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Heißes Eisen im Test: AMD Radeon VII – mit viel Anlauf und Wind auf Augenhöhe zur Geforce RTX 2080

Zusammenfassung

Die Ankündigung der AMD Radeon VII war natürlich für (fast) alle durchaus so etwas wie eine kleine Überraschung. Aber egal, ob man nun ein Gamer, ein Content-Ersteller oder ein Reviewer ist – alle, die auf einen Wettbewerb im High-End-Grafikmarkt gewartet haben, werden den frischen Wind mit Sicherheit begrüßen. Auch wenn man hier gewissen Einschränkungen machen muss. Sie misst sich nicht mit der GeForce RTX 2080 Ti, dem aktuellen Nvidia-Spitzenmodell im Consumer-Markt, wohl aber mit der GeForce RTX 2080, der aktuellen Oberklasse-Karte. Die RTX Titan lasse ich da mal beiseite, denn die ist ja eine reine Influencer-Karte und ein Upperclass-Kinderspielzeug, das nur zum goldenen Löffel passt.

Die Radeon VII ist da deutlich bodenständiger und aus anderem Holz Silizium geschnitzt. Sie steht Nvidias GeForce RTX 2080 gegenüber – einer Karte, die erst kürzlich das ehemalige Flaggschiff von Nvidia, die GeForce GTX 1080 Ti obsolet gemacht hat. Daher ist die Radeon VII mit Sicherheit ideal für Spiele mit einer Auflösung von 2560 x 1440 Pixel bei maximalen Details oder 3840 x 2160 Pixel bei einigen Qualitätskompromissen, um die Bildraten flüssig zu halten.

Um den Deal zu versüßen, bietet AMD gleich ein Drei-Spiele-Bundle zusammen mit der Radeon VII an, das Resident Evil 2, Devil May Cry 5 und The Division 2 enthält und damit eines der besten Bundles ist, das jemals zusammen mit einer Grafikkarte angeboten wurde. Natürlich sind Bonusspiele ein großes Unterscheidungsmerkmal, der Rest ist aber wie gehabt. Hat man jedoch eh vor, diese Spiele zu erwerben, darf man also bei einer Kaufplanung gern auch dies mit einbeziehen bzw. einpreisen.

Aber bevor man etwas zum Kauf empfiehlt, muss es sich ja erst einmal in einem leistungsfähigen Wettbewerb behaupten. Wenn wir nun den geometrischen Mittelwert jedes Spiels in der durchschnittlichen Bildrate unserer Benchmark-Suite bei QHD nehmen, ist die Radeon VII dort immerhin 26% schneller als Radeon RX Vega 64 und bringt damit genau das, was AMD auch im Vorfeld prognostiziert hat. Das ist ein wirklich beeindruckender Gewinn, allerdings kommt er nicht sonderlich überraschend.

Nach der gleichen Gleichung liegt die Radeon VII jedoch nur bei etwas mehr als 92% der durchschnittlichen Bildrate einer GeForce RTX 2080 FE in unseren 11 ausgewählten Spielen. Es wäre natürlich möglich, Spiele einzubauen, die der GCN-Architektur von AMD besser liegen, aber wir haben bewusst wieder auf den bewährten Mix aus Alt und relativ Neu gesetzt, weil wir hier Treiber-Überraschungen und unerklärliche Schwankungen ausschließen können. Bei einer Radeon RX590 vs. GeForce GTX 1060 funktioniert dieser Mix ja auch – sogar mit leichten Vorteilen für die AMD Karte!

Man darf auch nicht vergessen, dass man mit der GeForce GTX 1080 Ti jetzt endlich eine Karte erreicht, die bereits im März 2017 vorgestellt wurde und im Vollausbau in Form einer Quadro P6000 noch viel länger existierte. Das sind immerhin zwei Jahre, was im Grafikkarten-Sektor einen riesigen Zeitabschnitt darstellt. Aber es wäre sicher auch unfair, die Qualitäten der Radeon VII allein an diesen Gaming-Benchmarks festzumachen, auch wenn der Vorteil der 16 GB HBM2 samt der immens großen Speicherbandbreite in QHD bei 2560 x 1440 Pixeln gar nicht so sehr ins Gewicht fiel.

Das leistungsstarke Speichersubsystem der Radeon VII zeigt den Vorteil der neuen Karte gegenüber der Radeon RX Vega 64 aber zumindest in Ultra-HD bei 3840 x 2160 Pixeln. Der geometrische Mittelwert der durchschnittlichen Bildraten steigt um fast 33% und übersteigt mit den 63 FPS auch die 48 FPS der RX Vega 64 sehr deutlich. AMD kommt so der GeForce RTX 2080 noch ein wenig näher, indem es zumindest knapp 93% von deren durchschnittlicher Bildrate in unserer Suite erreicht.

