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Grundlagen GPUs: Leistungsaufnahme, Netzteilkonflikte & andere Mythen | 2014 und 2020

Die Netzteilseite hat es vor allem in sich

Nun wären wir also am Netzteil angelangt und wollen uns mit den Problemen beschäftigen, die uns auf der Sekundärseite eines modernen Netzteils erwarten können.Da ich aber keinen Netzteil-, sondern einen Grafikkarten-Artikel schreibe, muss ich natürlich inhaltlich zunächst noch ein wenig vorsortieren. Mich interessiert deshalb neben dem eigentlichen Arbeitsprinzip lediglich die Sekundärseite und dort insbesondere die Aufgabe und die Bestückung der sogenannten Sekundär-Kondensatoren und die ewige Diskussion über die Gesaltung der Rails. Dafür nutze ich jetzt – mit gewisser Absicht – ein digitales 860-Watt-Netzteil der oberen Mittelklasse (Corsair AX860i) und habe die gemessenen Spannungswerte leicht gerundet, um die Grafiken etwas übersichtlicher zu halten.

Wie wir ja bereits wissen, produzieren die aktuellen Grafikkarten extreme Stromspitzen, die zwar nur sehr kurz sind („Spikes“), aber trotzdem auch mehrmals in Sekundenbruchteilen aufeinander folgen können. Ich möchten an dieser Stelle auch nochmals darauf hinweisen, dass das Nachfolgende möglichst allgemeinverständlich abgefasst und zudem etwas vereinfacht bzw. abstrahiert wurde.

12 Volt sind nicht gleich 12 Volt

Ein aktuelles ATX-Netzteil beruht auf dem Prinzip eines Schaltnetzteils, was an sich nichts Schlimmes ist, solange man die in den Schaltvorgängen erzeugte Spannung hinterher wieder ausreichend glättet. Wenn man nämlich die im Netzteil bereitgestellte 12-Volt-Leitung einmal mit einem geeigneten Oszillografen betrachtet, dann wird aus der erwartet konstanten Gleichspannung von 12 Volt eine Art alternierendes Spannungsgemisch, dessen Mittelwert natürlich genau im Rahmen der ATX-Spezifikationen liegt. Aber eben nur der Mittelwert!

Betrachten wir jetzt den fast lastlosen Zustand bei einem digitalen Netzteil, das mit einer etwas niedrigeren Schaltfrequenz arbeitet. Die Glättung ist durchaus akzeptabel, auch wenn wir hier bei höher aufgelöster Messung sehen, dass eben keine konstanten 12 Volt zur Verfügung stehen, auch wenn der Mittelwert für die gesamte Millisekunde bei ziemlich genau 12 Volt liegt.

Was aber passiert, wenn jetzt Lastspitzen auf die ohnehin schon „pulsierende“ Sekundärseite treffen? Wir sehen in der nachfolgenden Grafik, dass auch in dieser Situation die ATX-Spezifikationen noch eingehalten werden – zumindest solange es um den Mittelwert geht. Betrachten wir die gemessene Millisekunde, dann landen wir im Mittelwert nämlich bei etwa 11,85 Volt.

Die impulsartig aufgeladenen Kondensatoren der Sekundärseite treffen also auf ziemlich wilde Spikes, deren Frequenz fast doppelt so hoch liegen kann wie die Schaltfrequenz des Netzteils. Oft genug kann es deshalb passieren, dass bereits die nächste Stromspitze auf einen Kondesator trifft, bevor dieser überhaupt wieder vollständig aufgeladen werden konnte! Wir erkennen diese unglückliche Aufeinandertreffen an den kurzen Einbrüchen der Spannung bis hinab auf ca. 11,15 Volt.

Was lernen wir daraus?

Erstens: Nicht allein die Kapazität oder der Herstelleraufdruck entscheiden über die optimale Funktionalität der Sekundär-Kondensatoren, sondern vor allem ein sehr gutes Hochfrequenzverhalten (geringe Impedanz bei ca. 100 KHz), eine hohe Geschwindigkeit beim Aufladen und natürlich auch gute Ripple-Werte. Gerade digitale Netzteile besitzen oft eine langsamere Regelung als analoge Lösungen, so dass dieser Umstand erst recht von Bedeutung sein könnte. Dazu gleich noch mehr.

Zweitens: Als Folge dieser kurzzeitigen Spannungseinbrüche kann es dazu kommen, dass z.B. ein auf dem Mainboard verbauter Chip zur Spannungsüberwachung am entsprechenden Pin das Flag für das PowerGood-Signal auf Low setzt, so dass das Mainboard das Netzteil abschaltet und nicht etwa die im Netzteil verbaute UVP oder OCP/OPP, da die dafür benötigten Auslösewerte ja noch gar nicht erreicht wurden!

