Manchmal fragt man sich wirklich, ob die Marketingabteilungen dieser Welt einen geheimen Wettbewerb austragen: Wer kann die dreisteste Behauptung aufstellen, ohne dass das eigene Produkt vor Scham im Regal verdunstet? Die MJ-12 Wärmeleitpaste wäre in diesem Fall wohl ein ernstzunehmender Anwärter auf die Goldmedaille. “Reduce wear and tear with 12.4 W/m*K” als Slogan auf dem Stirnband und man hört förmlich, wie Physik und Thermodynamik kollektiv abgeranzt das Weite suchen. Wobei die Einheit W/m*K wohl für “Waste per marketing and kludge”, also für das Verhältnis zwischen überteuerten Marketingversprechen und tatsächlich minderwertigen Produkten steht. Die Versprechen klingen, als hätte jemand beim Ramschhändler in der Mittagspause zu tief in die Marketing-Keksdose gegriffen und aus Versehen den fiesen mit dem Hasch erwischt.
Trotzdem finden sich auf Alibaba immer wieder Käufer, die voller Hoffnung die Wundermischung bestellen – und sich damit den Prozessor verkleistern. Reklamationen laufen ins Leere, der Händler ist eh Multi-Keim-resistent. Und Alibaba? Bleibt das perfekte Biotop für Geschäftsmodelle, die zwischen kreativer Dreistigkeit und organisierter Realitätsflucht schwanken. Und wenn es um kreative Geschäftspraktiken geht, setzt MJ-Tech neue Maßstäbe. Eine Wärmeleitpaste, die keine Wärme leitet, eine Firmenwebseite, die nichts verkauft, und eine Adresse, die nirgendwohin führt – das ist schon ein starkes Stück. Doch der wahre Geniestreich ist der angebliche deutsche Vertreter. Ein Blick ins Impressum offenbart eine Adresse in Deutschland, die seriös wirken soll, doch der angebliche Importeur hat mit Technik etwa so viel zu tun wie ein Fisch mit Klettern.
Das klingt nach einer klassischen Universal-Handelsfirma, die sich bewusst vage hält. „Waren verschiedener Art“ ist eine elegante Umschreibung für „wir verkaufen alles, was sich irgendwie zu Geld machen lässt“, während der Zusatz „soweit keine Genehmigungspflicht besteht“ subtil darauf hinweist, dass man sich von regulierten oder problematischen Produkten lieber fernhält – oder zumindest so tut.Besonders charmant ist der Fokus auf „Konsumgüter“ und „Haushaltsartikel“. Eine Wärmeleitpaste, die eher klebt als kühlt, könnte man also durchaus als Haushaltsartikel interpretieren – vielleicht als besonders hartnäckiges Dichtmittel für Kühlschranktüren? Und nun kommt der eigentliche Höhepunkt: Sicherheitsdatenblätter gibt es keine, siehe “keine Genehmigungspflicht”. Konfuzius sagt: Dann geht doch zum Lohnsteuerhilfeverein, da gibts mehr Netto als Brutto.
Dann ist da auch noch die Haltbarkeit, die laut Produktbeschreibung natürlich “extrem” ist. Wie extrem? Man weiß es nicht. MJ-Tech nennt keine konkreten Zahlen oder Tests, die das belegen. Das einzige, was wirklich extrem ist, dürfte der Preis sein. Eine Dosis von der MJ-12 Wunderdroge kostet am Ende auch nicht weniger als etablierte Premium-Pasten – die zwar nicht versprechen, dass sie euren PC quasi in einen Quantencomputer verwandeln, dafür aber tatsächlich seit Jahren zuverlässig funktionieren. Auch die technischen Daten lesen sich wie die Bibel der Zeugen des traurigen Silikons:
Keine technische Hotline, kein Support – nur ein leeres Gefühl, dass hinter der Marke niemand steht. Bleibt die Frage: Dreiste Abzocke? Die Kombination aus überzogenen Versprechungen, mangelnder Transparenz und übertriebenem Preis riecht jedenfalls nicht gerade nach Vertrauenswürdigkeit. Und wenn der heutige Artikel hält, was er verspricht, dann könnte das für MJ-Tech zum klassischen Fallout werden. Also: Popcorn raus oder doch lieber den Grabstein meißeln? Schaun wir mal, denn auch wenn mir der Vetreibende nicht mal leid tut, weil er mit diesem Artikel wohl zum Vertriebenen wird – Gesetze zu brechen ist strafbar, auch aus Unkenntnis. CE, ROHS, der Drucker ist geduldig. Zumal die aufgerufenen Preise ob der Qualität an Wegelagerei grenzen, wenn man sich die soliden Mitbewerber im Performance-Mittelfeld anschaut. Denn es geht deutlich günstiger und auch besser.
Verstöße gegen rechtliche Vorschriften? Wenn schon, dann richtig!
Eigentlich müsste ich diesen Absatz bei fast allen Pasten voranstellen, aber es ist einfach mal wieder an der Zeit, da es hier ein deutscher Anbieter ist: Die Inverkehrbringung von Wärmeleitpaste in Deutschland und der EU erfordert die Einhaltung strenger rechtlicher Vorgaben, insbesondere im Rahmen der REACH-Verordnung (EG Nr. 1907/2006). Eine der zentralen Anforderungen ist die Bereitstellung von Sicherheitsdatenblättern, die detaillierte Informationen zu den chemischen Eigenschaften, möglichen Gefahren und Sicherheitsmaßnahmen eines Produkts enthalten müssen. Das Fehlen solcher Sicherheitsdatenblätter stellt nicht nur einen Verstoß gegen die gesetzlichen Vorgaben dar, sondern birgt auch potenzielle Gefahren durch unsachgemäßen Umgang. Das sollte auch ein Ramschhändler wissen.
Gemäß der CLP-Verordnung (EG Nr. 1272/2008) ist eine eindeutige Kennzeichnung von chemischen Produkten vorgeschrieben, um Nutzern auf den ersten Blick Informationen über Gefahrenklassen und Vorsichtsmaßnahmen bereitzustellen. Die fehlende Kennzeichnung erschwert es den Anwendern, die potenziellen Risiken zu erkennen und angemessen zu reagieren, was sowohl die Sicherheit als auch die Rechtssicherheit gefährdet. Die Registrierung von Stoffen und Gemischen in relevanten Datenbanken, wie etwa dem Europäischen Chemikalienregister (ECHA-Datenbank), ist ebenfalls vorgeschrieben. Diese Datenbank ermöglicht die Nachverfolgung chemischer Stoffe, ihre Klassifizierung und die Einhaltung der REACH-Anforderungen.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ist die zuständige Behörde in Deutschland, bei der Unternehmen Chemikalien registrieren und Informationen einreichen müssen. Eine fehlende Registrierung oder unvollständige Angaben in diesen Systemen können nicht nur zu empfindlichen Strafen führen, sondern auch den Vertrieb eines Produkts rechtlich unmöglich machen. Also, was lernen wir daraus? Wer sicherstellen will, dass sein Gaming-PC nicht versehentlich zur chemischen Experimentierküche wird, sollte sich lieber an Hersteller halten, die wissen, was sie tun. Und wer wissen will, ob Aliexpress irgendwann mal aufwacht und solche Produkte aus dem Verkehr zieht, der kann auch gleich eine Postkarte an den Weihnachtsmann schreiben und nach dem Osterhasen samt der Zahnfee fragen. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, kommt jetzt der Produkttest. Das muss einfach sein.
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