Meine Einschätzung zum Thermal Putty
Thermal Putty stellt als wärmeleitendes Zwischenmedium eine grundsätzlich sinnvolle Lösung dar, wenn es darum geht, unregelmäßige Oberflächenstrukturen, Toleranzunterschiede bei Bauteilhöhen oder großflächige Kontaktbereiche auszugleichen, ohne dabei eine Vielzahl an Wärmeleitpads mit verschiedenen Dicken einsetzen zu müssen. Diese Vorteile hinsichtlich Flexibilität, Fertigungseffizienz und potenzieller thermischer Leistung sind jedoch an eine Reihe von Voraussetzungen gebunden, die in der industriellen Umsetzung, insbesondere in der Massenfertigung von Grafikkarten, nicht trivial sind.
Die Konsistenz des verwendeten Puttys ist in diesem Fall ein zweischneidiges Schwert: Einerseits weist das Material eine gewisse Nachgiebigkeit auf, die für den Ausgleich großer Höhendifferenzen erforderlich ist. Andererseits wird durch die viskose und streichfähige Charakteristik auch eine gewisse Fließneigung begünstigt, insbesondere bei vertikaler oder orthogonaler Einbaulage der Grafikkarte im Gehäuse. Mikroskopische Analysen zeigen zudem das Vorhandensein von Poren innerhalb der Matrix, die sowohl lateral als auch vertikal verteilt sind. Solche Strukturen deuten auf Lufteinschlüsse hin, die entweder beim Dispensvorgang selbst oder durch das verzögerte Nachziehen viskoser Partikel entstanden sein können. Diese Poren wirken sich negativ auf die effektive thermische Ankopplung aus und fördern zusätzlich eine inhomogene Wärmeverteilung innerhalb des Materials.
Besonders kritisch ist die geringe Oberflächenspannung der Trägermatrix in Verbindung mit der schwachen Adhäsion an glatten, metallischen Kontaktflächen. Dies führt zu einer klaren Entgrenzung des Materials an den Rändern, was nicht nur optisch auffällt, sondern funktional das Risiko birgt, dass sich das Putty im Betrieb, insbesondere bei zyklischer thermischer Belastung, sukzessive von den Kontaktflächen löst oder seitlich verdrängt wird. In der Kombination mit einer Einbaulage, bei der die Gravitation zusätzlich als seitliche Kraft wirkt, kann dies über Monate hinweg zu einem Kriecheffekt führen, bei dem das Material regelrecht aus dem Kontaktbereich herauswandert.
Für Gigabyte wäre es daher ratsam, in mehreren Punkten nachzujustieren. Zunächst sollte die Viskosität des eingesetzten Puttys überarbeitet und hinsichtlich der Temperaturstabilität und Formtreue über längere Zeiträume unter praxisnahen Bedingungen validiert werden. Zweitens sollte das Dispensverfahren selbst einer eingehenden Kontrolle unterzogen werden, um die Wiederholgenauigkeit der aufgetragenen Mengen und Geometrien sicherzustellen. Drittens könnte eine Überlegung sein, auf Form-in-Place-Putty-Pads (oder pre-cast Thermal Gap Filler) zurückzugreifen, welche in der Vergangenheit eine deutlich höhere Langzeitstabilität gezeigt haben.
Vorgepresste, padförmige Wärmeleitmaterialien, die funktional dem Thermal Putty ähneln, stellen eine interessante Hybridlösung dar, die in industriellen und professionellen Anwendungen zunehmend Verbreitung findetund die hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften zwischen klassischen Wärmeleitpads und pastösen Materialien positioniert sind. Diese Pads bestehen im Wesentlichen aus einer bereits vorkonfektionierten, formstabilen Masse, deren Zusammensetzung der eines hochgefüllten Thermal Putties entspricht. Die Trägermatrix besteht auch hier meist aus einem silikonbasierten Polymer mit niedrigem Elastizitätsmodul, welches durch thermisch leitfähige Füllstoffe wie Aluminiumoxid, Siliziumoxid, Bornitrid oder Zinkoxid ergänzt wird. Je nach Anforderung an die thermische Leitfähigkeit kann die Füllstoffkonzentration bis an die Grenze des technisch Machbaren gehen, wodurch eine Partikelüberfüllung entsteht, die bei konventionellen Dispensverfahren oft zum Problem wird (siehe der Test der Wärmeleitpaste) , bei vorkonfektionierten Pads aber gezielt genutzt werden kann.