Die Supervisor-Chips der Netzteile sind hierfür entweder (bei Billig-Netzteilen) nicht zweckmäßig gewählt worden bzw. man vermeidet schaltungstechnisch ein derartig schnelles Ansprechen. Wir konnten dies durch die Auswertung der Messprotokolle herausfinden, bei denen wir auch das PowerGood-Signal überwacht haben. Bei der von uns gern bemühten Radeon R9 295X2 hat nämlich das mit 1200 Watt ausgewiesene Platimax von Enermax sporadisch versagt (wie später auch das Corsair AX 860i). Der Grund? Das Platimax hat in unserem Fall nicht etwa wegen Überlast der 12-Volt-Leitung abgeschaltet, sondern das Mainboard hat aufgrund kurzzeitiger Spannungseinbrüche das Netzteil abschalten lassen, indem das PowerGood-Signal verloren ging.

Eine Frage der Absicherung: Single- vs. Multi-Rail

Bevor es jetzt wieder das übliche Hauen und Stechen gibt: Bis 40 Ampère auf 12 Volt würden wir ein Single-Rail-Netzteil guten Gewissens tolerieren, was dann auch ein 500-Watt-Netzteil hinaus läuft. Denn einerseits lässt sich das noch flink und relativ schadensfrei absichern und andererseits ist der Anschluss einer leistungsstarken Grafikkarte jederzeit möglich. Wenn man hochrechnet, dass eine R9 290X im Maximum knapp 250 Watt aufnehmen kann, sind wir ja bereits bei über 20 Ampère und für die R9 295X2 bei über 40 Ampère. Da wird es dann schon lustig.

Was passiert, wenn ein Single-Rail-Netzteil kurzgeschlossen wird und die Kabel am SATA-Strang viel zu dünn sind, um die erforderliche Stromstärke für das Ansprechen der Schutzschaltungen durchzulassen, zeigen die nachfolgenen, eigenen Bilder:

Jetzt allein das Heil in Multi-Rail-Schaltungen zu suchen, wäre sicher auch zu kurz gesprungen, da die momentan üblichen Grenzwerte nicht mit den Anforderungen der aktuellen Grafikkarten übereinstimmen. Wir würden auf 25 Ampère für einen PCI-Express-Anschluss plädieren, da man damit ein Kabel mit zwei 8-Pin-Steckern locker versorgen könnte.

Wer trotzdem mehr benötigt (z.B. für Dinge wie die R9 295X2), der muss eben zwei Rails mit jeweils einem 8-Pin-Stecker verwenden. Ungünstig ist aber, dass viele Supervisor-Chips, die in den Netzteilen die OCP (Überstromschutz) realisieren, nur bis zu 4 Kanäle insgesamt dafür absichern können. Das reicht dann wieder hinten und vorne nicht, wenn man CPU und Mainboard, sowie die ganzen Laufwerksanschlüsse separat absichern möchte. Genau hier sollten dann ja die digitalen Netzteile greifen, die eine ziemlich flexible Festlegung der OCP pro Ausgang anbieten. Allerdings ist die dafür benötigte Software meist immer noch fehlerbehaftet und unausgereift, um wirklich ein echtes Gefühl von Sicherheit aufkommen zu lassen. Was also sollte man tun?

Regel Nummer Eins: Netzteile nie sinnlos überdimensionieren! Bei der Entscheidung für ein Single-Rail-Netzteil immer die benötigte Gesamtleistung im Auge behalten! Meistens bieten die Hersteller bis zu 20 Prozent Überlast in den Spitzen, was man zwar nicht ausnutzen sollte, aber beim Verlassen auf die Schutzschaltungen nie aus den Augen lassen darf. Bis 500 Watt Nennleistung ist die Single-Rail-Welt außerdem noch völlig in Ordnung.

Regel Nummer Zwei: Multi-Rail-Netzteile vorher auf die Maximalbelastung der Rails UND die eigenen Anforderungen hin kontrollieren! Wenn man z.B. eine R9 295X2 sicher betreiben möchte, dann muss man zwei getrennt überwachte Rails nutzen, was dann aber auch zwei einzelne PCI-Express-Anschlusskabel erfordert. Mit Doppelsteckern kommt man da nicht weiter. Also auf die Kabelbestückung achten!

Regel Nummer Drei: Digitalnetzteile sind sicher eine Bereicherung des Marktes, aber die Regelung ist fast immer langsamer als die der analogen Lösungen. Dann kommt es vor allem auf eine zweckmäßige Kondensator-Bestückung der Sekundärseite an, um auch alle Lastspitzen ausreichend abfedern zu können. Hier sollte man noch die weitere Entwicklung abwarten, denn es sind noch viele ungeklärte Fragen offen und die Softwareproblematik nicht zu vernachlässigen. Ein solides Netzteil ohne zusätzliche Fehlerquellen wird immer sicherer sein.

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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