allem die Software, Jahre hinterher. Und wer glaubt, man könne eine RTX 4060 aus dem Stand mit Exportverboten und Eigensinn bauen, dem sei gesagt: Auch 6nm helfen nichts, wenn der Rest aus Trial & Error besteht.
Source: Tom’s Hardware
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