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Fehlerhafte Chip-Oberfläche ab Werk bei einer Radeon RX 9070XT, extreme Hotspot-Temperaturen und Ursachenforschung zum Pitting (Update #2)

Das Fehlerbild im Detail: Pitting de luxe

Zunächst müssen wir einmal ein paar Begriffe klären. Unter der Rückseite eines Dies (bzw. eines Halbleiterchips) versteht man jene Seite des Siliziumkörpers, die keine aktiven Schaltungen oder metallischen Kontakte aufweist. Diese Rückseite ist die Seite des ursprünglichen Wafers, die während der Prozessierung gewissermaßen nach unten zeigt und auf der keine oder nur wenige prozesstechnische Strukturen vorhanden sind. Die aktive Seite – also die „Vorderseite“ – ist jene Seite, auf der die Transistoren, Verdrahtungsebenen und Passivierungsschichten aufgebaut sind. Dort befinden sich auch die Kontaktpads oder Durchkontaktierungen (bei Flip-Chip-Bauweise), über die der Die elektrisch angebunden wird.

Die von mir untersuchte Rückseite spielt aus mehreren Gründen eine Rolle. Nach der vollständigen Prozessierung der Vorderseite wird die Rückseite z.B. durch mechanisches Schleifen (sogenanntes Backgrinding) auf eine geringere Dicke gebracht. Das dient der Reduktion des Platzbedarfs und verbessert die thermische Leitfähigkeit bei der späteren Montage. In vielen modernen Packages, insbesondere bei GPUs mit hoher Leistungsdichte wie dieser, wird die Rückseite ja zur direkten Wärmeableitung genutzt. Die Rückseite muss also plan und möglichst frei von Defekten sein, damit der Die im Packaging-Prozess sauber montiert werden kann (z. B. per Die-Attach auf einem Träger) und später auch einen guten Kontakt zum Kühlerboden aufweist. 

In der Halbleiterproduktion werden Siliziumwafer zunächst in standardisierten Dicken hergestellt. Für bestimmte Anwendungen, insbesondere in der Herstellung kompakter und leistungsfähiger elektronischer Geräte, ist es erforderlich, die Wafer zu dünnen. Der Backgrinding-Prozess ermöglicht es, die Rückseite des Wafers mechanisch abzutragen, um die gewünschte Dicke zu erreichen. Dieser Prozess erfordert hohe Präzision, um Schäden wie Mikrorisse oder Pitting zu vermeiden, die die Funktionalität der Chips beeinträchtigen könnten.

Meine etwas vereinfachte Illustration dieses Verfahrens zeigt, wie der Wafer auf einem rotierenden Chuck-Tisch fixiert ist, während eine Schleifscheibe die Rückseite des Wafers abträgt. Diese Methode wird häufig verwendet, um die Wafer gleichmäßig zu verdünnen:

Beim Backgrinding-Prozess können unter Umständen Beschädigungen der Oberfläche auftreten, insbesondere in Form von Kratzen, Mikrorissen, Delaminationen oder kleinen Vertiefungen (auch als “Pitting” bezeichnet). Diese potenziellen Schäden entstehen vor allem durch die mechanischen Beanspruchungen während des Schleifvorgangs, der typischerweise mittels rotierender Schleifscheiben bei hohem Druck und mit hoher Umdrehungszahl erfolgt. Solche Defekte können unterschiedliche Ursachen haben, wie eine Partikelkontamination in der Schleifumgebung. So können beispielsweise Rückstände vom Wafer selbst oder Abrieb der Schleifscheibe zwischen Schleifscheibe und Rückseite eingeklemmt werden und punktuelle Beschädigungen verursachen. Ungleichmäßiger Druck oder Vibrationen während des Schleifens führen zu Mikroausbrüchen an der Siliziumoberfläche. Diese äußern sich häufig in Form feiner Kratzer oder Grübchen. Der Slider zeigt die typischen Schleifspuren und die Stelle, wo der Die beschädigt wurde:

