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TIM-Gate und VRM-Desaster? Skylake-X und mögliche Mängel bei X299-Mainboards | Retro von vor 6 Jahren (mit Videos)

Wir nehmen die Mainboardhersteller mit in die Pflicht

Allein die Schuld eines sich anbahnenden Hitze-Infernos jetzt nur auf Intel und die bis an ihre Schmerzgrenze ab Werk getaktete CPU zu schieben, wäre in der Summe sicherlich auch zu kurz gesprungen. Vor allem dann, wenn man sich einmal die Folgen des Leistungswahns für die restlichen Komponenten wie CPU-Kühler und Spannungswandler vor Augen führt. Der Hype-Train sorgt leider immer wieder dafür, dass die Anwender vom Übertaktungsspielraum einer Intel-CPU wahre Wunder erwarten und es ist gleichsam Schuld der PR-Maschinerie, hier die Lok noch kräftig weiter zu befeuern.

Wir sind beim Skylake-K nämlich bereits in Leistungsbereichen von aktuellen High-End-Grafikkarten und darüber angelangt – AMDs FX-9590X ist im direkten Vergleich dazu geradezu ein Abstinenzler. Da müssen Hersteller und die Finanzabteilungen gleichermaßen einmal die Zähne zusammenbeißen und ein paar Dollar mehr für Spannungswandlerkühler und bessere Komponenten locker machen, Gewinnoptimierung hin oder her. Hier geht es um die Kunden und die Langzeitzuverlässigkeit. Ultra-Durable Military Class geht nämlich auch in Solid Rockstable, dafür aber ohne ausufernde Kunststoff-Orgien und LED-Lichterketten – wenn man denn will.

Viel Kunststoff und Bling-Bling anstelle wirkungsvollerer Kühlfinnen. Aber es ist besser als nichts

Die Mainboardhersteller hätten das elektrische Saufgelage trotz albern niedrig angegebener TDP von Intel nicht nur erahnen können, sondern es auch besser wissen müssen. Denn die Specs sind allen zugänglich, nicht nur uns. Das trifft die Boards natürlich in sehr unterschiedlichem Maße und Umfang, aber das von uns getestete Beispiel ist auch nicht das höchste in der firmeninternen Nahrungskette. Man kann es aber nicht verallgemeinern und schon gar nicht von einem VRM-Desaster sprechen, wenn man nicht umfassend alle Preisklassen der wichtigsten Hersteller durchgestestet hat. Das Problem sitzt wie immer unter dem CPU-Kühler und stellenweise auch in den Finanzabteilungen einiger Hersteller.

Wir haben bereits ein „höherwertigeres “ Board des gleichen Herstellers geordert und werden die Grenzwerterfahrungen in einem Follow-Up noch einmal neu austesten. Wie das Ganze aber für heute ausgeht und welche Lehren man daraus ziehen sollte, das sehen wir jetzt.

Watt statt GHz – wir loten jetzt Grenzwerte aus

Wir haben lange überlegt, wie wir den uns verbleibenden Übertaktungsspielraum nutzen können, denn am Ende ging es ja vordergründig um die Kühlproblematik von CPU und Spannungswandlern im Allgemeinen und nicht um Momentaufnahmen einer in der CPU-Lotterie zugeteilten CPU oder des Geschicks eines Redakteurs im Einzelnen. Deshalb haben wir den Core i7-7900X systematisch weiter auf 250 und später auch noch 300 Watt getrieben. Mehr ist laut Specs nicht zulässig und so lassen wir es dabei auch bewenden.

Merkblatt #6
Wir möchten an dieser Stelle auch noch einmal an die Verantwortung der Medien erinnern, denn Anleitungen zum potentiellen Vernichten von Hardware können und wollen wir nicht geben. Das muss jeder dann mit sich selbst ausmachen, denn im Gegensatz zur gewerblichen Overclocker-Oberschicht, die sich um CPUs selten Gedanken machen müssen, haben die Endkunden und wir nur eine einzige CPU und damit eben auch nur einen Versuch. Vieles, was im Internet so spielend einfach aussieht, kann schnell im persönlichen und finanziellen Fiasko enden. Spezifikationen und Grenzwerte sind dazu da, dass man sie auch beachtet. Punkt.

Beginnen wir mit der 250-Watt-Keule, die von uns auch schon einmal früher bei einem Core i7-5960X bei 4,8 GHz Takt erreicht wurde. Der Core i7-7900X schafft mit dieser Power immerhin noch 4,5 Ghz mit Prime95 und 4,6 GHz mit Luxrender im Konsolen-Loop. Andere Anwendungen schnappen sich entsprechend weniger, wobei der Core i9-7820X kaum sparsamer ist. Ihn trennen bei gleichem Szenario nur ganze 20 Watt vom großen Zehnkerner. Wer übertakten will, sollte also besser auf die Wattzahlen achten und den Takt samt Spannungen mit Try & Error anpassen – je nach den gewünschten Anwendungen.

250 Watt und die Grenzen einer normalen Wasserkühlung

Im Szenario erreichen wir auch schon einmal die 270-Watt-Marke, die wir für dieses Mainboard als Obergrenze markieren würden. Damit liegt MSI mit dem X299 Gaming Pro Carbon AC immerhin noch ca. 30 Watt unter dem, was Intel in den Spezifikationen zulässt. Aber: es ist ohne Chiller und stattdessen mit einer normalen, guten Custom-Loop Wasserkühlung kaum noch möglich, Package und Kerne so zu kühlen, dass es nicht vorher schon zum thermischen Heruntertakten kommt. Mit getesteten 30°C für die Wassertemperatur ist es bereits nicht mehr möglich, hier noch konstant ohne Limitierungen länger als 10 bis 15 Minuten durchgehend zu arbeiten!