Aber natürlich sind durchschnittliche Bildraten nicht alles. AMD weiß, dass die große Stärke der Radeon VII in den 16 GB HBM2 samt 1 TB/s Bandbreite liegen. Daher findet AMD natürlich auch diverse zuckersüße Kirschen, wenn man Situationen aufzeigt, wo 8 GB und teilweise sogar 11 GB Grafikspeicher schon nicht mehr reichen, was zu hässlichen Frame Time Spikes führt, die sich im schlimmsten Fall sogar als Stottern zeigen. Das Remake von Resident Evil 2 ist so ein Kandidat, der mit maximalen Texturen und Grafiksettings auf der Radeon VII auch in Ultra-HD noch perfekt läuft. Denn selbst mit den 11GB einer GeForce RTX 2080 Ti kommt es hier schon zu fiesen Nachladerucklern, eine GTX 1080 Ti ist sogar mehrmals ausgestiegen.

Ich meine, dass dieses Thema weitere Untersuchungen verdient und ich plane deshalb auch, zusätzliche Daten unter Verwendung mehrerer Produkte beider Unternehmen zu sammeln. So kann man Frame-Zeit-Aberrationen anhand von praktischen Beispielen isolieren, anstatt handverlesene Benchmarks zu nutzen, die zudem so konzipiert sind, dass man den Speicher bewusst und vorsätzlich mit Gewalt tötet, nur im irgendwem irgendetwas irgendwie zu beweisen. Hier setzen wir auf Praxis und Fairness und weniger auf Click-Bait und Cherry-Picking.

Es ist extrem schwer, die Radeon VII emotionslos und fair zu beurteilen, denn es sind sehr viele Facetten, die man in so ein Urteil verantwortungsbewusst mit einschließen muss. Ein Fazit hat nun einmal immer etwas Absolutes und Endgültiges. Und genau dies funktioniert bei der Radeon VII so einfach nicht. Deshalb werde ich versuchen, mein abschließendes Fazit aus den Augen verschiedener Anwender zu ziehen (was nicht heißt, dass ich eine multiple Persönlichkeit wäre).

 

Die Radeon VII für Spieler

Wer nicht gerade auf AMD schwört, weil er sich generell mit anderen Produkten unwohl fühlt und wer zudem sicher ist, bis zum nächsten Aufrüsten mit den 8GB Grafikspeicher einer GeForce RTX 2080 zu reichen, der wird beim aktuellen Kaufpreis von 729 Euro für die Radeon VII zwar nichts wirklich falsch machen, aber eben auch nicht das Optimum bekommen, wenn es um den Mix aus reiner Gaming-Performance, Preis und Leistungsaufnahme geht. Das muss man leider so hart sagen, denn die Karte kommt eigentlich 2 Jahre zu spät auf den Markt.

Wenn man sich mit dem Preis und auch der deutlich höheren Leistungsaufnahme arrangieren kann, weil einem der Kaufpreis kein Kaufkriterium ist und man die Karte auch nicht so oft nutzt, dass der Energieversorger jubilierend im Kreis rennt, der wird spätestens beim Kühler stocken. Auch wenn AMD verspricht, dass man aktuell immer noch an einer potenziell eleganteren Art und Weise arbeitet, mit dieser Kühlung umzugehen (anstatt die Lüfter in Sekundenschnelle von Leerlauf auf Höchstgeschwindigkeit zu jagen), dann ist dies ein Konjunktiv für die Zukunft, aber nichts Garantiertes.

AMD hat ja erklärt, dass man die Drosselung der GPU und die Lüftersteuerung bei Vega 20 über ein Netzwerk von 64 Sensoren steuert, die eine neuartige und gemittelte Referenztemperatur erzeugen, anstatt auf bestimmte Einzeltemperaturen zu setzen. Nur ist mir die aktuelle Implementierung, die auf Performance, statt auf Ausgewogenheit setzt, schlichtweg zu aufdringlich und zu laut. Mit Wasserblock mag das anders aussehen, aber wenn man im Review völlig exakt gewesen wäre, dann hätte man die Founders Edition der GeForce RTX 2080 auch mit 3000 U/min laufen lassen müssen. Dann nämlich boostet auch diese Karte noch einmal deutlich höher. AMD wird wohl an der Lüftersteuerung und am Preis noch etwas feilen müssen, um hier eine explizite Empfehlung abgreifen zu können.

Wer noch ein Argument für die Radeon VII sucht, wird vielleicht auch bei den Frametimes bzw. den Varianzen in einigen Spielen fündig. Nicht jeder ist da so empfindlich wie ich, aber man werfe nur mal einen Blick auf die Solo-Grafiken bei Battlefield V. Da ergibt sich für die Radeon VII nämlich der deutlich smoothere Verlauf. Ich habe mir nicht umsonst die Mühe gemacht, alle Kurven auch noch einmal einzeln zu exportieren, damit es auch der Letzte sieht. Zumal es vergleichbar ist, weil ich alle Verläufe richtig schön deckungsgleich auf die Time-Line interpoliert habe. Dann nämlich enttarnt man auch jeden noch so kleinen Hoppelhasen.

