Grundlagenartikel Testberichte

So testen wir: Infrarot-Technik richtig und sinnvoll eingesetzt | Retro vor 5 Jahren

Unterschiedliche Oberflächen sind der Tod jeder Standup-Messung

Jede Oberfläche (verschiedene Materialien und Strukturen) besitzt einen bestimmten Emissionsgrad, den man erst einmal kennen muss, um überhaupt etwas exakt messen zu können. Bessere Handhelds können manuell kalibriert werden oder man nutzt gleich eine passende Software des Herstellers. Dummerweise ist hierbei per Default fast immer ein Wert von 1.0 voreingestellt, der in der Realität nie oder nur ganz selten anzutreffen ist. Somit kann man zumindest alle Messungen, bei denen der Emisionsgrad auf 1.0 eingestellt wurde, getrost unter teuer bezahltem Entertainment verbuchen, das niemandem nützt. Denn:

Ohne vorherige Ein- bzw. Angabe des betreffenden Emissionsgrades eines Messpunktes ist jede durchgeführte Messung komplett wertlos!

Ein schönes Beispiel dafür ist die nachfolgende Aufnahme. Die unterschiedlichen Farben stellen ja eigentlich optisch den Temperaturverlauf nach, aber was ist mit der Heatpipe und dem VRM-Heatsink passiert? Obwohl sie extrem heiß sind, erscheinen sie auf der Abbildung doch eher dunkel und somit kalt! Erst durch das Auftragen unseres Speziallacks aus dem „Giftschrank“ (orangene Messpunkte) ergeben sich brauchbare Messergebnisse“. Natürlich könnte man auch den Emissionsgrad des Kupferkompositmaterials und des Aluminiums für jeden der Messpunkte hinterlegen, würde dann aber auf die Problematik stoßen, dass sich gerade diese Emissionsgrade mit steigenden Temperaturen stark ändern.

Deshalb nutzen wir einen sehr temperaturbeständigen, etwas matten Klarlack, dessen Emissionsgrad uns bekannt ist und im gesamten Temperaturbereich nahezu konstant bleibt. Solche speziellen und leider auch sehr teuren Lacke nutzt die Industrie, um elektrische Bauteile und sogar ganze Platinen vor Umwelteinflüssen wie beispielsweise hoher Luftfeuchtigkeit zu schützen. Man spricht deshalb auch umgangssprachlich von einer Tropikalisierung. Im normalen Ladengeschäft findet man solche Lacke leider nicht, zumal man sie für unseren Zweck vorher in aufwändigen Messreihen erst einmal testen (lassen) muss.

Ohne Speziallack und Messtape geht nichts (außer schief)

Für Heatpipes (GPU-, CPU-Kühler) bis 100°C können wir jedoch auch auf unser mattschwarzes Messtape zurückgreifen, dessen Anschaffung zwar ebenfalls ein wenig kostenintensiv ist, aber ohne das am Ende die ganzen Messungen reichlich albern ausfallen würden. Werfen wir einfach einen Blick auf die Abbildung unseres Grundlagenartikels vom vorletzten Jahr. Während die Messung der 80°C heißen Heatpipe mit dem Factory Default von 1.0 grandios in die Hose geht, stimmen sowohl die Messung mit dem ausgemessenen Tape (0.656), als auch die mit dem korrekt für das Material eingegebenen Emissionsgrad (0.12). Dummerweise ändert sich letzterer aber über das auftretende Temperaturspektrum um den Faktor drei und ist somit bei möglichen Temperaturschwankungen komplett nutzlos.

Fertig ist der Lack: Wir messen Pins richtig

Nicht nur für hochauflösende Kameras ist es wichtig, dass im Messbereich keine störenden Temperaturunterschiede durch verschiedene Emissionsgrade erfasst werden, da sie den ausgegebenen Mittelwert negativ beeinflussen. Wie extrem so etwas sein kann, zeigen die nächsten beiden Abbildungen. Zunächst messen wir einen (an sich sehr heißen) VRM-Pin, der die Wärme direkt an die Kupferbahnen und somit auch die nähere Umgebung des PCBs abgibt. Trotzdem ist dieser Bereich aufgrund des viel geringeren Emissionsgrades der Lötstelle ohne Korrektur für unsere Messung mit den (falsch) ausgelesenen ca. 50°C erst einmal eine Art Cold Spot.

Jetzt lackieren wir einen Teil der Pins und stellen fest, dass plötzlich die gesamte Fläche den bekannten und für uns verwertbaren Emissionsgrad besitzt.  Satte 23°C Unterschied zwischen beiden Messungen am identischen Messpunkt sind dann schon eine Größenordnung, die über das Gelingen oder Misslingen einer solchen Messung entscheiden kann!

Somit sind ohne die profansten Grundkenntnisse der Messtechnik sowie der notwendigen Grundvoraussetzungen beim Messaufbau und -ablauf fast immer viel zu niedrige Messergebnisse die bedauerliche Regel.

Wir behalten den Durchblick!

Was nützt einem jedoch die tollste Infrarotkamera, wenn man nicht in geschlossene Systeme hinein sehen kann? Auch dafür haben wir uns einen Trick einfallen lassen, bei dem der Transmissionsgrad eines Materials jedoch bekannt sein muss. Um beispielsweise in geschlossene Computergehäuse „hineinsehen“ zu können, benötigen wir eine möglichst dünne Folie, deren Transmissionsgrad (Wärmedurchlässigkeit) noch hoch genug ist, um sie für plausible Messungen einsetzen zu können.

Derart „eingepackt“ bleibt der originale Airflow im Gehäuse erhalten und auch die Abwärme kann nicht so einfach durch eine geöffnete Seitenwand entweichen. Die nachfolgende Abbildung zeigt eine Systemmessung mit insgesamt neun verschiedenen Messpunkten, die vorher einzeln mit dem richtigen Emissions- und Transmissionsgrad definiert wurden.

Wie eine Gehäusemessung mit einer „einfachen“ Handkamera aussieht, wollen wir natürlich auch nicht vorenthalten. Dazu haben wir dann einmal unser eigenes Archiv bemüht:

Heutzutage findet man in Handhelds eine einfache Schwarz-/Weiß-VGA-Kamera mit 640 x 480 Pixeln wieder, auf deren Bild dann die extrem groben Messwerte eines meist nur 80 x 60 Pixel großen Billig-Bolometers interpoliert werden. Das sieht sicher PR-like knackig aus, taugt aber maximal zum Auffinden von gröberen Hotspots z.B. bei elektrischen Leitungen, PV-Elementen oder Rohleitungen. Diese Teile sind reine Indikatoren, jedoch keine echten Messgeräte. Wer glaubt, damit auch nur irgendetwas genauer bestimmen zu können, sollte direkt zurück zu Seite 2 wechseln und die Gründe noch einmal nachselen. reine Selbstbetrug.

Bereits schon vor Jahren habe ich dann zusammen mit Lian Li einen passenden Benchtable entwickelt, der auch geschlossen funktioniert und der de facto ein geschlossenes Gehäuse gut simulieren kann:

Die Geschichte mit der kalibrirten Folie habe ich damals mit aufgenommen, so dass erstmalig auch Messungen in das geschlossene Gehäuse möglich wurden:

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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