Testberichte

Gaming-Headsets: Mythos, Wahrheit und wie wir testen

Was ist das räumliche Hören?

Die möglichst unbeeinflusste Wiedergabe des Frequenzsprektrum ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Wir müssen in gleichem Maße auch beurteilen, wie gut einzelne Schallquellen aufgelöst und geortet werden können. Das wiederum beschreibt die Präzision der Wiedergabe, bei der das räumliche Hören eine sehr starke Rolle spielt.

Der Mensch hat zwei Ohren, zwischen denen als akustische Barriere in der Mitte ja bekanntlich der Kopf sitzt. Doch wie hört der Mensch nun eigentlich räumlich und ist dabei in der Lage, akustische Ereignisse gut zu lokalisieren und einem bestimmten Ort zuzuordnen? Das Ganze baisert auf zwei Faktoren: Den jeweiligen Laufzeitdifferenzen (also wann genau der Schall am jeweiligen Ohr auftrifft) und den Intensitätsdifferenzen (Unterschiede im Schalldruckpegel).

Allerdings darf man man dabei eines nicht außer Acht lassen: Verwertbare Informationen über die räumliche Lage einer Schallquelle aufgrund von Intensitäts- und Laufzeitdifferenzen können von Ohren und Gehirn nur dann erkannt und verarbeitet werden, wenn sich der Schall als solcher auch inhaltlich ändert (plötzliches Auftreten, Spektrum, Pegel usw.). So ist beispielsweise das Grundgeräusch in Wäldern oder einer Großsstadt kaum räumlich zu differenzieren, wenn man sich mittendrin befindet. Je heftiger oder schneller ein Wechsel erfolgt, um so besser ist die Schallquelle lokalisierbar.

Laufzeitdifferenz

Als Laufzeitdifferenz bezeichnet man den Zeitunterschied, den Schallwellen eines Ereignisses benötigen, um beide Ohren zu erreichen. Liegt die Quelle nicht frontal (mindestens 3° abweichend), erreicht der Schall logischerweise das näher liegende Ohr früher als das andere (siehe Abbildung). Diese Laufzeitdifferenz ist somit abhängig von den unterschiedlichen Entfernungen, die der Schall zurückllegen muss, um die Ohren zu erreichen. Das menschliche Gehör ist in der Lage, sogar noch kleinste Laufzeitdifferenzen von 10 bis 30 µs wahrzunehmen!

Intensitätsdifferenz

Eine mögliche Intensitätsdifferenz (Pegelunterschied) tritt immer dann auf, wenn die Wellenlänge des auftreffenden Schalls im Vergleich zum Kopf klein genug ist ist und es daher zu Reflexionen kommt, die den Kopf zum Hindernis werden lassen. Wie man auf der Abbildung gut sieht, entsteht dann auf der gegenüberliegenden Seite ein sogenannter Schallschatten. Dieser Effekt tritt aber erst ab Frequenzen oberhalb von etwa zwei Kilohertz auf und verstärkt sich mit steigender Frequenz noch. Für die größeren Wellenlängen der tieferen Töne ist ein Kopf jedoch kein Hindernis mehr.

Orten eines akustischen Ereignisses: Lokalisation

Tritt ein akustisches Ereignis außerhalb des Kopfes – also beispielsweise über Lautsprecher generiert – auf, so so spricht man von einer sogenannten Lokalisation. Die Auswertung der Informationen der Ohren ermöglicht es dem Gehirn, den Ursprung des Ereignisses räumlich genau zu orten.


Der Kopf befindet sich zur genauen räumliche Lokalisierung übrigens unbewusst auch stets in Bewegung, so dass ein Drehen, Heben, Senken oder Neigen eine Lokalisation über alle drei Ebenen (X, Z und Y) ermöglicht. In diesem Fall – aber eben nur dann – kann man auch von echtem 3D-Klang (dreidimensional) sprechen, der aber mit normalen Lausprecher-Setups, die sich ja aller auf mehr oder weniger gleicher Höhe befinden, nicht zu erzeugen ist.

Besonderheiten bei Kopfhörern

Bei der Verwendung von Kopfhörern tritt die Wahrnehmung des Reizes jedoch immer direkt im Kopf auf! Sobald die von einem Kopfhörer erzeugten Schallwellen synchron sind, empfindet man die Schallquelle so, als würde sie sich in der Mitte des Kopfes – also der Medianebene – befinden.


