Netzteile Testberichte

Seifenblase ErP/EuP – Wie der Handel Energiesparrichtlinien boykottiert | Retro Klassiker

Vor 12 Jahren waren EuP und ErP in aller Munde, auch was die Leistungsaufnahme im Stand-By-Betrieb betraf. Deshalb hatte ich mich als „Hilmar Brenninger“ mehr oder weniger investigativ ins Getümmel geworfen und nachhgehakt, ob die geltenden Richtlinien eigentlich im Handel angekommen sind. Und mal so nebenbei bemerkt: die Motherborads werden auch heute noch von ALLEN Herstellern nach wie vor mit deaktivierter ErP-Funktionalität ausgeliefert. Per Default werden also alle Richtlinien bis heute nicht eingehalten, auch wenn es alle Komponenten könnten. Das Argument der Motherboardhersteller dazu: die Leute wollen doch ihre Smartphones aufladen. Oops…

Original-Artikel

Eigentlich sind wir eher nebenher auf diese Thematik gestoßen, als uns rein zufällig zwei auf den ersten Blick identische Netzteile eines Herstellers in die Hände fielen. Beide unterschieden sich lediglich durch das Vorhandensein bzw. Fehlen des Aufdrucks „ErP ready“. Einmal neugierig geworden, testeten wir den Unterschied beider Probanden in der Praxis und merkten in der richtigen Kombination der Hardwarekomponenten einen messbaren Unterschied. Natürlich wissen wir bereits länger um die Existenz derartiger Richtlinien, aber irgendwie ist der Stand-By-Verbrauch (Behörden-Deutsch: Schein-Aus) leider auch eines der Dinge, die man ganz gern verdrängt.

 

 

Das treue Fußvolk des Grafikkartenherstellers A jubiliert, wenn man 5 Frames pro Sekunde mehr mit 5 Watt weniger Verbrauch erreicht, als mit einem Vergleichsprodukt des Herstellers B. Aber niemand aus dem sich balgenden Gesamtanhängerhaufen weint den 5, 10  oder sogar noch mehr sinnlos verbratenen Watt eine Träne nach, die gegebenenfalls im Bereitschafts-Modus durch den Zähler fließen. Auch wenn man die Eurokraten gern an dem Regelungen zur Form der Bananen und Gurken festnagelt – mit den beschlossenen Energiesparrichtlinien, insbesondere zum Stromverbrauch im Stand-By-Modus, hat man sich ernsthaft Gedanken gemacht, denen die Industrie mittlerweile in Form von käuflich erwerbbaren Produkten gefolgt ist. Dumm nur, dass einem willigen Endverbraucher seitens des Einzelhandels niemand die nötige Hilfestellung gibt – sei es aus Ignoranz, Unwissenheit oder Bequemlichkeit.

Was haben wir genau vor?

Wir erklären natürlich zum besseren Verständnis erst einmal kurz die gefassten Richtlinien, prüfen danach praktisch die Relevanz des Stand-By-Verbrauches als Kostenfaktor und testen im Anschluss anonym den Handel mit einem etwas auf spießig getrimmten Endvierziger, der in diversen Märkten mit Freude den unwissenden Noob gibt und auch per Mail ausgewählte Online-Shops nervt. Eins vorab: das erschütternde Ergebnis ist der eigentliche Grund für diesen Artikel und am Ende gewinnen unter anderem ein Jungverkäufer und der Chef, der die Mails noch selbst beantwortet. Doch der Reihe nach…

EuP, ErP, CE und EBPG – was verbirgt sich hinter diesem Buchstabensalat?

Ein wenig graue Theorie wollen wir dem Leser nicht ersparen, können es auch nicht. Zu groß sind die Irrtümer und Wissenslücken. Wir haben das Ganze deshalb etwas allgemeinverständlich aufgelöst und beschränken uns nur auf die wirklich für das Verständnis relevanten Teile. Schließlich sind wir ja (fast) alle keine Eurokraten, Rechtanwälte oder Ordnungshüter.

EuP und ErP

Bereits seit 2005 gilt innerhalb der EU die Richtlinie für energiebetriebene Produkte (EuP), die 2009 auf energieverbrauchsrelevante Produkte (ErP) erweitert wurde. Erklärtes Ziel ist es, die Ökodesignanforderungen zu vereinheitlichen, die Verringerung des Energieverbrauches im gesamten Produktlebenszyklus voranzutreiben und die Umweltauswirkungen energiebetriebener Produkte zu verringern.

