Was ist Thermal Putty und wie kommt es auf den Kühler?
Thermal Putty bezeichnet ein pastöses, viskoelastisches Material zur thermischen Kopplung zwischen wärmeerzeugenden elektronischen Komponenten und Kühlkörpern. Es bewegt sich funktional zwischen klassischen Wärmeleitpasten und festen Wärmeleitpads, indem es eine gewisse Fließfähigkeit mit einer stabilen Struktur kombiniert. Im Gegensatz zur Paste bleibt es nach dem Auftrag in seiner Grundform erhalten und erfordert keine exakte Dosierung bei jeder Applikation. Es kann sich bei mäßigem mechanischem Druck in Oberflächenvertiefungen einbetten und füllt so Lücken aus, ohne vollständig zu verlaufen oder zu entmischen – zumindest im Idealfall. Die thermische Leistung basiert auf einer feinteiligen Dispersion von anorganischen, elektrisch nicht leitenden Füllstoffen in einer organischen Trägermatrix. Typisch sind silikongestützte Polymere (meist Polydimethylsiloxan, PDMS), die mit Oxidpartikeln wie Zinkoxid, Aluminiumoxid oder Siliziumnitrid dotiert werden.
Im Vergleich zu konventionellen Polymerpads erlaubt Thermal Putty eine deutlich bessere Anpassung an unebene oder variabel hohe Bauteile, da es unter Druck gezielt nachgibt, aber nicht wie eine Paste zerfließt. Gleichzeitig behält es in der Regel eine größere strukturelle Kohärenz und ist resistenter gegen Pump-Out-Effekte als niedrigviskose Wärmeleitpasten. Der Übergangswiderstand zur Kontaktfläche lässt sich durch gezielte Verdichtung verbessern, sofern das Material nicht zu spröde formuliert wurde. Dies ist besonders relevant bei Leistungselektronik, bei der große Bauteiltoleranzen auftreten oder geringe Anpressdrücke zur Verfügung stehen, wie es bei GPU-VRM-Zonen oder ungekühlten RAM-Bänken üblich ist.
Industriell wird Thermal Putty bei hohen Stückzahlen bevorzugt über Spritz- oder Dosierverfahren aufgetragen. Dabei kommen pneumatische oder servogesteuerte Dosiersysteme zum Einsatz, die das Material aus Kartuschen oder Großgebinden über flexible Leitungen in fein definierter Menge auf das Bauteil aufbringen. Die Applikation erfolgt punktweise oder als zusammenhängende Raupe und erfordert eine exakte Abstimmung von Viskosität, Thixotropieverhalten und Kornverteilung. Für eine reproduzierbare Verarbeitung muss das Putty in einem engen Fließfenster liegen: es darf im statischen Zustand nicht verlaufen, muss unter Scherung aber ausreichend nachgeben, um durch Düsensysteme mit definiertem Druck extrudiert zu werden. Die Konsistenz bewegt sich dabei typischerweise zwischen 100.000 und 500.000 Centipoise, wobei temperaturabhängige Thixotropie ein wesentliches Steuerungskriterium ist.
Mikroskopie und Konsistenz
Materialtechnisch ergeben sich bei dieser Applikationsform jedoch erhebliche Zielkonflikte. Eine hohe thermische Leitfähigkeit erfordert einen möglichst großen Anteil an thermisch leitfähigen Füllstoffen, die jedoch die Viskosität stark erhöhen. Um das Material dennoch förderfähig zu halten, wird der Füllstoffanteil reduziert oder durch größere Partikel ergänzt, was die Homogenität verschlechtert. Alternativ können weichere, ölreichere Trägermedien verwendet werden, die zwar die Pumpbarkeit verbessern, jedoch unter thermischer Last zur Entmischung und Ölabgabe neigen. Die Folge sind Sedimentationserscheinungen, Porenbildung oder ein erhöhtes Risiko für Ausbluten. Darüber hinaus können schlecht dispersierte oder grobkörnige Füllstoffe zu Düsenerosion, Mikroverstopfungen oder instabilem Fließverhalten führen, was eine aufwendige Prozesskontrolle notwendig macht.
Die hier gezeigten mikroskopischen Aufnahmen belegen sehr anschaulich die Auswirkungen einer solchen auf Spritzbarkeit optimierten Formulierung. In der Übersicht bei 1000 µm Maßstab erkennt man eine unscharf auslaufende Materialkante mit ungleichmäßiger Kantenadaption. Dies deutet auf eine schwache Matrixstruktur bei geringer lokaler Verdichtung hin.
Die beobachteten Merkmale sprechen durchaus dafür, dass es im Dauerbetrieb, insbesondere bei vertikaler oder orthogonaler Einbaulage der Grafikkarte, zu einem fortschreitenden, gravimetrisch und mechanisch bedingten Kriechen des Putties kommen kann. Die mikroskopischen Aufnahmen mit einer lateralen Auflösung von etwa 250 µm zeigen ein Materialbild, das auf mehrere potenziell kritische Faktoren hinweist.
