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Grundlagen GPUs: Leistungsaufnahme, Netzteilkonflikte & andere Mythen | 2014 und 2020

Wechseljahre: Die Last mit den Spitzen

Grafikkarten sind leider nicht mehr die geduldigen „Verbraucher“, die sie vor wenigen Jahren noch waren. Dabei geht es nicht um die Leistungsaufnahme als solche und deren Mittelwert, sondern um die Art und Weise, WIE die Chiphersteller versuchen, die Effizienz zu steigern und auf welche Kunstgriffe und Verrenkungen sie dabei zurückgreifen. Womit wir direkt beim Thema wären. Um das alles nicht zu sehr zu verkomplizieren, habe ich uns als Beispiel AMD und Power Tune herausgegepickt – wobei Nvidias Boost am Ende die gleichen Probleme hat, da die Herangehensweise und die Folgen sehr ähnlich sind.

Worum aber geht es? Das Hauptanliegen besteht bei beiden Anbietern darin, die Kernspannung der GPU in Echtzeit möglichst so anzupassen, dass nur so viel Leistung zugeführt wird, wie man für die aktuelle Auslastung der GPU auch wirklich benötigt. Warum also ständig mit hohen Drehzahlen im dritten Gang durch die Stadt fahren, wenn es der vierte oder fünfte auch tun würden? Sicher hinkt dieser Vergleich etwas, aber es kommt schon ungefähr hin. Auch wenn sich seit der Erstveröffentlichung im Jahre 2014 so Einges getan hat, das Grundprinzip ist immer noch bei beiden Herstellern das gleiche. Mit PowerTune hat AMD – analog zu Nvidias Boost – ein sehr komplexes Ablaufgebilde mit vielen, sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren geschaffen. Doch wie zur Hölle funktioniert dies alles im Detail?

Telemetrie wie in der Formel 1

Zunächst schätzt PowerTune stets den Energieverbrauch in Echtzeit, fragt gleichzeitig die thermischen Sensoren ab und bezieht die Telemetrie-Daten des Spannungsreglers mit ein. Diese Werte werden an den vorprogrammierten digitalen Power-Management-Mittler übermittelt. Dieser Mittler (Arbitrator) kennt die Power-, thermischen und Stromstärken-Limits der GPU (BIOS, Treiber). Innerhalb dieser Grenzen kontrolliert er nun also alle Spannungen, Taktfrequenzen sowie die Lüftergeschwindigkeiten und versucht dabei stets, die maximale Performance aus der Karte herauszuholen. Wenn auch nur eine der Eingangsgrößen überschritten wird, kann der Mittler Spannung oder Takt zurücknehmen.

Der Kerngedanke besteht also darin, dass man über geeignete VR-Schaltkreise (Voltage Regulation) wie den IR 3567B in der Lage ist, die Spannungen in sehr kurzen Intervallen – also faktisch in „Echtzeit“ – den tatsächlichen Erfordernissen anzupassen. Hier greift nun auch AMDs Protokoll der zweiten Generation SVI2 , das mittlerweile von allen gängigen ICs beherrscht wird und auch für APUs genutzt wird, bei denen dann zusätzlich der Prozessorteil über die Northbridge mit gesteuert wird.

Doch wie kurz sind diese Intervalle wirklich? Früher gab es noch eine relativ große Verzögerung zwischen der Nachfrage nach einer höheren Spannung und der darauffolgenden Anpassung der Taktfrequenz. AMDs SVI2 der zweiten Generation ist aber nunmehr rund zwei Zehnerpotenzen schneller (also rund 10 µs anstelle 1 ms) und agiert mit 6,25-mV-Schritten wesentlich granulärer als noch die Vorgängerversion. Betrachten wir uns dazu einmal eine einzige, kleine Millisekunde im Verlaufsprotokoll einer Radeon R9 285 unter Last:

Die Spikes sind los: Lastspitzen bis unter die Decke

Genau an dieser Stelle beginnt nun aber mit Sicherheit das große Zähneklappern bei denen, die die Problematik bis hierher nachvollziehen konnten. Die durchschnittliche Leistungsaufnahme einer Grafikkarte ist ja am Ende auch nichts anderes als ein Durchschnittsverbrauch beim Auto. Und wer mal einen Blick auch die Echtzeitanzeige seines Autos geworfen hat, wird meist zunächst gar nicht glauben, was er da so sieht. Trotzdem zeigen die meisten Bordcomputer die Momentanverbräuche mittlerweile sehr realistisch an, denn es gibt diese Spitzen wirklich!

Die durch die schnellen Spannungswechsel entstehenden Lastspitzen stellt die Stromversorgung leistungsstarker Grafikkarten vor völlig neue Herausforderungen. Der Einfluss auf das zweckmäßige Design der passenden Netzteile ist kein geringer und wird im Folgenden auch Gegenstand unserer Betrachtungen sein.

Natürlich hat sich mittlerweile so einiges geändert und deshalb empfehle ich zum Thema eine weiterführende Analyse von mir, die sich mit diesem Thema anhand aktuellerer Grafikkarten von AMD und Nvidia sehr ausführlich befasst:

Der Kampf von Grafikkarte gegen Netzteil – Leistungsaufnahme und Lastspitzen entmystifiziert | igorsLAB

Diese kurze Einleitung zeigt bereits deutlich, dass beide Hersteller durchaus in der Lage sind, die selbst gesteckten TDP-Grenzen ziemlich genau einzuhalten. Sollten die Messwerte bei einer Grafikkarte dann einmal deutlich darüber liegen, hat man entweder durch unzureichende Technik den sprichwörtlichen Mist gemessen, oder die Grafikkarte hat einen Defekt. Manchmal trickst aber auch der Board-Partner (siehe Schaltung unten) mit einem eingebauten „Fehler“ (das hatten wir ja auch schon mal). Suchen wir uns jetzt aus, was im Alltag wohl am wahrscheinlichsten ist…

Absichtliche Fehlbeschaltung einer MSI GTX 660 Ti Power Edition
Absichtliche Fehlbeschaltung einer MSI GTX 660 Ti Power Edition

Doch zunächst wollen wir erst einmal gemeinsam überlegen, wie man solch alternierende Leistungsaufnahmen wirklich exakt messen und bewerten kann. Denn auch an uns Redakteure und die genutzte Technik werden völlig neue Anforderungen gestellt: Mit den meisten herkömmlichen Methoden wird man nämlich immer nur eine gewisse Momentaufnahme erhalten, die mit etwas Pech dermaßen weit neben der Realität liegen kann, dass es schon eine echte Fehleinschätzung und Falschaussage wird.

Lösungsvorschläge und Ideen? Begeben wir uns nun auf die Suche.

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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