Was ist eigentlich Sounding?
Um zu veranschaulichen, was man mit Sounding – also dem absichtlichen Verfälschen der Wiedergabe durch Unter- und Überbetonung einzelner Frequenzbereiche – so alles falsch machen kann, hier zunächst zwei exemplarisch ausgesuchte Headsets. Die dicke weiße Linie kennzeichnet den Frequenzverlauf eines wirklich neutralen Kopfhörers mit vorzüglichen Wiedergabeneigenschaften.
Dazu vergleichen wir zunächst ein eher durchschnittliches Stereo-Gaming-Headset mit dem typischen Badewannensound, bei dem Bässe und Höhen deutlich überbetont werden und mehr Schein als Sein präsentieren. Die Spitze bei einem Kilohertz ist zudem der Honigtopf für die Standardmessungen, bei denen die 1-kHz-Marke immer als Bezugspunkt gewählt wird. Die die roten Bereiche kennzeichnen die über- und die blauen Bereiche die deutlich unterbetonten Frequenzbereiche:
Die Krönung der Evolution sollen ja laut den Marketing-Spezialisten “echte” Mehrkanal-Headsets (5.1 oder 7.1) sein, die zudem mehrere Treiber pro Kopfhörer und oft auch noch eine Art speziellen Subwoofer enthalten. Wie so ein teures Headset dann aber auch als klangliches U-Boot stranden kann, haben wir in einem unserer Tests ja bereits schon erfahren können:
Warum zur Hölle verkauft man solche klanglichen Fehlleistungen dann aber als Gamer-Peripherie? Kann es vielleicht doch sein, dass vor allem Schleich-Shooter oder wildes Kampfgetümmel ganz eigene Herausforderungen bereithalten und die Frequenzereiche der relevanten Geräusche so schmalbandig ausfallen, dass sich ein Sounding wirklich lohnt? Wir werden uns gleich noch auf die Spurensuche begeben und genau das testen.
Was man aber wissen muss: keines der Gaming-Brands produziert wirklich selbst. Es sind alles Produkte von großen Auftragsfertigern (ODM), die fast alles bereits fertig in der Schublade haben. Am Ende bleibt also nur die Individualisierung über die Optik (geändertes Tooling), spezielle Chassis-Auswahl, über das Abstimmen des Resonanzkörpers und die optionale Dämpfung bzw. Dämmung, sowie mittels Ohrpolster. Dann kommt noch etwas Cost-Down, um die Marge zu garantieren. Das war’s dann meist schon.
Sounding durch Ohrpolster
Wir sehen in den Bildern unten einen eigentlich vorzüglichen HiFi-Kopfhörer (Meze 99 Neo), der zudem vorbildlich abgestimmt wurde Die Dämpfung ist genau richtig und auch die Verarbeitung hervorragend. Das Vorgängermodell konnte durch eine fast lineare Wiedergabe richtig begeistern, aber bei der Messung zeigen sich beim Nachfolger nun durchaus Probleme.
Leider hat man es geschafft, allein durch ein misslungenes Ohrpolster deutliche Dellen in der Wiedergabecharakteristik zu erzeugen. Was eigentlich als Fortschritt gedacht war, kann sogar auf diesem hohen Niveau schnell schief gehen. Bei einfachen Gaming-Headsets mit überbordenden Wülsten und billigem Schaumstoff samt luschiger Bespannung, sieht das dann noch viel schlimmer aus.
Sounding über viel Innenvolumen
Doch es geht auch deutlich schlimmer! Man nehme einen richtig großen Kunststoffhohlkörper, lasse gleich Dämmung und Dämpfung weg und harre der Dinge die da kommen. Und die haben es in sich!
Es ist eine Bassbomber der grausamsten Art, denn das kleine Chassis ist für Bässe ja eigentlich gar nicht geeignet. Keine Pegelfestigkeit, ein schlechtes Einschwingverhalten und extrem überspitzte obere Mitten und Höhen. Um trotzdem viel Tiefton vorzutäuschen, wird der Bereich um die 250 Hz extrem angehoben. Es entsteht der sogenannte Papp-Sound, wie man ihn auch bei billigen Anlagen aus dem heimischen Partykeller kennt. Laut, es rumpelt, aber ein wirklich Tiefton ist nicht anwesend.
Sounding über fest abgestimmten Resonanzkörper
Neben dem passend gewählten Treiber kann man zusätzlich, wie auch bei Lautsprechern, mit diversen Kniffen einzelne Frequenzbereiche im Pegel künstlich anheben, indem man die Resonzanzbereiche des Korpus passend wählt und den innenaufbau dahingehend akustisch etwas anpasst. Hier summt die Ohrmuschel mit wie eine Hummel auf Extasy.
Das Ergebnis ist eigentlich noch viel brutaler, aber zumindest ist der Schwerpunkt der tiefen Töne schon mal bis runter in den Oberbass gerutscht. Immerhin etwas, aber noch nicht wirklich schön.
Abstimmung statt Verstimmung
Es gibt auch positive Beispiele für ein Sounding, wo man versucht, nachträglich die Nachteile der günstigen Fertigung und die aktustischen Problemzonen des Korpus zu beseitigen. Man kann die vom ODM angebotenen Möglichkeiten (Filz zum Abkleben oder Dämpfen der Korrektur-Öffnungen) in beide Richtugen hin nutzen: um entweder Frequenzereiche anzuheben oder abzusenken.
Hier ist das Ergebnis schon deutlich besser, auch wenn etwas der Bass fehlt. Aber dafür gibt es notfalls auch Klangregler am Ausgabegerät.
So geht Sounding richtig!
Es gibt auch wirklich positive Beispiele, wie das QPad QH90, das eigentlich auf einem brauchbaren Stereo-Kopfhörer von Takstar basiert, wobei der Fertiger hier als ODM auftritt und sein Know-How richtig einsetzt. Neben der sauberen Abstimmung des Resonanzkörpers finden wir auch noch eine sehr zweckmäßige Dämpfung vor.
Das Ergebnis ist nicht völlig linear, aber fürs Gaming eigentlich genau richtig. So, oder so ähnlich, hätten wir es gerne, denn hier ist die Kombination aus Präzision, Ortung und einer detailgetreuen Wiedergabe auch außerhalb der Spielewelt jederzeit gegeben.
Wir werden jetzt auf den nächsten Seiten sehen, wie sich Extrem-Sounding mit zu vielen Bässen und Höhen gegen ein neutral abgestimmtes Headset schlägt. Und genau das ist fast schon interessanter als so manches Spiel!
- 1 - Einführung und Übersicht
- 2 - Alles über Schall und Frequenzen
- 3 - Räumliches Hören, Surround und viel Voodoo
- 4 - Sounding: Markting-Gag oder Skill-Verstärker?
- 5 - Menschliche Sprache, Tiere, Bewegungen
- 6 - Typische Kampf- und Transportmittelgeräusche
- 7 - Wie wir messen und urteilen
- 8 - Fazit und Zusammenfassung
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