Zum einen sind deutlich verteilte Hohlräume in Form von Poren und Kanälen zu erkennen, die sich sowohl in der Tiefe als auch horizontal innerhalb der Matrix erstrecken. Diese Porosität ist aller Wahrscheinlichkeit nach auf während der Applikation eingeschlossene Luftblasen zurückzuführen, die beim Dosieren über einen Dispenser entweder unvollständig aus der Paste verdrängt oder gar durch das schlagartige Schließen der Dosierdüse eingebracht wurden. Auch eine zu hohe Viskosität in Kombination mit einem zu schnellen Vorschub begünstigt eine solche Einschlussbildung.
Zum anderen ist die klare, randnahe Entgrenzung des Materials in Richtung unbenetzter Bauteilkanten auffällig. Diese lässt auf eine vergleichsweise niedrige Oberflächenspannung der Trägermatrix schließen, wodurch keine ausreichende Spreitung auf hydrophoben oder wenig benetzbaren Substraten erfolgt. Zusammen mit der erkennbar schwachen Adhäsion an metallischen Oberflächen entsteht hier nicht nur das Risiko partieller Delamination, sondern auch eine begünstigte Materialwanderung bei anhaltender mechanischer oder thermischer Beanspruchung.
Im konkreten Fall bedeutet das: Eine vertikal eingebaute Grafikkarte erfährt über lange Zeiträume hinweg eine permanente Scherbelastung durch das Eigengewicht des Putties, verstärkt durch zyklisch auftretende thermische Ausdehnungen. Die Kombination aus innerer Porosität, geringer Haftung und fehlender kohäsiver Festigkeit kann dann dazu führen, dass sich Teile des Materials langsam lateral verschieben oder aus ihrer ursprünglichen Position verdrängen – ein Prozess, der sich je nach Einbaulage und Betriebstemperatur weiter beschleunigt.
Daher wäre eine gezielte Modifikation der rheologischen Eigenschaften, etwa durch Additive zur Stabilisierung der Strukturviskosität und Haftvermittler zur Verbesserung der Adhäsion, dringend angeraten, um diesem potenziellen Langzeitproblem entgegenzuwirken. Ohne solche Maßnahmen bleibt der Einsatz des analysierten Putties in dieser Form ein klarer Risikofaktor für die thermische Stabilität über die gesamte Lebensdauer der Karte.
Partikelanalyse
Bei starker Vergrößerung unter Polarisationskontrast zeigt sich die tatsächliche Inhomogenität der Kornverteilung. Partikel mit Durchmessern von unter 3 bis über 20 Mikrometern treten gemeinsam auf, teils in Agglomeraten oder isoliert eingebettet. Die dunklen Bereiche zwischen den Partikeln sind Hinweise auf Matrixrückzug, möglicherweise durch thermische Relaxation oder viskoelastischen Stress. Das nächste Bild nach der Abrisskante zeigt besonders deutlich die wellenartige Oberflächenstruktur, wie sie bei Materialien entsteht, die sich unter Last nur ungleichmäßig verformen. Der hohe Lichtbrechungsgradient und die räumliche Topografie sind ein deutliches Zeichen für plastisches Kriechen mit gleichzeitigem lokalen Matrixversagen.
Die letzte Aufnahme schließlich zeigt eine stark entkoppelte Kornstruktur, mit offenen Poren und teilweise schon sichtbaren Sedimentationsrändern, die auf eine irreversible Materialveränderung hindeuten. Die Partikelbindung ist schwach, das Volumenmaterial verliert Kohärenz und neigt zum mechanischen Bröseln.
Diese Charakteristika deuten auf ein Thermal Putty hin, das primär für industrielle Verarbeitung mit automatischem Dispenser konzipiert wurde. Dabei wurde die Rezeptur offenbar so abgestimmt, dass die Pumpleistung, Standfestigkeit und Dosierbarkeit im Vordergrund stehen – auf Kosten der mikrostrukturellen Integrität und der thermischen Langzeitperformance. Der beobachtete Kompromiss zwischen Fließfähigkeit und Kornbindung führt zwangsläufig zu einem suboptimalen Verhalten bei thermischer Zyklenbelastung. Die eingebrachte Schicht ist zwar zunächst formstabil und flächendeckend, beginnt jedoch frühzeitig zu altern, was sich in der Reduktion der thermisch aktiven Fläche und der Zunahme von Interface Resistance äußert.
Alternativen zum Dispenser
Eine technisch anspruchsvollere, wenn auch kostenintensivere Alternative zu dieser Lösung wäre der Einsatz von vorgepresstem Putty-Material in Padform, so wie es einige wenige Mitbewerber bereits verwenden. Dabei handelt es sich um vorkonfektionierte, druckverdichtete Formkörper, die wie ein normales Wärmeleitpad zugeschnitten und appliziert werden können. Das Material wird bereits bei der Herstellung durch Kalandrieren oder Laminieren in eine definierte Geometrie gebracht, die sowohl die Dicke als auch die Kornverteilung exakt vorgibt. Der große Vorteil liegt in der gleichbleibenden thermischen Leistung, der sauberen Applikation und der Möglichkeit, komplexe Montageprozesse zu vereinfachen. Da diese Pads jedoch in der Herstellung deutlich aufwändiger sind und eine geringere Materialausbeute besitzen, sind sie für massentaugliche Produkte in der Consumer-Klasse oft zu teuer. Hier entscheidet man sich dann lieber für das kostengünstiger verspritzbare Material – auch wenn man es zur Verkaufsförderung „Server Grade Thermal Conductive Gel“ nennt.
