Audio/Peripherie Bluetooth Headsets Kopfhörer Testberichte

Jabra Elite 85h im Test – ausgewogener Wireless-Kopfhörer mit Bluetooth und ANC im Langzeit-Einsatz

Frequenzumfang und -verlauf

Der gemessene Frequenzverlauf ist gut und noch nicht einmal Badewanne, wenn man alles auf Default belässt. Mit dem Equalizer der App ist allerdings eine ordentliche Höhen- und Bassanhebung möglich, die sich jeder aber wirklich individuell anpassen sollte, wenn er das überhaupt möchte. Allerdings messe ich genau das jetzt nicht, sondern nur das, was man als neutrale Einstellung am 3,5-mm-Klingeneingang bekommt. Und das sieht für diese Preislage sogar richtig gut aus! Mehr Bass geht natürlich immer, aber dann lassen Konturierung und Knackigkeit nach.

Kumulative Spektren (Burst Decay)

Das kumulative Spektrum bezeichnet verschiedene Arten von Diagrammen, die Zeit-Frequenz-Eigenschaften des Signals zeigen. Sie werden durch die aufeinanderfolgende Anwendung der Fourier-Transformation und geeigneter Fenster auf überlappende Signalblöcke erzeugt. Diese Analysen basieren auf dem bereits oben dargestellten Frequenzgangdiagramm, enthalten aber zusätzlich noch das Element Zeit und zeigen nun als 3D-Grafik (“Wasserfall”) sehr anschaulich, wie sich der Frequenzgang über die Zeit hin entwickelt, nachdem das Eingangssignal gestoppt wurde. Umgangssprachlich wird so etwas auch “ausklingen” oder “ausschwingen” genannt.

Normalerweise sollte der Treiber nach dem Wegfall des Eingangssignals ebenfalls möglichst schnell anhalten. Einige Frequenzen (oder sogar ganze Frequenzbereiche) werden jedoch immer langsam(er) abklingen und dann in diesem Diagramm als länger anhaltende Frequenzen auf der Zeitachse auch weiterhin erscheinen. Daran kann man gut erkennen, wo der Treiber eklatante Schwächen aufweist, vielleicht sogar besonders “scheppert” oder wo im ungünstigsten Fall Resonanzen auftreten und das Gesamtbild stören könnten.

Ich verzichte aus vielerlei Gründen auf  Diagramme, die Plots im Zeitbereich (ms) erzeugen (CSD, STF), sondern setze auf Wunsch der ambitionierteren Leser mit dem Burst-Decay-Plot nun auf eine Darstellung in Perioden (Cycles). Und während beide Methoden ihre Vor- und Nachteile (oder Einschränkungen) haben, kann man durchaus sagen, dass die Darstellung in Perioden durchaus sinnvoller sein kann, um das Abklingen eines Kopfhörers mit einer großen Bandbreite zu bestimmen.

Man sieht auf der Grafik sehr deutlich das leichte Nachklingen der Treiber im Oberbass, den Mitten und sogar im Superhochton. Das ist auch das Einzige, was mich beim Klang des Kopfhörers etwas stört. Gut, es gibt Genres, wo das sogar passt, denn vor allem die Vocals klingen voluminöser als sie sind, aber Hi-Fi ist das nicht mehr so recht. Um uns richtig zu verstehen: das ist alles andere als schlecht, aber eben auch nicht Spitzenklasse. Betrachtet man den Preis, dann kann man da sicher ein Auge zudrücken, zumal es der etwas ungeübtere Zuhörer gar nicht erst bemerken wird. Spaßhörer geht anders, was nur positiv zu bewerten ist.

Kommen wir nun zur subjektiven Beurteilung der Dinge und lassen die Messkurven einfach mal links liegen. Die Einschätzung basiert auf der Mittelstellung der Regler (Default). Und da der Kopfhörer schon einen ordentlichen Satz Betriebsstunden auf dem Buckel hat, darf auch die Einspielzeit-Fraktion entspann durchatmen.

