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Grafikkarte gegen Netzteil – Grundlagen, Fehlerursachen und richtige Netzteilbemessung

Nun wären wir also am Netzteil angelangt und wollen uns mit den Problemen beschäftigen, die uns auf der Sekundärseite eines modernen Netzteils erwarten können. Da ich aber keinen Netzteil-, sondern einen Grafikkarten-Artikel schreibe, muss ich natürlich inhaltlich zunächst noch ein wenig vorsortieren. Mich interessiert deshalb neben dem eigentlichen Arbeitsprinzip lediglich die Sekundärseite und dort insbesondere die Aufgabe und die Bestückung der sogenannten Sekundär-Kondensatoren und die ewige Diskussion über die Gestaltung der Rails. Dafür nutze ich jetzt – mit gewisser Absicht – ein digitales 860-Watt-Netzteil der oberen Mittelklasse und habe die gemessenen Spannungswerte leicht gerundet, um die Grafiken etwas übersichtlicher zu halten.

12 Volt sind nicht gleich 12 Volt!

Ein aktuelles ATX-Netzteil beruht auf dem Prinzip eines Schaltnetzteils, was an sich nichts Schlimmes ist, solange man die in den Schaltvorgängen erzeugte Spannung hinterher wieder ausreichend glättet. Wenn man nämlich die im Netzteil bereitgestellte 12-Volt-Leitung einmal mit einem geeigneten Oszillografen betrachtet, dann wird aus der erwartet konstanten Gleichspannung von 12 Volt eine Art alternierendes Spannungsgemisch, dessen Mittelwert natürlich genau im Rahmen der ATX-Spezifikationen liegt. Aber eben nur der Mittelwert!

Betrachten wir jetzt den fast lastlosen Zustand bei einem digitalen Netzteil, das mit einer etwas niedrigeren Schaltfrequenz arbeitet. Die Glättung ist durchaus akzeptabel, auch wenn wir hier bei höher aufgelöster Messung sehen, dass eben keine konstanten 12 Volt zur Verfügung stehen, auch wenn der Mittelwert für die gesamte Millisekunde bei ziemlich genau 12 Volt liegt. Das Ganze ist am Ende nichts anderes als eine Restwelligkeit (Ripple).

Was aber passiert, wenn jetzt Lastspitzen auf die ohnehin schon “pulsierende” Sekundärseite treffen? Wir sehen in der nachfolgenden Grafik, dass auch in dieser Situation die ATX-Spezifikationen noch eingehalten werden – zumindest solange es um den Mittelwert geht. Betrachten wir die gemessene Millisekunde, dann landen wir im Mittelwert nämlich bei etwa 11,85 Volt.

Die impulsartig aufgeladenen Kondensatoren der Sekundärseite treffen also auf ziemlich wilde Spikes, deren Frequenz fast doppelt so hoch liegen kann wie die Schaltfrequenz des Netzteils. Oft genug kann es deshalb passieren, dass bereits die nächste Stromspitze auf einen Kondensator trifft, bevor dieser überhaupt wieder vollständig aufgeladen werden konnte! Wir erkennen diese unglückliche Aufeinandertreffen an den kurzen Einbrüchen der Spannung bis hinab auf ca. 11,15 Volt.

In einem eigentlich eher aus einer Laune heraus erfolgten Test zweier einfacherer Netzteile mit und ohne Kabelmanagement, die bis auf die KM-Platine eigentlich ziemlich identisch waren, sowie einer ziemlich fiesen Grafikkarte, die so richtig viele Spikes erzeugt, kamen ich seinerzeit zu einem überraschenden Ergebnis: Ich konnte nämlich feststellen, dass die beim modularen Netzteil zusätzlich verwendeten Polymer-Kondensatoren die Spitzen eingangsseitig durchaus recht ordentlich abfedern konnten, wenn sie denn wirklich sinnvoll platziert sind. Zum einen sind die Solids wesentlich flinker als die Elektrolytkondensatoren und zum anderen kann auch die benötigte Kapazität aufgrund der geringen Zeitdauer der extremsten Spitzen sehr viel niedriger sein, um noch Wirkung zu zeigen.  

 

Dies sollte sich mit Sicherheit auch positiv auf die Haltbarkeit der eigentlichen Sekundärkondensatoren (Bild unten) auswirken, auch wenn es meist nur eine indirekte Folge ist. Bei vielen Netzteilen nutzt man diese Polymerkondensatoren in erster Linie, um beispielsweise die bei der Trennung von Haupt- und Kabelmanagement-Platine auftretenden Wechselwirkungen zwischen Haupttrafo und senkrecht stehender Platine zu verhindern. Dieser von uns beobachtete und sehr nützliche Nebeneffekt wird aber in jedem Falle gern mitgenommen, selbst wenn er mit Sicherheit nicht bei jedem Netzteil so angedacht wurde. Womit auch der Bogen zu dem eigentlichen Elektrolytkondensatoren recht elegant geschlagen wäre, über die immer noch viel zu viel Unklarheit herrscht.

Low ESR, Low Impedance und Ripple

Zunächst machen wir einmal eine Bestandsaufnahme. Also was muss ein guter Sekundärkondensator mindestens können? Er soll sicherstellen, dass das Netzteil kontinuierlich hohe Ströme liefern kann und zudem garantieren, dass Lastschwankungen abgefangen werden können. Soweit, so theoretisch. Doch Elko (Elektrolytkondensator) ist nicht gleich Elko. Und genau an dieser Stelle wird es nämlich interessant, wenn wir über die datenblattbezogene Qualität und die Zweckmäßigkeit der Kondensatorwahl sprechen, die sich nicht zwingend decken müssen!

