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Grundlagen GPUs: Leistungsaufnahme, Netzteilkonflikte & andere Mythen | 2014 und 2020

Etwas Überlegung statt Panik hilft immer

Zwischen Grafikkarte und Netzteil sorgen mehr oder weniger zweckmäßig ausgeführte und angeschlossene Kabel für eine hoffentlich gute Verbindung. Doch wo liegen die Grenzen und wie sieht eine optimale Verkabelung aus? Natürlich wird diese Frage erst ab Leistungsaufnahmen oberhalb von 200 Watt pro Grafikkarte so richtig interessant. Und auch hier erinnern wir uns wieder an die Diskussionen um die zwei 8-Pin-Anschlüsse der R9 295X2, die ja weitab jeglicher Normen liegen. Aber sind diese Normen wirklich so eng gefasst, dass ein Überschreiten gleich zum Gefahrenherd wird?

AWG was?

Spätestens seit AMDs Radeon R9 295X2 ist der Begriff AWG ja in aller Munde. Doch was verbirgt sich dahinter? Sepp Moser erfand am Rosenmontag des Jahres 1857 rein zufällig in München die Weißwurst, im gleichen Jahre explodiert der Pulverturm in der Festung Mainz – und die AWG wird Nordamerika ins Leben gerufen. AWG steht für American Wire Gauge und ist eine Kodierung für Drahtdurchmesser. Auch wenn diese Norm überwiegend in Nordamerika verwandt wird, unflexibel ist und ewig nicht angepasst wurde – es ist nun mal eine Art Quasi-Standard, an dem man bei solchen Kabeln kaum vorbei kommt. Für die ganz Neugierigen und Selberrechner noch einmal schnell die Tabelle mit den jeweiligen AWG-Standards, die bei Netzteilen für uns relevant sind:

AWG-Nummer Durchmesser (Ø) in mm Querschnitt in mm2 Äquivalent mm²
(metrisch)
16 1,29 1,305 1,5
18 1,02 0,79 0,75
20 0,81 0,51 0,5

Ergibt AWG 20 überhaupt einen Sinn?

Beginnen wir mit den dünnsten Leitungen. Wenn die Raumtemperatur beispielsweise 25 °C beträgt und man bei durchschnittlichen Kabellängen von 55 cm mit maximal 50 °C Kabeltemperatur leben wollte, dann wären selbst bei den dünneren AWG-20-Kabeln noch ca. 10 Ampère pro Leitung machbar. Das ergäbe bei drei zuführenden Leitungen immehrin 360 Watt, was sogar für einen 8-poligen Anschluss reichen könnte. Nur liegen der Teufel immer im Detail und bereits diese Temperatur ist eindeutig zu hoch. Deshalb sollte man AWG-20-Kabel beim PCI-Express-Anschluss nur für Leistungen bis circa 150 Watt in Betracht ziehen. Ein einzelnes 6-Pin- oder 8-Pin-Kabel für die Stromversorgung einer Grafikkarte ginge also völlig in Ordnung.

AWG 18: Eins für alles

Theoretisch könnte man mit AWG 18 bereits alles abdecken, was an Verkabelungen zwischen Netzteil und Grafikkarte notwenig ist. Deshalb ist  diese Größe auch die meistverwendete. Ein probeweise an die R9 295X2 angeschlossenes, einzelnes AWG-18-Kabel eines Markennetzteils mit zwei 8-Pin-Steckern hat diesen Test mit Bravour absolviert. Hier muss man am Ende nur auf die genaue Ausführung achten, denn es gibt zwischen den Netzteilherstellern und deren Modellen größere Unterschiede und leider auch unzweckmäßige Lösungen, wie wir gleich sehen werden. Außerdem tricksen manche Billigstanbieter auch mit besonders dicken Isolierungen, die dann die dicken Leitungen nur vorspiegeln – man kann also auch reinfallen.

AWG 16: Die Königsklasse

Nur wenige Netzteile bieten AWG 16, weil hierbei auch der finanzielle Einsatz des Anbieters am höchsten ist. Zwingend notwendig ist die Verwendung von AWG-16-Kabel nicht, aber es senkt in High-End-Systemen die Kabeltemperaturen deutlich und hilft auch, die Effizienz zu erhöhen. Allerdings lohnt AWG 16 nur dann, wenn wirklich hohe Ströme fließen sollen. Wer Wert auf Optik legt und sich bei Grafikkarten mit zwei Stromanschlüssen das zweite Kabel sparen möchte, ist mit AWG 16 natürlich immer noch auf der Sonnenseite.