Unter der Lateralisation versteht man dann eine scheinbare Wegbewegung der Schallquelle aus der Mitte des Kopfes hin zu einer Seite. Dieses Kopfhörer-typische „Wandern“ einer vermeintlichen Schallquelle entsteht wiederum – wie eingangs bereits erklärt – durch eine Laufzeitdifferenz (Signale werden zeitversetzt eingespielt) bzw. Intensitätsdifferenz (Lautstärkeunterschiede).

Ohren sind fast nie völlig identisch, so dass es bei einer unterschiedlichen Empfindlichkeit beider Ohren zu einer Lateralisation zum besseren Ohr hin kommt! Deshalb ist eine exakte Balance-Einstellung stets der erste Schritt zur Optimierung des Höreindrucks.

Raumklang mit Kopfhörern – Trick oder Voodoo?

Doch bei der Lateralisation passiert noch wesentlich mehr! Auch die Verschiebung der Phasen, also des Momentes, in welchem Zustand eine Welle auf das Ohr auftritt, kann zu vermeintlichen Positionsverschiebungen führen. Die Ohrmuschel selbst hat nämlich eine große Bedeutung für das Lokalisieren von akustischen Ereignissen und wirkt dabei gleichzeitig als Schallfänger und auch als Filter. Die auftreffenden Schallsignale werden von ihr nämlich abhängig von der Einfallsrichtung des Schalls und der Entfernung der Schallquelle auf unterschiedlicher Art und Weise linear verzerrt.

Die Ohrmuscheln jedes Menschen sind Unikate und damit hört am Ende auch jeder Mensch anders. Bereits die Form der jeweiligen Ohrmuschel beeinflusst, wie eine Schallwelle außen abprallt und in die Ohrmuschel (und weiter bis ins Trommelfell) gelangt. Die Haare an der Ohrmuschel spielen dabei übrigens ebenfalls eine Rolle!

So – und was hat das jetzt alles mit Kopfhörern zu tun? Alles und nichts! Echtes dreidimensionales Hören setzt unbedingt auch eine Bewegung des Kopfes auf allen Achsen voraus. Etwas, das mit fest sitzenden binauralen Kopfhörern einfach schon technisch gar nicht möglich ist!

Dinge, wie die Unterscheidung der tatsächlichen Positionierung auf der Z-Achse vor oder hinter dem Kopf bzw. auf der Y-Achse unterhalb oder oberhalb des Kopfes lassen sich mit eindimensional arbeitenden Kopfhörern nun mal nicht abbilden!

Auch wenn Software-seitig mit Phasenverschiebungen, Laufzeit- und Pegelmanipulation sowie einer Änderung des Frequenzspektrums gearbeitet wird (alles von hinten klingt dann einfach etwas tiefer oder dumpfer) – es wird eben kein echter Raumklang, auch wenn hier das Gehirn schon ein wenig nachhilft: Es legt Hörerfahrungen aus dem realen Leben zugrunde und lässt sich dadurch (ab und zu) manipulieren.

Was bringen mehrere Treiber pro Ohrmuschel?

Kopfhörer mit mehreren, in verschiedenen Winkeln angebrachten Treibern können da bei der zweidimensionalen Abbildung schon eher weiterhelfen, denn je nach Hörempfinden und Hörerfahrung kann der in unterschiedlichen Winkeln auf die Hörmuscheln auftreffende Schall durchaus so etwas wie „Raumklang“-Empfinden aufkommen lassen.

Der Nachteil solcher Systeme liegt aber oft auch in den Unwägbarkeiten der mehrfachen Schallerzeugung, weil sich die Treiber durch die sehr enge Positionierung gegenseitig negativ beeinflussen (Phasenverschiebung, Auslöschung). Musik kann man mit solchen System schon gleich gar nicht mehr genießen und auch eine über ein möglichst breites Spektrum lineare Wiedergabe ist nur schwer möglich.

Es gibt mittlerweile einige brauchbare Mehr-Treiber-Headsets am Markt, die so eine Illusion durchaus überzeugend realisieren können. Aber auch in diesem Falle ist solch ein Empfinden in der Interpretation absolut subjektiv und nie pauschal auf andere Personen übertragbar.