Gehen wir jetzt noch einen Schritt weiter und fragen uns, was ein solcher Elko – auch in Hinsicht auf unsere wilden Grafikkarten – nun besonders gut können sollte? Er muss – schon aus Gründen der Haltbarkeit – zunächst erst einmal einen möglichst geringen inneren Verlustwiderstand besitzen (ESR = Equivalent Series Resistance). Deshalb findet man diese sogenannten Low-ESR-Ausführungen auch oft ausgangsseitig in Netzteilen oder auf Mainboards im Bereich der VRM.

Unsere Messungen der Leistungsaufnahme, wo die Intervalle der Lastwechsel sporadisch sogar noch schneller aufeinander folgen als das Schaltnetzteil überhaupt die Kondensatoren wieder aufladen kann, lassen uns hier jedoch etwas ins Grübeln kommen. Viele Hersteller wechseln nämlich – mit Sicherheit nicht ohne triftigen Grund – mittlerweile zu ganz speziellen Low-Impedance-Kondensatoren, wo es um geringe Innenwiderstände bei hohen Frequenzen geht, die Standard-Elkos so in Perfektion nicht bieten. So viel zum Thema Zweckmäßigkeit. Doch dazu später noch etwas mehr.

Nicht allein die Kapazität oder der Herstelleraufdruck entscheiden somit über die optimale Funktionalität der Sekundär-Kondensatoren, sondern vor allem ein sehr gutes Hochfrequenzverhalten (geringe Impedanz bei ca. 100 KHz), eine hohe Geschwindigkeit beim Aufladen und natürlich auch gute Ripple-Werte. Ich konnten immer wieder durch die Auswertung der Messprotokolle herausfinden, bei denen ich auch das PowerGood-Signal überwacht habe, was passiert, wenn es hier zu Netzteil-Defiziten kommt.

Als Folge dieser kurzzeitigen Spannungseinbrüche kann es nämlich passieren, dass z.B. ein auf dem Mainboard verbauter Chip zur Spannungsüberwachung am entsprechenden Pin das Flag für das PowerGood-Signal auf Low setzt, so dass das Mainboard das Netzteil abschaltet und nicht etwa die im Netzteil verbaute UVP oder OCP/OPP, da die dafür benötigten Auslösewerte ja noch gar nicht erreicht wurden!

Das generelle Problem mit den Schutzschaltungen

Wenn es zu Abschaltungen kommt, obwohl die Nennlast als Durchschnittswert noch gar nicht erreicht wurde, dann sind die Supervisor-Chips der Netzteile hierfür entweder (bei Billig-Netzteilen) nicht zweckmäßig gewählt worden oder man hat die Ansprechschwelle und Verzögerung viel zu niedrig bzw. zu kurz gewählt.  Aus Sicht der Netzteilhersteller ist das eine Gratwanderung, vor allem bei sehr potenten Single-Rail-Netzteilen.  Denn was passiert, wenn z.B. so ein Single-Rail-Netzteil kurzgeschlossen wird und die Kabel am SATA-Strang viel zu dünn sind, um die erforderliche Stromstärke für das Ansprechen der Schutzschaltungen durchzulassen, zeigen die nachfolgenden, eigenen Bilder:

Jetzt allein das Heil in Multi-Rail-Schaltungen zu suchen, wäre sicher auch zu kurz gesprungen, da die momentan üblichen Grenzwerte nicht mit den Anforderungen der aktuellen Grafikkarten übereinstimmen. Wir könnte auf 25 Ampère für einen PCI-Express-Anschluss plädieren, da man damit ein Kabel mit zwei 8-Pin-Steckern locker versorgen könnte. Wer trotzdem mehr benötigt, der muss eben zwei Rails mit jeweils einem einzelnen 8-Pin-Stecker verwenden. Ungünstig ist aber, dass viele Supervisor-Chips, die in den Netzteilen die OCP (Überstromschutz) realisieren, nur bis zu 4 Kanäle insgesamt dafür absichern können. Das reicht dann wieder hinten und vorne nicht, wenn man CPU und Mainboard, sowie die ganzen Laufwerksanschlüsse separat absichern möchte. Genau hier sollten dann ja die digitalen Netzteile greifen, die eine ziemlich flexible Festlegung der OCP pro Ausgang anbieten.

  • Regel Nummer Eins: Netzteile nie sinnlos überdimensionieren! Bei der Entscheidung für ein Single-Rail-Netzteil immer die benötigte Gesamtleistung im Auge behalten! Meistens bieten die Hersteller bis zu 20 Prozent Überlast in den Spitzen, was man zwar nicht ausnutzen sollte, aber beim Verlassen auf die Schutzschaltungen nie aus den Augen lassen darf.
  • Regel Nummer Zwei: Multi-Rail-Netzteile vorher auf die Maximalbelastung der Rails UND die eigenen Anforderungen hin kontrollieren! Wenn man z.B. eine High-End-Karte mit 250 Watt und mehr sicher betreiben möchte, dann sollte man zwei getrennt überwachte Rails nutzen, was dann aber auch zwei einzelne PCI-Express-Anschlusskabel erfordert. Mit Doppelsteckern kommt man da meist nicht weiter. Also auf die Kabelbestückung achten!
  • Regel Nummer Drei: Digitalnetzteile sind eine echte Bereicherung des Marktes, aber die Qualität der Regelung ist wichtig.  Dann kommt es vor allem auch auf eine zweckmäßige Kondensator-Bestückung der Sekundärseite an, um wirklich alle Lastspitzen ausreichend abfedern zu können.

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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