Basswiedergabe

Den Tiefstbass in der Subkontraoktave (16,4 Hz bis 32,7 Hz) testen mit einer Aufnahme von Bachs Toccata und Fuge D-Moll (19 und 25 Hz) sowie der Festival-Ouvertüre 1812 von Tschaikowsky (10 Hz und 12,5 Hz). Das gleiche gilt auch für die unteren Bereiche der Kontraoktave (32,7 bis 65,4 Hz). Die große Basstrommel (Kick Drum), die in der U-Musik ein gern gesehener Begleiter und meist auf ca. 55 bis 60 Hz abgestimmt ist, wird diese Beurteilung dann abrunden.

Der Bass ist gut, tief und doch nicht überpräsent. Der Tiefbass ist sauber wahrnehmbar und sogar die Subkontraoktave darf noch gnädig mitspielen. Wer hier mehr Druck wünscht, darf den Equalizer der App nutzen, verliert aber dann Pegelfestigkeit und Kontur. Etwas mehr geht immer, aber man darf es nie übertreiben. Es wird nämlich nicht wirklich tiefer, nur deutlich lauter.

Der Oberbass bis 150 Hz, in dem auch die Große Oktave (65,4 bis 130,8 Hz) liegt, beherbergt die Sprachgrundfrequenz der männlichen Stimme und entscheidet sehr stark über die naturgetreue Wiedergabe männlicher Vocals.

Dieser Bereich klingt schön ausgewogen und natürlich. Die männlichen Vocals werden gut, allerdings nicht zu warm oder gar prägnant wiedergegeben. Die Instrumente werden zudem kaum verfälscht, schwächeln aber etwas in der Präsenz. Insgesamt ist die Auflösung erstaunlich hoch und lässt Orchesterstücke, Rock, Pop und Jazz aller Couleur gut performen. Wichtig ist, dass der Kopfhörer gut anliegt, sonst gibt es Matsch, was natürlich auch für den Tiefbass gilt.

Mitteltonbereich

Die unteren Mitten (auch Grundtonbereich) liegen bei ca. 150 bis 400 Hz. Zusammen mit dem bereits erwähnten Oberbass spielt dieser Bereich eine sehr wichtige Rolle für die subjektiv empfundene Wärme bzw. Fülle des Klangbildes. Die Sprachgrundfrequenz weiblicher Stimmen ist in diesem Bereich zu finden.

Auch hier gibt es kein Grund zur Kritik, es schrammelt und knödelt nichts, im Gegenteil, es bleibt alles gut modelliert. Weibliche Vocals kommen klar auf den Punkt und die Klangfarbe der Vocals und eingespielten Instrumente ist eher warm, jedoch nie kalt und analytisch. Der weitere Verlauf nach oben hin ist ebenfalls frei von Kritik. Die Präzision ist durchschnittlich und macht das System zum guten Allrounder in allen musikalischen Lebenslagen.

Die oberen Mitten zwischen 400 Hz bis etwa zwei KHz beinhalten bei einem KHz eine Marke, die immer noch als Referenz für viele Messungen gilt. Das merkt man leider auch oft bei günstigeren Geräten, da die Hersteller oft versuchen, gerade diese Frequenz etwas überzubetonen. Auch beim Gaming spielt dieser Bereich keine unbedeutende Rolle und eine ausgewogene Wiedergabe trägt nicht unwesentlich zu einer guten räumlichen Auflösung bei.

Die Bühne und die subjektiv empfundene Qualität der räumlichen Auflösung ist auf erstaunlich hohem, wenn auch nicht allerhöchsten Niveau, was mit Sicherheit dem Preis geschuldet ist. Ein Orchester wirkt (rein subjektiv betrachtet) trotzdem noch weit genug aufgestellt und es ist möglich, einzelne Instrumente bei unterschiedlichen Gesamtpegeln durchaus klar und eindeutig zu lokalisieren. Die Sprachwiedergabe erfährt in diesem Bereich ebenfalls keinerlei Einbußen, egal wie viele Quellen gemischt werden.