5.1- oder 7.1-Sound am Kopfhörer ist also stets Einbildungssache bzw. gelingt nur durch die Mithilfe des Gehirns mittels eigener Hörerfahrung – und ist selbst dann maximal zweidimensional. Echtes 3D gibt es noch nicht mal mit Lautsprechern, denn es werden immer nur die X- und Z-Achse abgebildet.

Und was bringt nun einen wirklichen Vorteil?

Ich persönlich bevorzuge sehr gute Stereo-Kopfhörer, die differenziert und detailreich auflösen. Dabei spielen nicht nur der wiedergebbare Frequenzumfang und dessen linearer Charakter eine große Rolle, sondern die Fähigkeit des Systems, nicht nur die Inhalte einer einzigen Schallquelle sauber aufzulösen, sondern dies auch dann noch zu realisieren, wenn sich mehrere (oder viele) akustische Ergeignisse vermischen bzw. gleichzeitig auftreten.

Die Separation einzelner Quellen und deren möglichst genaue räumliche Ortung innerhalb eines großen akustischen Gesamtbildes bezeichnet man im HiFi-Geschwurbel-Jargon gern auch auch als sogenannte „Bühne“, deren möglichst große „Breite“ das gute räumliche Abbildungsvermögen eines Kopfhörers und seine Auflösungsfähigkeiten beschreiben soll.

Fehlt dies alles, so klingt es matschig und undifferenziert. Vermengen sich beispielsweise Geräusche und Klänge zu solch einem akustischen Brei, fällt die räumliche Abbildung wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Kann das wirklich jeder „hören“?

Dazu ein klares Jain. Alle Tests mit eingespielten Surround-Material wurden mit insgesamt sechs Testpersonen (je 3x m/w) im Alter zwischen 16 und 50 mehrfach und mit verschiedenen Headsets in zufälliger Reihenfolge wiederholt. Nur zwei der Testpersonen konnten bei den „echten“ Surround-Kopfhörern die Quellen fehlerfrei zuordnen, immerhin drei Personen lagen wenigstens teilweise richtig und eine Person konnte nur raten. Bei den virtuellen Surround-Headsets mit nur einem Treiber pro Muschel wollten nur zwei Personen überhaupt „etwas wahrgenommen haben“ – aber wirklich fehlerfrei war niemand.

Je komplexer und lauter der Geräuschteppich war, umso größer war dann auch die Fehlerquote! Im Übrigen wusste im Blindtest keine der Testpersonen zu sagen, ob jeweils ein Headset mit einem bzw. bis zu drei Treibern (+ Bass) pro Muschel verwendet wurde. Interessanteweise konnten auch zwei Personen dem Stereo-Referenzkopfhörer ab und zu Surround-Klang bescheinigen. Das wiederum ist einmal mehr der Beweis, dass sich alles nur im Gehirn abspielt und die Frage nicht wirklich pauschal mit Ja oder Nein beantwortet werden kann.

Ergo: Einbildung ist auch eine Bildung. Bevor man versucht, sich Gedanken über den sogenannten „Raumklang“ samt der werbeträchtigen Dolby-Zertifikate zu machen, sollte ein Kopfhörer zunächst erst einmal grundlegende Dinge wie eine gute Auflösung der einzelnen akustischen Ereignisse über ein möglichst großes Frequenzspektrum, eine lineare Wiedergabe dieses Spektrums, ein möglichst unauffälliges Einschwingverhalten und eine hohe Pegelfestigkeit besitzen. Dann kommen die Skills fast von allein.

Sehr gute 5.1-Emulationen können die räumliche Abbildung als Illusion mit Hilfe des Gehirns realisieren, kranken aber dann meist an der gleichzweitigen filigranen Auflösung und sauberen Wiedergabe bei komplexen Szenen mit vielen gleichzeitig auftretenden Schallquellen.

Kommentar

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B
Besterino

Urgestein

6,707 Kommentare 3,305 Likes

Tipptopp! Dann hoffe ich mal, dass Ihr zukünftig auch alle Kopfhörer in die Kammer sperrt! Mit den diversen „hands on/Auspacker-Tests“ aus der jüngeren Vergangenheit ohne die echten Analysen konnte ich jedenfalls nur wenig anfangen.

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Igor Wallossek

1

10,173 Kommentare 18,757 Likes

Das ist jedes mal eine echte Zeitfrage und ob das Produkt auch den Aufwand lohnt. Bluetooth geht in der Chamber z.B. gar nicht, da ist soviel Stahl drumrum - Funkstille. Da muss ich tricksen

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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