Bevor die VRM auf dem Board die 100-Grad-Marke erreichen, limitiert bereits die CPU. So gesehen ist der Kunstoff samt Bling-Bling auf unserem VRM-Kühler fast schon belanglos, denn ungeköpft kann man diese Bereiche sowieso nicht mehr erreichen. Auch hierführ haben wir natürlich wieder ein passendes Video zum Diagramm

 

Intels Grenzwert: 300 Watt und ein milder Hauch von Desaster

Gut, werden wir wieder sachlich und sehen besser zu, dass wir dem Hitzetod noch einmal entkommen. Können die Chiller-gekühlte CPU und die Mainboard-VRM die 300-Watt-Marke unbeschadet reißen? Um es kurz zu machen: ganze 10 Minuten lang klappt das sogar. Dann ist aber auch hier Schluss mit lustig und die Spannunsgwandler erreichen die bewusste 105°C-Marke. Jetzt macht die CPU dicht auf 1,2 GHz und die Leistungsaufnahme wird auf 70 Watt eingedrosselt. Das reicht, um sich recht fix wieder zu erholen und in einen Endlos-Loop zu verfallen.

Gereicht hat es also nicht ganz, aber mal im Ernst: wer hängt schon im Alltag einen Chiller an so eine CPU? Diese Nahtod-Erfahrung wird kein normaler Anwender je machen können, der nicht gerade über eine geköpfte CPU verfügt. Sogar mit dem Chiller kratzt Tpackage nämlich an der 100-Grad-Barriere und knackt sie sogar. Die Kerne freuen sich über heimelige 94°C+. Es ist also im Gesamtkunstwerk nichts mehr, was man als ausreichend gekühlt betrachten darf.

Das passende Video zeigt noch einmal das Mainboard und die erwärmten Bereiche. Trotz partiell erreichten 105°C sind keine Komponenten in Gefahr, deren zulässiges Temperaturfenster niedriger liegen würde. Wenigstens etwas also.

Damit reduziert sich der Kreis derer, die überhaupt bis hierher kommen, auf ein winziges Minimum an potentiellen Nutzern. Diejenigen darunter, die beruflich auf das Quälen oder Testen von Siliziumprodukten spezialisiert sind, sollten es nicht schwer haben, sich bei den einschlägigen Mainboardherstellern ein zweckmäßigeres Mainboard für derartige Spiele zu erbitten.

Der Endkunde, der viel bereits Geld für eine vorgeköpfte CPU oder den eigenen Nervenkitzel ausgegeben hat, wird die 50 bis 100 Euro Aufpreis dann auch nicht mehr als wirklichen Schmerz empfinden. Der überwiegenden Mehrheit jedoch wird dieses Desaster, wenn man es überhaupt so nennen kann, mangels eigener Kühlung nur auf Youtube & Co. begegnen. Dann hat es zwar noch einen gewissen Unterhaltungswert, aber es betrifft einen ja fast nie persönlich.

Zusammenfassung und Fazit

Was können wir zusammenfassend festhalten? Zum einen hat Intel noch einmal die Keule rausgeholt und einen Xeon mit viel Takt zum HEDT-Boliden geadelt. Diese Aktion dürfte aber andererseits auch mehr als deutlich machen, dass die Core-Architektur an ihrem Ende angekommen ist. Es funktioniert trotzdem noch einmal recht ordentlich und hätte Intel nicht am Schluss doch noch Angst vor der eigenen Courage bekommen und einen thermischen Bremsklotz zwischen Die und IHS gepappt, hätte es auch noch ein Happy-End für alle Beteiligten geben können.

So aber aber ist man sogar schon mit normalen Custom-Loop-Wasserkühlungen bei Werten bis ca. 250 Watt am oberen Ende der Kühlbarkeits-Skala angekommen, bevor sich die meisten Mainboard-Spannungswandler überhaupt hätten verabschieden können. Das Throttling findet unter normalen Umständen nämlich immer zuerst in der CPU statt und nicht auf dem Mainboard. Dieser Umstand wiederum nimmt jeder gefühlten Sensation nonchalant die Spitze.

Trotzdem haben natürlich auch die Mainboardhersteller eine gewisse Mitschuld an der großen medialen Welle, die gerade hin- und herschwappt. Denn mit etwas mehr thermodynamischem Sachverstand, etwas weniger Plastik-Barock im Finish und abgedimmter LED-RGB-Weihnachtsbaum-Illumination hätten die Mainboards durchaus zum gleichen Preis eine deutlich solidere Figur machen können. Damit wären alle Mutmaßungen von vornherein überflüssig gewesen. Knapp auf Kante genähte Dinge besitzen hat immer einen gewissen Beigeschmack, denn niemand weiß, welche Reserven er vielleicht doch noch brauchen könnte.

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Redaktion

Artikel-Butler

1,748 Kommentare 8,478 Likes

Was gab es nicht in den letzten Wochen an Rauschen im Blätter- und Videowald. Da war stellenweise sogar von einem VRM-Desaster oder einem TIM-Gate (Wärmeleitpaste statt Lot) die Rede, doch wenn man alles einmal genau und abgekärt betrachtet, ist das Ganze nichts anderes als eine ellenlange kausale Kette, bei der eine extrem hitzköpfige CPU den eigentlichen Ausgangspunkt markiert. Doch was schreiben wir eine, es sind ja im Prinzip sogar gleich derer drei. Aber immer schön der Reihe nach, denn wir versuchen es nämlich auch so leicht verständlich wie möglich zu halten. Eine kurze Bestandsaufnahme am Anfang kann nicht schaden, sodass […] (read full article...)

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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