Ich kann Euch jetzt ein klein wenig Angeberwissen nicht ersparen, aber wer in der Schule nicht komplett geschlafen hat, wird das Folgende sicher leicht nachvollziehen können, denn ich versuche, es so weit wie möglich zu vereinfachen.
Thermische Ausdehnung der Materialien
Mit steigender Temperatur dehnen sich alle Materialien, einschließlich der Wärmeleitpaste, thermisch aus. Das ist bekannt, wobei sich die Wärmeleitpaste dabei sowohl in ihrer Fläche als auch in ihrer Dicke ausdehnen kann. Und weil so eine Paste ein viskoelastisches Material ist, hat sie sowohl fließende (viskose) als auch rückstellende (elastische) Eigenschaften, was man dann zusammenfassend als viskoelastische Eigenschaften bezeichnet. Trotzdem müssen wir das jetzt an dieser Stelle einmal vorsichtig trennen.
Viskose Reaktion
Bei höheren Temperaturen wird das Material nämlich meist weicher. Dies bedeutet, dass es dazu neigt, mehr zu fließen, besonders unter dem Druck, der zwischen den zwei Kontaktflächen besteht. Während des Temperaturanstiegs kann die Paste also anfangen, seitlich zu fließen, aber sie kann trotzdem auch in der Dicke zunehmen, weil die Materialien sich aufgrund thermischer Ausdehnung auseinander bewegen.
Elastische Reaktion
Die elastische Komponente der Paste kann dazu führen, dass sie versucht, ihre ursprüngliche Form zu bewahren, wenn sie durch thermische Ausdehnung gestreckt wird. Bei steigender Temperatur und bei der Dehnung durch Ausdehnung der angrenzenden Materialien kann die Paste eine Rückstellungskraft entwickeln, die eine Dickenzunahme begünstigt.
Verminderte Stützfunktion, Pump-Out und Bleeding
Dazu kommt bei hoher Temperatur (und Druck) noch ein wichtiger Faktor für die Entstehung des sogenannten Pump-Out-Effekts: der Verlust der Stützfunktion. Denn bei hohen Temperaturen kann die Paste ja weicher und weniger widerstandsfähig gegen Druckbelastungen werden. Wenn die Paste aber weniger viskos ist, bietet sie weniger Widerstand gegen das „Auslaufen“ (Bleeding) oder gegen die seitliche Verlagerung. Gleichzeitig kann sich die Paste aufgrund der verminderten Viskosität und der thermischen Ausdehnung des Materials nach oben hin (d.h. in der Dicke) ausdehnen.
Das “Bleeding” von Wärmeleitpasten bezeichnet das Austreten flüssiger Bestandteile aus der Paste über die Zeit. Die Flüssigkeit, die ausblutet, ist in der Regel das Öl oder der Trägerstoff, der die festen Partikel (wie metallische oder keramische Füllstoffe) in der Paste in Suspension hält. Die Wärme kann dazu führen, dass die flüssigen Bestandteile der Paste weniger viskos werden und sich von den festen Füllstoffen trennen, was das Austreten der Flüssigkeit verursacht. Dies kann auf eine schlechte Mischung der Komponenten oder auf die Verwendung minderwertiger Öle und Füllstoffe zurückzuführen sein. Achtung: Wenn zu viel Paste aufgetragen wird, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass der Überschuss sich trennt und ausblutet. Eine dünne, gleichmäßige Schicht ist normalerweise ausreichend, um eine optimale Wärmeübertragung zu gewährleisten.
In einigen Fällen und bei eher minderwertigen Pasten wie der Thermal Hero Quantum kann bei hohen Temperaturen auch die Freisetzung von Gasen, die in der Paste eingeschlossen sind, eine Rolle spielen, was sich vor allem auch in einem geänderten Verhalten nach mehreren absolvierten Zyklen äußert. Wenn diese Gase freigesetzt werden, können sie Blasen innerhalb der Paste bilden und zu einer Erhöhung der BLT führen.