Läuft das Putty wirklich raus?
Ja, es kann, leider. Das nächste Bild zeigt deutlich zwei unterschiedliche Materialklassen thermischer Interface-Materialien im direkten Vergleich. Links befindet sich ein mechanisch gefertigtes, vorgepresstes Semi-Putty-Pad von Ziitek mit stabiler, gitterstrukturierter Oberfläche. Rechts erkennt man das klassische Dispenser-Putty in ungehärteter Form, wie es Gigabyte verwendet (vermutlich vom gleichen OEM). Auffällig ist der dunklere, unscharfe Randbereich um das Dispenser-Putty, der sich nach nur zwei Tagen bei Raumtemperatur auf einem simplen Blatt Papier gebildet hat. Dieses Verhalten ist ein eindeutiger Hinweis auf beginnende Materialmigration, also den Austritt niedermolekularer Bestandteile aus der Polymermatrix.
Dieser Effekt wird in der Fachliteratur als Bleeding bezeichnet. Er tritt auf, wenn die Trägermatrix nicht in der Lage ist, flüchtige, niedrigviskose Silikonöle ausreichend zu binden oder zu stabilisieren. Diese Öle werden der Formulierung üblicherweise zugesetzt, um die Verarbeitbarkeit des Materials zu verbessern. Sie senken die Viskosität, erleichtern den Dosier- und Spritzprozess und unterstützen die kurzfristige Fließfähigkeit beim Verpressen. Langfristig führen sie jedoch dazu, dass das Material seine Formstabilität verliert. Die Migration erfolgt durch Diffusion entlang von Oberflächen oder durch Kapillarwirkung in poröse Substrate – wie hier beim Papier. Dass dieser Effekt bereits nach 48 Stunden im ungestörten Ruhezustand sichtbar wird, deutet auf eine vergleichsweise schwache physikalische Retention der flüchtigen Phasen in der Matrix hin. Diese Instabilität verschärft sich unter thermischer Last oder mechanischer Beanspruchung zusätzlich.
Besonders problematisch wird dies bei vertikaler oder orthogonaler Montage von Grafikkarten. In dieser Einbaulage wirken neben dem thermischen Stress auch Gravitationskräfte über längere Zeiträume in einer Richtung. Wenn das Putty nicht ausreichend strukturell vernetzt oder zumindest rheologisch stabilisiert ist, beginnt es unter seinem eigenen Gewicht zu kriechen. Dieser Kriechprozess kann dazu führen, dass das Material sich aus der Kontaktzone herausbewegt, ungleichmäßig verteilt oder sich an Rändern aufstaut. Die thermische Ankopplung verschlechtert sich lokal, und es entstehen inhomogene Wärmewiderstände mit potenziellen Hotspots. Besonders kritisch ist dies bei Bauteilen mit punktueller Last wie VRMs oder Speicherbausteinen, bei denen eine vollständige Flächenabdeckung erforderlich ist, um die thermische Integrität sicherzustellen.
Im Gegensatz dazu zeigt das vorgepresste Pad von Ziitek keine sichtbare Migration. Dies ist auf die in der Produktion erfolgte Verdichtung und Formgebung zurückzuführen, die das Material in seiner Geometrie stabilisiert und die freien Ölanteile auf ein Minimum reduziert. Solche Materialien basieren meist auf polymermodifizierten Silikonelastomeren mit geringer Ölabscheidung und höherer innerer Kohäsion. Die thermomechanische Stabilität ist in der Regel deutlich besser, was sie insbesondere für Anwendungen mit vertikaler Montage oder längerer Betriebsdauer prädestiniert.
Die Beobachtung des feuchten Rands um das Gigabyte-Putty lässt also den Schluss zu, dass es sich um eine auf spritztechnische Verarbeitbarkeit hin optimierte Formulierung handelt, bei der thermische Langzeitstabilität und strukturelle Integrität offenbar nachrangig behandelt wurden. Diese Entscheidung kann aus Kostensicht nachvollziehbar sein, führt aber zwangsläufig zu Problemen bei anspruchsvollen oder langfristig ausgelegten Anwendungen. Kriecheffekte, Ölabscheidung und Materialwanderung sind reale Risiken, die je nach Einbauorientierung und thermischem Profil der Karte zu funktionalen Beeinträchtigungen führen können. Das mal dazu.
Doch das wirklich Problematische kommt erst noch später in Form der hochproblematischen Wärmeleitpaste, denn da ist die Degradation vorprogrammiert. Ein reiner Zufallsfund, wie immer.
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