Der leichte Pegelanstieg im Bereich von ca. 1 KHz ist verschmerzbar und lässt den Kopfhörer oft lauter erscheinen als er es eigentlich ist. Ob das so gewollt war, oder eher Zufall ist, kann ich nicht beurteilen. Verurteilen würde ich es nicht, denn es stört auch kaum.

Hochtonbereich

Zwischen zwei bis etwa 3,5 KHz ist das menschliche Gehör am empfindlichsten, zumal dieser Bereich der unteren Höhen für die gute Oberton-Wiedergabe der menschlichen Stimme zuständig ist. Dieser Frequenzbereich ist nämlich entscheidend für die Wiedererkennung einer Stimme oder eines Instrumentes; man spricht in diesem Zusammenhang auch von der jeweiligen Klangfarbe.

Die Wiedergabe ist in diesem Bereich ebenfalls frei von Kritik und die Sprachverständlichkeit sowie die Qualität der Vocals kann definitiv überzeugen.

Die mittleren Höhen (3,5 bis sechs KHz) entscheiden über das Ge- oder Misslingen der Sprachwiedergabe als Gesamtbild, denn die S- und Zischlaute (Sibilanten) fallen in diesen Bereich. Die oberen Höhen reichen dann bis ca. zehn KHz, um in den Superhochton überzugehen.

Hoch- und Superhochton sind gut, auch wenn es mal höher es geht. Sibilanten und Atemgeräusche werden exakt abgebildet, jedoch nicht überbetont. Es klingt auch nie spitz noch metallisch, sondern sehr natürlich, was auch an dem eigenartigen, aber sehr schmalbandigen Einbruch bei reichlich 8 KHz liegt.  Saiteninstrumente werden nicht hörbar verfälscht und eher filigrane Streicher werden auch nicht zu Blockflöten degradiert. Selbst ein Schlagzeug bleibt ein solches, bis hin zum sanft gestrichenen Jazz-Besen, der echt unter die Haut gehen kann. Das kann man also so lassen wie es ist. Die Höhenanhebung im Equalizer ist unnötig und man sollte dies tunlichst vermeiden.

Zusammenfassung und Fazit

Für den aktuellen Straßenpreis von ca. 230 Euro (schwarz ab ca. 200 Euro) ist das Jabra Elite 85h also eine Kaufempfehlung, auch wenn andere Kopfhörer in Teilbereichen jeweils noch einen kleinen Tick besser performen. Das universelle AND eines in etwa gleichteuren Bose Quiet Comfort 35 II ist in manchen Situationen sicher besser, allerdings lernt der Jabra ja auch mit. Nur muss man die Analyse jedes Mal neu anstoßen und optimieren (situationsbedingt), was etwas stresst. Klanglich ist der Bose durch die (für mich) unangenehme Basslastigkeit jedoch wieder im Hintertreffen.

Ein Beoplay H9 klingt zwar besser, kostet aber das Doppelte und hält beim Akku mit ANC nur etwas mehr als die Hälfte der Zeit. Ein leihweise mitgetesteter Beats Studio3 Wireless arbeitet noch kürzer, klingt zudem schlechter und kostet doch deutlich mehr. Ein Bowers & Wilkins PX verabschiedet sich zusammen mit dem Beats recht schnell vom Dienst, da der Akku ebenfalls arg schwach ist. Klanglich ist der Kopfhörer nicht mal schlecht, dafür zeigt das ANC Schwächen.

Den vier großen B darf man also getrost auch mal ein J dagegensetzen, auch wenn es nie für den kompletten Klassensieg reicht. In der Summe aller Eigenschaften ist der Jabra 85h allerdings richtig gut, denn was nützt mir ein Kopfhörer, der etwas besser klingt, aber eher schlappmacht oder dessen limitiertes ANC den höheren Preis geradezu konterkariert? So gesehen ist der Jabra eine Art Allrounder, der zwar nichts am besten hinbekommt, in der Summe aller Dinge aber überzeugt.

Jabra Elite 85h blau (100-99030001-60)

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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