Die ErP-Richtlinie

Die ErP-Richtlinie beschreibt den Rahmen für die genaue Festlegung der Anforderungen an eine umweltgerechte Gestaltung von energieverbrauchsrelevanten Produkten. Diese speziellen Anforderungen werden im Einzelnen produktgruppenweise in sogenannten Durchführungsmaßnahmen festgelegt, die schrittweise verbindlich in Kraft getreten sind und zum Teil noch werden.

CE Zeichen und Marktanforderungen

Der Hersteller bzw. Importeur hat zunächst erst einmal sicher zu stellen, dass das von ihm in Verkehr gebrachte Produkt dieser Richtlinie sowie den geltenden Durchführungsmaßnahmen entspricht. Zusätzlich muss er eine sogenannte Konformitätserklärung (also dass dieses Produkt den Vorgaben entspricht) sowie die genauen technischen Unterlagen zur Verfügung stellen. Dann kann das Produkt mit dem CE-Kennzeichen geführt werden. Aber aufgepasst! Nicht alles, was wie CE aussieht, ist auch CE (siehe nächstes Kapitel).

Umsetzung in der Praxis

Diese Vorgaben und Richtlinien sind jedoch keine Gesetze im herkömmlichen Sinne, sondern die Inhalte werden durch nationales Recht in die Realität umgesetzt. Für Deutschland existiert deshalb das „Energiebetriebene-Produkte-Gesetz (EBPG)„. In Übereinstimmung mit den einzelnen Durchführungsmaßnahmen (siehe oben) trifft es dann für die einzelnen Produktgruppen, z.B. PCs oder Monitore zu.

Welche Vorgaben für Computernetzteile sind aktuell bindend?

NEU auf den Markt gebrachte Teile haben seit 2010 den ErP-Richtlinien (Lot 6) zu entsprechen. Das heißt auch, dass sie nur dann ein CE-Kennzeichen tragen dürfen, wenn sie absolut konform sind. Leider sind auf Verpackungen sehr selten Angaben zum Produktionsdatum zu finden, so wir haben im Media-Markt z.B. noch Modelle aus den Jahren 2008 und 2009 entdeckt. Mit einer für den Verbraucher nun wertlosen CE-Kennzeichnung.

Die aktuellen Vorgaben besagen, dass eingebaute Computernetzteile im ausgeschalteten Zustand weniger als 1 Watt verbrauchen müssen. Die Regelung sieht zudem eine weitere Straffung auf 0,5 Watt im Jahr 2013 vor. Natürlich dürfen Altbestände übergangsweise noch abverkauft werden und auch die Definition Off-Mode lässt gewisse Hintertürchen offen. Deshalb erkennt man gute Netzteile und Mainboards daran, dass man sich seitens der Hersteller nicht hinter einem CE-Kennzeichen versteckt, sondern diese Produkte aktiv kennzeichnet (z.B. ErP ready). Dann macht man garantiert nichts falsch, wenn man die Komponenten, wie später noch beschrieben wird, entsprechend selbst auswählt.

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Derfnam

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7,517 Kommentare 2,029 Likes

Vom Beitrag ins Forum ging grade nicht (Chrom am Fon).
Beratung ist ein seltenes Gut.

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Martin Gut

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7,695 Kommentare 3,528 Likes

Interessant. Würde der Test heute besser ausfallen? Funktioniert das heute standardmässig (ohne BIOS-Einstellung) wenn man aktuelle Komponenten zusammenbaut? :rolleyes:

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m
maikrosoft

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Zumindest bei meinem Gigabyte Aorus Elite V2 B550 ist ERP standardmäßig deaktiviert...
ASUS ROG Strix b650-A gaming, ebenfalls deaktiviert...

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F
Furda

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663 Kommentare 369 Likes

Interessante investigative Arbeit. Der stete, unaufhaltsame Zerfall und Untergang von Berufs-Ehre. Wenn Menschen nur noch des Geldes wegen arbeiten und meist einfach nicht mehr abliefern wollen, teils nicht mal abliefern könnten, weil einfach im falschen Beruf.