Veränderung der Materialeigenschaften
Die Materialeigenschaften der Wärmeleitpaste, wie die Kohäsion und Adhäsion an den Kontaktoberflächen, können sich mit steigender Temperatur ändern, die sich wiederum sehr negativ auf den Interface-Widerstand auswirken. Bei höheren Temperaturen kann es zudem zu einer Degradierung oder zu chemischen Veränderungen kommen, die die Paste aufquellen lassen oder ihre Struktur verändern. Manche Materialien, aus denen die Wärmeleitpaste besteht, können bei höheren Temperaturen nämlich anfangen, sich zu zersetzen oder chemisch zu reagieren. Dies kann ebenfalls dazu führen, dass die Paste an Volumen gewinnt und die BLT zunimmt. Wie viele Materialien können auch Wärmeleitpasten mit der Zeit altern. Die chemische Struktur von einigen Bestandteilen der Paste kann sich im Laufe der Zeit verändern, was zu einer Trennung der Komponenten führen kann. Dies ist besonders häufig bei Pasten, die Silikonöl als Träger verwenden, da Silikonöle zur Oxidation und Volatilität neigen.
Entwicklung von Scherkräften
Bei einer Erhöhung der Temperatur entstehen oft Scherkräfte innerhalb der Paste, insbesondere wenn die Oberflächen (Heatsink, Die/IHS) unterschiedliche Wärmeausdehnungskoeffizienten haben. Dies kann dazu führen, dass thermische Spannungen entstehen und die Paste ebenfalls in ihrer Dicke gestreckt wird, während die Oberflächen sich relativ zueinander bewegen.
Zusammenfassung und Fazit
Die Bondline Thickness (BLT) steigt mit zunehmender Temperatur also hauptsächlich aufgrund der thermischen Ausdehnung der Materialien, der Abnahme der Viskosität und der damit verbundenen Erweichung der Paste, der Freisetzung von Gasen und Blasenbildung sowie der Veränderung der Materialeigenschaften und der Einwirkung von Scherkräften. All diese Effekte können die thermische Effizienz verringern, da ein dickerer Wärmeleitstoff eine höhere Wärmeresistenz (Wärmewiderstand Rth) aufweist.
Genau dieses Verhalten der Wärmeleitpaste führt auch zu einer stetigen Degradation, die je nach Zusammensetzung schneller oder langsamer abläuft. Es ist niemandem außer den Herstellern zuzumuten, Tests mit 1000 oder mehr Zyklen zu absolvieren, aber wenn man als Reviewer Wärmeleitpasten testet, sollte man auch bei den “Real-World-Tests” mindestens drei längere Zyklen aus Aufwärmen und Abkühlen absolvieren, bevor man ein Messergebnis ermittelt. Denn dann fallen vor allem schlechte Pasten schnell durchs Raster und verwirren den Leser nicht mit nur kurzzeitig verfügbaren Performance-Explosionen.
Wenn man mit Testaufbauten misst, deren Toleranzgrenze bereits bei mindestens 1 bis 2 Kelvin liegt, dann sollte man wenigstens den Faktor Degradation mit einbeziehen. Das erhöht zwar den zeitlichen Aufwand enorm, aber es sorgt im Gegenzug auch dafür, solche Blender wie die Thermal Hero Quantum sicher zu erkennen und dann auch richtig einzuordnen. Denn diese Paste ähnelt sehr stark dem, was Asus auf die Grafikkarten geschmiert hat. Mehr will ich dazu eigentlich gar nicht schreiben, denn es reicht auch so schon. Nur mal als Denkanstoß, warum manche Pasten nach dem genaueren Hinsehen nicht mehr das halten können, was sie vollmundig versprechen und warum meine Ergebnisse vielleicht auf den ersten Blick von anderen abweichen.
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