 

Übermäßiger Materialabtrag in einem einzelnen Schleifdurchgang kann zu thermomechanischer Belastung führen, insbesondere dann, wenn die Kühlung unzureichend ist. Dies begünstigt Rissbildung oder lokale Materialausbrüche. Durch das Entfernen eines erheblichen Anteils der ursprünglichen Waferdicke wird das Substrat insgesamt fragiler. Schon geringe lokale Defekte können sich im späteren Handling negativ auswirken, insbesondere wenn thermische oder mechanische Stresseinwirkung erfolgt (z. B. im Reflow-Prozess beim Löten oder bei der Montage).

Um diesen Risiken zu begegnen, werden in der Industrie mehrere Gegenmaßnahmen eingesetzt und der Backgrinding-Prozess erfolgt meist mehrstufig: Zuerst grobes Schleifen (coarse grind), danach ein feinerer Schliff (fine grind) und optional ein zusätzlicher Polierschritt oder Plasma Cleaning, um oberflächennahe Defekte zu reduzieren. Außerdem verwendet man Schleifschlämme mit abrasiven Partikeln definierter Größe und abgestimmter Härte, um einen kontrollierten Materialabtrag bei minimaler Oberflächenbelastung zu ermöglichen. Anschließend erfolgt die Reinigung zur Entfernung von Partikeln, die zu Folgeschäden führen könnten (z. B. durch Ultrareinwasser-Spülung oder Megasonikreinigung). In empfindlichen Anwendungen kann zudem nach dem Backgrinding auch noch ein Rückseitenpassivierungsschritt erfolgen (z. B. Siliziumnitridabscheidung), um Oberflächendefekte zu versiegeln.

 

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Case39

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2,679 Kommentare 1,053 Likes

Moin. Dann hoffen wir mal, das es keine Kreise zieht.

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Smartengine

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Wow. 113°C auf dem Hotspot is schon wahnsinn.
Meine XFX zeigt unter vollast 79°C auf dem Hotspot.

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Igor Wallossek

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12,114 Kommentare 23,918 Likes

RDNA3 ist anders, kann man nicht vergleichen. Aber wenn ein Delta deutlich über 30K geht, muss man echt darüber nachdenken.

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F
Fortuba

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Ist nicht letztes Jahr erst Roman in der Fabrik bei Powercolor durchgestiefelt? Da sah die Sichtprüfung zumindest authentisch aus. Kann aber auch alles nur Show gewesen sein, weil ein Besucher mit Kamera vor Ort gewesen ist.

Edit: Hier ist der Link zu seinem Youtube Video.

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M
Mr.Inkognito

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Mögliche Ursache könnte auch sein, dass aus Kostengründen alle Qualitätsmanagements sich auf die anderen Qualitätsmanagements verlassen.
Diese Denkweise hat man leider heute zu Tage sehr oft.
Gearscht ist dann derjenige, welche in der Produkt- bzw. Produktionskette wirklich noch Qualitätsmanagement bzw. -sicherung betreibt.

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Igor Wallossek

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12,114 Kommentare 23,918 Likes

Ihr glaubt auch immer, was YouTube so von sich gibt. Ich war nämlich in der selben "Fabrik", das ist aber nur eine Art Show für Touristen mit einer einzigen Insertion-Line, also Kleinserie statt Massenproduktion. Zumal die Realität komplett anders aussieht.

