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Der Kampf von Grafikkarte gegen Netzteil – Leistungsaufnahme und Lastspitzen entmystifiziert | igorsLAB

Man kennt und hasst ihn, den geliebten Moment, wo ein Netzteil mitten im Spiel plötzlich abschaltet, obwohl es neu ist und auch sonst keine Auffälligkeiten zeigt. Der Ärger der Anwender wird dann noch umso größer, wenn man glaubt, die Netzteilgröße auch richtig berechnet zu haben. Doch reicht das, was die Hersteller von Grafikkarten oder Netzteilen als Leistungswert angeben? Bei Netzteilen kann man sich da schon relativ sicher sein, aber was ist eigentlich mit den Grafikkarten?

Beginnen wir zunächst mit der Karte, die auch beim Netzteilhersteller und in diversen Wortmeldungen wie z.B. bei Reddit immer wieder auftauchte, nämlich der AMD Radeon RX Vega. Ich habe sogar zwei Karten gemessen und mich am Schluss fairerweise für die „schlechtere“ Variante mit dem etwas höheren Lastspitzen entschieden (AMD RX Vega64 Referenzkarte).

Die ebenfalls getestete Gigabyte RX Vega64 war allerdings auch nur marginal „besser“. Doch all dies beeinflusst das Resultat ja eh nicht. Eine RX Vega56 lag übrigens noch einmal weit unter den im Nachfolgenden aufgeführten Werten!

Messungen unter maximaler Spielelast

Das Spiel mit den höchsten Lastspitzen und auch längsten Lastzuständen im Maximalbereich ist, wen wundert es, Witcher 3 in Ultra-HD. Das hat sich nach der ersten Vergleichsmessung mit 10 Spielen herauskristallisiert. Die durchschnittliche Leistungsaufnahme über einen Messraum von einer Sekunde liegt bei ca. 250 Watt, also voll in der Norm.

Doch kommen wir nun zu den Messungen. Das, was der Endkunde am ehesten versteht, ist ja die Leistungsaufnahme („Verbrauch“), also das, was in energetischer Form effektiv über die Ladentheke geht. Von insgesamt 100 automatisiert protokollierten Messungen fürs Gaming (die anderen 100 sind für den Stresstest) über jeweils 60 ms (6000 Messpunkte im Intervall von je 10 μs) habe ich die mit der höchsten Einzellast >= 1 ms herausfiltern lassen und nur ein Zeitfenster von 20 ms mit 2000 Messpunkten ausgeschnitten (Zoom).

Zur besseren Orientierung habe ich die Hilfslinien so eingestellt, dass sie einen 1-ms-Raster anzeigen. Ein Kästchen entspricht also einer Millisekunde. Die längste zusammenhängende Spitzenlast lag hier bei ca. 370 Watt über 1,7 ms. Die höchste Spitzenlast lag in dieser Messung bei ca. 420 Watt in 0.3 ms. Mehr erzeugt eine RX Vega64 also erst einmal nicht, solange die Stromzufuhr konstant erfolgt und auch die Spannung konstant bleibt. Die gelbe Kurve steht für die gesamte Leistungsaufnahme der Karte auf den beiden 12V Schienen.

Schauen wir deshalb noch einmal genauer auf die Ströme und Spannungen. Nimmt man die Spannungs-Schwankungen aus der Kurvenberechnung heraus, dann sieht man, dass die Ströme deutlich „gleichmäßiger“ fließen (Grafik unten). Das Hibbeln kommt also von der dazu multiplizierten Spannung, um die Leistungsaufnahme darzustellen (Grafik oben). Die Versorgungsspannung schwankt zwischen 11.8 und 12.3 Volt, was ein wirklich guter Wert ist, wenn man die hohe Auflösung berücksichtigt.

Lastspitzen von mehr als  600 Watt / 50 Ampere über 10 ms gehören somit schon etwas ins Land der Phantasie, denn mehr als 40 Ampere bei einer RX Vega64 (nicht Vega56) war in keiner der Messungen drin (hier ca. 38 Ampere).  Die vom Netzteilhersteller veröffentlichte Messung  mit 102 Ampere für 2 kleinere Karten dürfte auch nie und nimmer direkt an der Grafikkarte selbst erfolgt sein. Dann würden die Kurven nämlich anders aussehen. Die eigentliche Baustelle ist somit erst einmal nicht die AMD-Grafikkarte.

 

Messungen beim Stresstest

Der Grund, warum Grafikkarten beim Stresstest heißer werden, obwohl die Leistungsaufnahme als Durchschnittswert über eine lange Sekunde hin oft nicht einmal signifikant ansteigt, liegt an der Art der erzeugten Lasten. Das kann man sich wie mit einem Finger und dem kurzzeitigen Berühren einer heißen Fläche vorstellen. Ein periodisches, sehr kurzes Antippen ist deutlich einfacher zu überstehen, als das permanente Auflegen auf eine nicht ganz so heiße Fläche!

Das Gleiche gilt auch für die Lasten. Ich messe hier immer noch ca. 250 Watt als Mittelwert, allerdings sind die Intervalle der Lastspitzen viel länger! Wobei der längste Intervall mit 237 Watt über 7,7 ms sogar unter der TBP (Typical Board Power) liegt! Der höchste Intervall geht hier über ca. 8 ms und auch schon mal bis 338 Watt im Peak, um dann aber innerhalb dieses Intervalls sogar auf 242 Watt abzufallen. Hier greift der Arbitrator von Powertune bereits nach ca. 8 ms restriktiv ein und kappt die Leistungsaufnahme.

Die Spannungen schwanken sogar etwas stärker. Im Übrigen messe ich über alle Einzeltests hinweg auch nie mehr als 28 Ampere für den  Maximalstrom, selbst wenn ich die Messintervalle auf unter 1 μs in den Nanosekundenbereich verschiebe.

 

Zwischenfazit

Ich hätte wirklich gern gewusst, wo die über 50 Ampere für die deutlich leistungsschwächere RX Vega56 wirklich gemessen wurden und in welcher Anwendung. Ich habe mit Platinenentwicklern der Boardpartner und AMD selbst gesprochen, nicht erst jetzt und heute. Derartig extreme Ausreißer und Spitzenwerte wurden bisher nie und von keinem in so langen Intervallen beobachtet, was mich dann – ich möchte hier den Ingenieuren ohne genaue Kenntnis der Umstände wirklich nichts unterstellen – doch arg am Ergebnis zweifeln lässt.

Was man hingegen bei der Auswahl und der Bemessung eines Netzteils beachten muss, ist eine gute und zweckmäßige Sekundärseite, die wenigstens 400 Watt über 2 bis 3 ms und ca. 350 Watt über 10 ms schaffen sollte, um ganz sicher zu sein. Doch dann hätte ja auch das 550-Watt-Netzteil noch reichen müssen. Ich werde in der Zusammenfassung also noch etwas dazu sagen müssen, nachdem wir uns auch die anderen Testkandidaten angeguckt haben.

 

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About the author

Igor Wallossek

Chefredakteur und Namensgeber von igor'sLAB als inhaltlichem Nachfolger von Tom's Hardware Deutschland, deren Lizenz im Juni 2019 zurückgegeben wurde, um den qualitativen Ansprüchen der Webinhalte und Herausforderungen der neuen Medien wie z.B. YouTube mit einem eigenen Kanal besser gerecht werden zu können.

Computer-Nerd seit 1983, Audio-Freak seit 1979 und seit über 50 Jahren so ziemlich offen für alles, was einen Stecker oder einen Akku hat.

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