Der große Vorteil liegt in der präzisen Kontrolle von Dicke, Volumen und Form bereits im Herstellungsprozess. Da diese Pads industriell unter definiertem Druck und bei gleichmäßiger Temperatur vorgeformt werden, weisen sie eine homogene Dichte und eine exakte Geometrie auf. Dies eliminiert viele der prozesstechnischen Unsicherheiten, die beim manuellen oder automatisierten Auftrag von Dispensermaterialien auftreten können, insbesondere bei ungleichmäßigem Austrag, Lufteinschlüssen oder variabler Auftragsmenge. Auch die Applikation ist deutlich einfacher. Die Pads lassen sich mit Schutzfolien versehen, direkt konfektionieren und auf den Kühlkörper oder das Bauteil applizieren, ohne dass dabei komplexe Auftragssysteme oder zeitkritische Taktprozesse nötig wären. Bei thermischer Belastung erfolgt eine moderate Anpassung an die benachbarten Oberflächen, ohne dass das Material fließt oder seitlich verdrängt wird. Diese Eigenschaft verleiht dem System eine hohe Formtreue und reduziert die Gefahr des sogenannten „Pump-Outs“ oder Kriechens – auch bei vertikaler Einbaulage oder langanhaltender Temperaturbelastung.
Einziger Nachteil ist der im Vergleich zu Dispensermaterialien höhere Stückpreis, da jeder Padzuschnitt entweder gestanzt oder wasserstrahlgeschnitten werden muss und die Vorkonfektionierung zusätzliche Prozessschritte erfordert. Auch die Materialausbeute ist geringer, weil bei nicht-rechteckigen Strukturen häufig Verschnitt anfällt. Dafür erhält man jedoch ein verarbeitungsstabiles Produkt mit klar definierten Eigenschaften, das sich insbesondere für sicherheitskritische, langlebige Anwendungen eignet, bei denen reproduzierbare thermische Performance gefordert ist.
Zusätzlich wäre ein transparenter Umgang mit diesen technischen Herausforderungen gegenüber der Community wünschenswert. Anstatt sich auf unklare Marketingbegriffe wie „Server-Grade Gel“ zu verlassen, sollte Gigabyte den Mut aufbringen, konkrete Materialdaten und Anwendungsspezifikationen offen zu kommunizieren – nicht zuletzt, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Die Wärmeleitpaste auf der GPU als Sollbruchstelle
Das Fazit zur ebenfalls getesteten Wärmeleitpaste fällt deutlich kritischer aus als beim Thermal Putty. Zwar konnte die Paste im Neuzustand mit einer außergewöhnlich hohen Wärmeleitfähigkeit von über 6,8 W/mK überzeugen und erreichte in Kombination mit sehr niedrigen Interface-Werten eine hervorragende thermische Anfangsleistung, doch zeigten sich bereits nach wenigen Monaten im Betrieb erste strukturelle Schwächen. Mikroskopische Analysen belegten Rissbildung, Delamination und erste Anzeichen von Binderwanderung, das sind typische Effekte einer überfüllten Formulierung mit unzureichend stabilisierter Matrix. Die hohe Packungsdichte, die anfangs zur exzellenten Leitfähigkeit beiträgt, geht damit zulasten der Langzeitstabilität. Besonders in thermisch zyklischen Szenarien oder bei vertikaler Einbaulage droht eine schleichende Verschlechterung der Wärmeübertragung durch Materialverlagerung, Schrumpfung und Kontaktverlust. Die Kombination aus anfänglicher Hochleistung und nachlassender mechanischer Kohäsion macht diese Paste damit zu einem potenziellen Risiko im Dauerbetrieb, insbesondere dann, wenn keine regelmäßige Wartung oder Reapplikation vorgesehen ist (Putty!).