BTW: Gleicher Kittel, aber nicht so überbelichtet :D

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Smartengine

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168 Kommentare 173 Likes

Ist auch RDNA 4: XFX Mercury Radeon RX 9070 XT OC Gaming Edition
Hab sie aber noch nicht unter Windows ausprobiert. Kann eigentlich 95% unter Linux zocken :D

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Igor Wallossek

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12,114 Kommentare 23,918 Likes

In einer industriellen Produktion hat keiner Zeit, das in langen 30 Sekunden manuell zu applizieren:

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Das sollte mal der Pastenautomat werden. Lief aber gerade nicht :D

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In der realen Produktion kommen die Kühler bereits mit applizierter Paste ins Werk. Grund: die Paste haftet auf der raueren Oberfläche viel besser und wird in Sekundenbruchteilen maschinell aufgedruckt. Wer soll pro Woche bitteschön 100k oder 200k Karten manuell bepasten? :D

Ich habe damals kein Video draus gemacht, weil ich mir reichlich verarscht vorkam ;)

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M
Milchspende

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Wow, vielen Dank für diesen Bericht!
Nochmal ein dickes Lob an dich!

Was du hier auf deiner Seite regelmäßig für technisch fundierte Artikel veröffentlicht ist einfach der Wahnsinn und konkurrenzlos!

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ipat66

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1,631 Kommentare 1,781 Likes

Das ist wie die Lindt Pralinen-Werbung ... :)
Glaubt wirklich jemand, das ausgesuchte Konditoren die Pralinen mit erlesenen Füllungen von Hand befüllen ? :D

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F
Fortuba

Mitglied

13 Kommentare 6 Likes

Ne glauben tu ich das selber nicht. Ich hab ja selbst geschrieben, dass es wahrscheinlich alles nur Show ist, weil ja ein Besucher vor allem mit großer Reichweite und Kamera vor Ort gewesen ist.

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Igor Wallossek

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12,114 Kommentare 23,918 Likes

Ich schreibs gern noch einmal: Das ist ein riesiger Show-Room in einem ganz normalen Gebäude... :D

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Und die nächste Touristengruppe darf mal rein und wird gleich praktisch neu eingekleidet :D

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Alter.Zocker

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461 Kommentare 326 Likes

So eine "Show-Fertigung" haben wir hier übrigens auch, v.a. um Kunden unsere eigene Automatisierungstechnik, die wir ja auch selbst in der eigenen Produktion einsetzen, "live in Real-Action" vorzuführen, aber eben auch aus Sicherheitsgründen dadurch keinen "Fremden" Zutritt zur realen Fertigung gewähren zu müssen. Früher war man da wesentlich naiver und hat scharenweise mehrmals die Woche Gruppen von Gäste/Kunden/... durch die echte Fertigung geschleust...u.a. auch nach "Stuxnet" hat man da nun deutlich "umgedacht"...

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e
eastcoast_pete

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2,483 Kommentare 1,629 Likes

Jetzt bleibt noch die Frage, wie viele (oder wenige) Karten aus einer solchen Großserienfertigung derartige Schäden an der GPU haben. Denn eine ganz fehlerfreie Fertigung gibt es eben nicht, und wenn die Stückzahlen groß genug werden, wächst damit auch die Wahrscheinlichkeit, daß mindestens eine GPU mit Defekten durch die QC schlüpft. Es bleibt die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines solchen Schadens in dieser Reihe ist, und welche Ausfallraten sowohl AMD als auch Powercolor noch als unterhalb der Grenze betrachten.

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komatös

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146 Kommentare 121 Likes

Oooooha, nur ein Tilsiter hat mehr Löcher als die Oberfläche des Die! 👀

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komatös

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146 Kommentare 121 Likes

Das wären dann die, die auch glauben, dass es Menschen gibt die Zitronen falten, dass es Bananenbieger gibt oder dass Lattenrost eine Geschlechtskrankheit ist. :ROFLMAO:

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Igor Wallossek

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12,114 Kommentare 23,918 Likes
LurkingInShadows

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1,473 Kommentare 632 Likes

Oder ein bodenloses Loch wird.

jaja ich weiß Wortwitzkasse.

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LurkingInShadows

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1,473 Kommentare 632 Likes

Dachte der Schmetterling macht das....

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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