Was so alles schief gehen kann

Betrachten wir einmal das 2x 8-Pin-Kabel eines nicht mehr erhältlichen Netzteils, welches ja laut ATX-Spezifikation mit 300 Watt (2x 150 Watt) belastbar sein sollte:

 

Die zwei zuätzlichen Masseleitungen holt man jedoch hier aus dem Stecker selbst und auch der zweite Stecker ist nur eine Art Verlängerung, nutzt also keine eigenen Leitungen. Somit besteht dieses Anschlusskabel nur aus jeweils drei Leitungen für 12 Volt und Masse. Theoretisch schafft man es zwar beim Leitungsquerschnitt, der dafür reichen sollte, jedoch sind die lediglich zusammengedrillten Doppelkabel in den Steckern bereits ein fieser Fehlerteufel.

 

Noch interessanter wird bei diesem Kabel der Anschluss am Netzteil selbst, denn hier mündet ja alles in einen einzigen 6-Pin-Stecker. Obwohl das Netzteil diesen Anschluß im Datenbatt mit 20 Ampère (240 Watt) ausweist (und darüber hinaus auch brav abschaltet), suggerieren die zwei 8-Pin-Anschlüsse 300 Watt. Dies kann schon auf Grund der OCP des Multi-Rail-Netzteils gar nicht funktionieren. Voll der Blender.

Von solchen Netzteilen und Kabeln sollte man also besser Abstand nehmen und die hier gezeigte Fehlleistung sieht man in vielen Variationen immer wieder.

Gute und bessere Lösungen

Normalerweise sollten diese kombinierten Kabel mindestens einen soliden 8-Pin-Stecker am Netzteil besitzen. Ein gutes Beispiel zeigt die nachfolgende Abbildung, bei der man aber aus optischen Gründen auf komplett schwarze Leitungen gesetzt hat (was für den Endkunden nicht von Belang ist, aber schon beim Hersteller mangels Übersichtlichkeit zu höheren Ausschussraten führt):

Der Idealzustand wären eigentlich getrennte Kabel, also für jeden PCI-Express-Anschluss jeweils ein eigenes, separates Kabel. Damit umgeht man ziemlich elegant auch alle Ärgernisse, die bei so hohen Stromstärken und schnellen Lastwechseln auftreten können. In die gleiche Kategorie fallen dann auch kombinierte AWG-16-Kabel mit 2x 8-Pin und mindestens 8-poligen Netzteilsteckern, die sehr gut zu gebrauchen sind.

Und wenn das Kabel dann doch mal warm wird?

 

Dann hat der Hersteller ein wenig geschummelt und spielt mit verunreinigtem Kupfer sowie der Sicherheit der Kunden. Das meiste Kupfer für solche Kabel kommt aus recycelten Rohstoffen, was an sich erst einmal nichts Schlechtes ist – im Gegenteil. Interne Test bei Netzteilanbietern haben aber ergeben, dass es bei so manchen Preisdrückern zum Teil auch ganz gern mal Legierungen verwendet werden, die einen gewissen Aluminium-, Magnesium- oder Zink-Anteil besitzen. Die Litzen sind dann zum Teil sehr spröde und die Kabel nicht besonders flexibel. In solchen Fällen reicht dann auch die eigentlich vorhandene Sicherheitsreserve von AWG 20 nicht mehr aus und es wird zum reinen Glücksspiel.

Bitte nicht mehr nutzen: Adapter-Murks

Auch wenn die Grafikkartenhersteller immer wieder solch unsägliche Adapter beilegen – ihre Verwendung ist im Zeitalter moderner Grafikkarten mit Boost oder Power Tune einfach nicht mehr zeitgemäß, zumal gute und ausreichende Netzteile auch günstig zu erwerben sind.

 

Im Gegenteil lassen nämlich die Netzteilanbieter meist immer dann das zweite oder dritte PCI-Express-Kabel weg, wenn das Netzteil von Haus aus damit leistungsmäßig nicht klar käme. Fehlende Anschlüsse sind also immer auch ein direkter Warnhinweis auf mangelndes Leistungsvermögen, selbst wenn auf dem Label eine tolle Leistungsangabe steht!

 

Solche Doppeladapter sind Unfug, da am Ende alles doch nur auf eine einzige 12-Volt-Quelle hinausläuft. Was das Netzteil nicht kann, sollte man auch nicht hintenherum erzwingen. Einzige Ausnahme sind Systembuilder-Netzteile aus OEM-Rechnern, wo die Leistung theoretisch da wäre, der Assembler beim Originalgerät aber gespart hat. Hier muss jedoch eine gründliche Überprüfung der Umstände erfolgen, bevor so etwas noch eingesetzt wird.

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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