Wäre interessant zu wissen, was aus diesen Erkenntnissen gemacht wurde? Hat man die Maske abgelegt, diese Händler kontaktiert und offen konfrontiert? Das hätte was gebracht, für zig tausende Kunden, welche diesen Artikel sicher nie gelesen haben.

Zum Thema: Steckdosenleiste oder Ähnliches *mit* Schalter für den gesamten PC. Dann ist off auch sicher off bei 0.0W.

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F
Furda

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663 Kommentare 369 Likes

Offtopic; Kann bei diesen Retro-Artikeln irgendwie nie ein Erstveröffenlichungsdatum finden, bitte jeweils nachreichen wenn möglich. Anhand einer zitierten Email, scheint dieser hier von 2011 zu sein.

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Martin Gut

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7,695 Kommentare 3,528 Likes

Eher 2013 da dann die ATX 2.4 Spezifikation mit den neuen Powermodi erschienen ist.

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e
eastcoast_pete

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1,373 Kommentare 749 Likes

Hatte das gleiche Problem (Beitrag -> Forum ging erstmal nicht) ungefähr um die gleiche Zeit.
Und ja, kompetente Beratung ist leider immer seltener. Noch schlimmer als keine Beratung ist inkompetente Beratung. Da ist's doch besser, wenn man wenigstens weiß, daß man sich selbst schlau machen muss.

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D
Daniel#

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B550 Aorus Pro hat standardmäßig immer ErP deaktiviert. Über mehrere BIOS Versionen immer dasselbe. Erst neulich auf Agesa 1.2.0.8 aktualisiert.

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Derfnam

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'Vor 12 Jahren' steht nach der Einführung und weiter unten, dass 2013 ne neue Regelung kommen soll bzw wird.
Gut, kein Datum, aber immerhin, ne :)

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8j0ern

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Hab es bei mal aktiviert im UEFI (DeepSleepStates in S4 und S5 Mode)
Mein EnergieMonitor 3000 zeigt folgende Werte an:

0.00W
33.3VA
0.00 COS Pi

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B
Baumi

Neuling

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Danke Igor für Deine beständige Arbeit, schön wie Du Dein fundiertes Wissen veröffentlichst und auch verdrängte Themen beleuchtest. Zum Stand-By-Energieumsatz möchte ich auf die Variante mit einer schaltbaren Steckdosenleiste hinweisen, einfach und kostengünstig vom Benutzer anwendbar, lassen sich die Stromkosten zumindest bei diesem Betriebszustand komplett vermeiden. Einen anderen – gewichtigeren - Aspekt vermisse ich jedoch:
Eine bedarfsgerechte Auslegung des Netzteils finde ich entscheidender, denn ein überdimensioniertes (1000 statt 550 W) Netzteil ist im Betrieb - selbst bei höherwertiger Zertifizierung bspw. 80 PLUS Titanium – nicht nur in der Anschaffung sonder auch im Leistungsbetrieb immer teuer! Vielleicht schreibst Du dazu eine Erweiterung, wie sich die unterschiedlichen Zertifizierungen in Anschaffung und Betriebskosten für verschiedene Leistungsklassen unterscheiden?

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8j0ern

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2,395 Kommentare 748 Likes

Wenn ich es richtig Verstanden habe:

Das hängt von der Dauer Last ab:
Wenn das Netzteil die meiste Zeit zwischen 30 & 40% Last (bei 1000W = 300-400W) verbringt.
Lohnt sich ein kleineres Netzteil schon, selbst mit 110% bleibt die Restwelligkeit geringer.

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B
Baumi

Neuling

9 Kommentare 0 Likes

Ja, genau in diese Richtung geht das Einsparpotenzial unter Last. Optimiert durch Gpu´s mit geringerer TDP unterstützt durch Undervolting ist da einiges drin, statt immer mehr/lauter und auch wärmer. So eine 4090er ist schon eine kleine Heizung, ob das auch von Regierungsseite gefördert wird, da pure Stromheizung???

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8j0ern

Urgestein

2,395 Kommentare 748 Likes

Naja, sofern du Heizt ohne CO2 oder Ruß-Partikel zu erzeugen ist das schon mal gut.
Daher sind auch Wärme Pumpen oder Klima-Anlagen so gefragt, sie brauchen nur Strom, kein Feuer oder Bumms!

Wenn dann die Energie selbst auch aus Nachhaltiger Erzeugung kommt, sind wir schon ein Riesen Schritt voraus. :)

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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