 

Die Radeon VII für den Content Creator

Die Erstellung von Inhalten ist da schon eine ganz andere Sache. Dazu befanden sich zwar zu wenig Rendering- oder Codierungs-Workloads in unserer Suite, um wirklich allumfassend urteilen zu können. Aber es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass die Radeon VII eigentlich nicht die Nachfolgerin der RX Vega, sondern eher der Vega Frontier Edition ist. Denn wie ich damals schon im Vergleich mit der Quadro P6000 und anderen Karten messen konnte, macht zusätzlicher Speicher einen großen Unterschied bei den Workloads aus, die ihn auch nutzen können bzw. zwingend benötigen.

Tatsächlich kann es dann den Unterschied zwischen einem erfolgreichen Ablauf und einem Crash ausmachen. Doch Speicher allein ist eben auch nicht alles. Bandbreitenintensive Benchmarks wie LuxBall HDR zeigen nämlich sehr eindrucksvoll, dass die Radeon VII durchaus in der Lage ist, auch Monster wie eine Titan RTX in den richtigen Situationen zu schlagen. AMD bringt auch die GeForce RTX 2080 in den Energie- und Medizin-Viewsets des SPECviewperf 13 zum Hinterherhecheln, da beide Benchmarks  beide vermutlich von viel schnellem On-Board-Speicher profitieren.

Die Cinema4D- und Blender-Tests sprechen eher für GeForce RTX 2080. Sobald man jedoch mit spezialisierteren Workloads beginnt, die spezifische Optimierungen für AMD oder Nvidia beinhalten, es viel schwieriger, so eine Aussage zu verallgemeinern. Wenn man sicher ist, dass z.B. eigene 8K-Projekte in  Adobe Premiere mehr Speicher verbrauchen, als man ihn auf einer Karte mit  8GB oder 11GB Karten vorfindet, dann wird Radeon die VII mit ihren 729 Euro eine fast schon so richtig erschwingliche Alternative zur Titan RTX mit 24GB GDDR6 und viel weniger Speicherbandbreite.

 

 

Meine ganz persönliches Fazit

Um mit der Radeon VII wirklich glücklich zu werden, muss es eben wirklich auch die richtige Karte für den richtigen Kunden sein. Was den experimentierfreudigen Gamer reizen könnte, wäre ein mögliches Untervolten bzw. Übertakten mit einer verbesserten Kühlung. Spieltrieb, Optimismus und eine funktionierende Software vorausgesetzt. Da stellt sich AMD mit der neuen API allerdings selbst (noch) ein wenig ein Bein, aber auch Treiber reifen ja stets ein wenig über die Zeit.

Wer zudem in der Klasse über 600 Euro selbst um wenige Euro oder ein paar Kilowattstunden mehr oder weniger feilscht, obwohl es ihn nicht umbringen würde, sollte lieber in der Küche Erbsen zählen gehen. Wer jedoch wirklich hart sparen muss, weil er sich etwas ganz Besonderes fürs Hier und Heute kaufen möchte, ist mit einer GeForce RTX 2080 für aktuell 649 Euro (und mehr) wohl doch besser und vor allem auch leiser aufgehoben.

Ich freue mich persönlich, dass AMD wieder oben (wenn auch nicht ganz oben) mitspielen kann, denn es vertreibt einem die fast schon lähmende Langeweile ungemein. Aber es gibt noch viel zu optimieren und zu klären, bevor man endgültig den Daumen hebt oder senkt. Das überlasse ich am Ende dann doch lieber dem Markt und den mündigen Lesern, denn meine Meinung ist ja nun weiß Gott kein Dogma. Nur ein Denkanstoß, so wie das ganze Review auch.

Abschließend hätte ich noch einen Satz zu einer möglichen Verfügbarkeit am Launchtag loszuwerden. Meine Kollegen und ich haben Händler befragt und auch versucht, das Blätterrauschen der Medien richtig einzuordnen bzw. zu interpretieren. Einer vierstelligen Verfügbarkeit in Nordamerika, man spricht z.B. von ca. 5000 Stück für die USA, stehen niedrige zweistellige Zahlen für einige europäische Länder gegenüber (z.B Spanien und Frankreich mit je 20 Stück). Deutschland könnte da durchaus etwas besser abschneiden, aber auch hier ist das Limit bereits indirekt spürbar. Ein Kommentar zur Stückzahl war, dass man kein Risiko einer Vorbestellerliste eingehen wolle, sondern einfach abverkaufen wird, was da ist und fertig. Wer zuerst kommt… Und weiter wolle man sich nicht äußern, weil es nichts zu kommentieren gäbe. Auch eine Aussage.

 

Credits: Mein persönlicher Dank geht an den Kollegen Chris Angelini (Tom’s Hardware USA), der trotz seines Urlaubs in gewohnter Weise seine Benchmarks beigesteuert hat und an meine Familie, die mich auch in gestresster Form wie immer tapfer ertragen hat. Nach dem Launch ist vor dem Launch, es kommt also bald wieder etwas!

 

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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