Ich habe die Paste auf der mir zur Verfügung gestellten Karte durch ein originales Honeywell PTM7950 ersetzt und die großflächigen Putty-Bereiche mit dem in der Messung mit erwähnten LPT81. Aber gerade was die Handhabbarkeit der PTM-Pads für Ungeübte betrifft, habe ich mir immer wieder überlegt, wie es mit den spröden Pads vielleicht auch einfacher gehen könnte. Ja, es geht. Zunächst wird das PTM7950 mittels Skalpell präzise zugeschnitten, sodass es auf drei Seiten exakt mit dem GPU-Die abschließt. Die vierte, längere Seite wird absichtlich ein wenig überstehend belassen. Diese überstehende Kante bildet später die definierte Sollbruchstelle für den „Knick“. Die obere Schutzfolie verbleibt zunächst auf dem Pad, die andere zieht man ab. Durch das gezielte Anlegen aller Stücke auf dem Die entsteht eine fast vollständige Abdeckung der Fläche. Dann fährt man mit einem harten Spatel, einer Rakel oder notfalls auch mit dem Fingernagel entlang der überstehenden vierten Kante. Dieser mechanische Impuls erzeugt eine scharfe Faltung entlang der GPU-Kante, bei der das PTM an der Falzlinie präzise durchtrennt wird – ein sauberer Schnitt ohne Faserausrisse oder Delaminationen.
Die verbliebene Schutzfolie hilft dabei, das Material in Form zu halten und gleichzeitig als Griffhilfe zu dienen. Von der gerade eingeknickten Seite aus lässt sich die Folie nun mühelos und rückstandsfrei abziehen. Das Pad bleibt sauber in Position und liegt plan an – eine deutlich effizientere und materialsparendere Methode als das Aufkleben größerer Stücke mit nachträglichem Trimmen. Diese Technik ist nicht nur elegant, sondern verhindert auch gängige Fehlerquellen wie versehentliches Anheben, Verziehen oder Kontaminieren der Kontaktfläche.
Fazit und Zusammenfassung
Vor diesem Hintergrund erscheint es wahrscheinlich, dass bei Gigabyte innerhalb der frühen Fertigungs- oder Validierungsphase keine hinreichende Kontrolle der Prozessparameter erfolgte, insbesondere hinsichtlich der Materialien, der Applikationsmenge und des thermischen Designs unter realistischen Einbaupositionen. Dass einige Chargen nun durch „kriechendes“ Material auffallen, ist daher einerseits dem Putty selbst anzulasten, und andererseits einem mangelhaften Gesamtprozess. Die technische Konsequenz ist klar: Das Putty muss nicht zwangsläufig ersetzt werden, wohl aber dessen Konsistenz angepasst und die Dosierung im Werk noch einmal kalibriert werden. Außerdem sollte die Karte zudem mit einer stabileren, langzeitresistenteren Wärmeleitpaste oder besser noch einem PTM-Pad kombiniert werden. Andernfalls drohen systematisch thermische Degradationseffekte bis hin zum sichtbaren Materialversatz.
Abschließend bleibt der bittere Nachgeschmack, dass sich Gigabyte offenbar lieber in den wohligen Nebelschwaden marktschreierischer Buzzwords wie „Server-Grade Thermal Conductive Gel“ sonnt, statt schlicht ein durchdachtes thermisches Gesamtkonzept auf die Beine zu stellen. Dass man ausgerechnet dort, wo thermomechanische Stabilität essenziell ist, nämlich direkt auf dem empfindlichen GPU-Die, auf viskose Paste mit fragwürdiger Langzeitperformance statt auf bewährte PTM-Pads setzt, wirkt rückblickend nicht nur unklug, sondern fast schon zynisch.
Ironischerweise hätte man mit einem hochwertigen Phase-Transition-Pad aus dem industriellen Bereich genau die Eigenschaften liefern können, die der Begriff „Server-Grade“ suggeriert: gleichmäßige Druckverteilung, kein Pump-Out, keine Ölabscheidung, planbare Performance über Jahre hinweg. Doch das lässt sich in einem Werbefolder eben nicht so aufregend inszenieren wie ein aufgespritztes „Thermal Gel“, dessen konsistenter Austrag aus jeder Spalte mehr an Zahnfleischentzündung denn an Präzision erinnert.
Der eigentliche Wettbewerbsvorteil eines Herstellers liegt eben nicht in synthetischen Superlativen, sondern in handfester Qualität. Aber die lässt sich leider schwerer vermarkten, solange sie nicht flüssig genug ist, um in Marketingpräsentationen zu zerfließen.
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